Der Botanische Garten der Freien Universität Berlin (Foto: Stefanie Kulisch/ CTM Festival)
In Dahlem hält im Zuge des CTM-Festivals eine ganz besondere Klanginstallation Einzug in den Botanischen Garten der Freien Universität Berlin. Mit You Will Go Away One Day But I Will Not versuchen die beiden Künstlerinnen Maria Thereza Alves und Lucrecia Dalt die wissenschaftliche Welt der Botanik zu entkolonialisieren. Dafür kreieren sie ein interaktives Projekt, in dem der Fokus auf die Namensgebung von Pflanzen in der Tradition eines indigenen Volkes, den Guarani aus Brasilien, gelegt wird. Lisa Kütemeier hat sich die Installation für die GROOVE angesehen.
Die Installation will den Besuchern der Zugang zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Namensgebung von Pflanzen nahe bringen. Das Tropenhauses des Botanische Garten ist ein Produkt westlicher Naturforschung, die versucht, die Flora und Fauna der Erde mit einer Nomenklatur zu erfassen. Dieser setzten die Künstlerinnen die Namen der Sprache der Guarani entgegen, die Pflanzen nach ihrem Aussehen und den jeweiligen Eigenschaften benennen. Um dem Besucher das Gefühl für den Prozess dieser Art von Benennung näher zu bringen, wird im Tropenhaus ein individuelles Sounderlebnis geschaffen, das sich um Geräusche aus der natürlichen Umgebung eines Regenwaldes dreht. Die nicht-lineare Komposition kreiert anhand rhythmisch sequenzierter Muster ein sich stetig veränderndes Klangerlebnis aus natürlichen sowie elektronischen Klängen.
Es ist bereits dunkel als ich den Botanischen Garten erreiche. Entgegen meiner Erwartungen ist das Tropenhaus auch zwei Stunden vor Schluss noch gut besucht, eine ganz besondere Soundinstallation zieht die Menschen in diesen Tagen nach Dahlem. Die Besucher*innen bekommen einen Kopfhörer, der von im Tropenhaus verteilten Receivern erfasst wird und auf jede Bewegung mit verschiedenen Sounds reagiert. Dadurch entsteht für jede Person ein individuelles Klangerlebnis. Nach einer kurzen technischen Einführung kann die Reise beginnen.
Feucht-warme Luft schlägt einem beim Betreten des Tropenhauses entgegen. Menschen mit Kopfhörern wandern langsam umher oder sitzen verträumt auf einer Bank und beobachten die Szenerie um sich herum. Ein Wispern ertönt, intensiviert sich und wird Schritt für Schritt lauter. Ich schlage den Weg nach rechts ein, gegen den Uhrzeigersinn, und langsam verschwindet das Wispern und wird durch ein Rauschen ersetzt, das knackt, knistert und stottert.
Die zuerst unstetig wirkenden Töne scheinen auf meinem Weg immer mehr an Form und Struktur anzunehmen, ich versinke in der Geräuschkulisse und lasse mich von den Eindrücken leiten.
Auf meinem Weg begegnen mir mal mehr, mal weniger vertraute Geräusche. Tonaufnahmen von Regen und Gewitter vermischen sich mit dem kratzenden Sound analoger Synthesizer. Instrumentale Geräusche wie die einer Bambusflöte und hölzerner Rasseln lassen fast eine Melodie erkennen, nur um schlagartig wieder zu verschwinden sobald man sich einer anderen Richtung zuwendet. Der Weg führt umher zwischen verschlungenen Lianenpflanzen und meterdicken Baumstämmen, ein Grillenzirpen erklingt und von irgendwoher tönt der hallende Schrei eines Singvogels.
Ich öffne eine Glastür und tauche ein in die Welt der Kannenpflanzen. Hier ist die Luft noch feuchter und stickiger, das ohrenbetäubende Rauschen eines Wasserfalls dringt auf mich ein. Dazu kommen lautes Donnern und Krachen – Gewitter im Regenwald. Genau das richtige Klima für die fleischfressenden Pflanzen.
Wieder zurück auf alten Pfaden höre ich Frösche quaken – oder sind es Kröten? Getrommelte Rhythmen untermalen die dschungelhafte Atmosphäre und in der Ferne vernehme ich Bäume, die im Wind wiegen. Schreiende Affen unterbrechen die Ruhe und Vögel drehen kreischend ihre Runden. Ich trete an eine Mooswand heran und lausche einer lieblichen Melodie, gespielt auf einer Panflöte. Die zuerst unstetig wirkenden Töne scheinen auf meinem Weg immer mehr an Form und Struktur anzunehmen, ich versinke in der Geräuschkulisse und lasse mich von den Eindrücken leiten.
Plötzlich kommt ein Gesang hinzu, ich verweile auf der Stelle und versuche, die Frauenstimme zu verstehen: Hogue’i sai-mi pokã y’uhei’i, raunt sie mir zu. Das bedeutet in der indigenen Sprache der Guarani soviel wie „feinblättrige Pflanze mit getrockneten Blättern, die vor Durst starb“, wie ich später erfahren sollte.
Mit den Guarani aus dem Jaguapiru Reservat in Brasilien arbeitet Alves seit 1980 zusammen und forscht an ihrer Praxis der Namensgebung. Ziel ihrer Forschung ist es, auf künstlerische Art und Weise das Wissen der heutigen Zeit zu entkolonialisieren. Seit Ende der Neunziger dokumentiert die Künstlerin mit dem Projekt Seeds of Change nicht-heimische Pflanzenarten in Hafenstädten rund um die Welt, um die Einflüsse von Kolonialisierung und Sklavenhandel zu verbildlichen.
You Will Go Away One Day But I Will Not zielt auf denselben entkolonialisierenden Effekt ab. Durch die individualisierte Klanginstallation fällt es einem als Besucher leicht, sich in das Eigenleben von Pflanzen hineinzufühlen. Den beiden Künstlerinnen gelingt es damit auf subtile Art und Weise, die indigene Herangehensweise an die Benennung von Pflanzen zu verdeutlichen. Dadurch wurde eine gelungene Darstellung von Aspekten der bis heute andauernden Kolonialisierung geschaffen.
Die Installation You Will Go Away One Day But I Will Not im Botanischen Garten wurde bis zum 15. Februar verlängert.