Alle Fotos: Dan Medhurst
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Floating Points ragt aus der Elektronik-Szene heraus. Sam Shepherd, der hinter diesem Alias steckt, ist einer wenigen jungen Producer, die die Clubmusik noch einmal ganz neu aufrollen. Der Nordengländer ist kein Head, der seinen Beat weitertreiben und perfektionieren will. Shepherd nähert sich der elektronischen Musik von außen: er hat eine klassische Klavierausbildung und besitzt mehr als 10.000 Schallplatten. Der klassische Kanon der Clubmusik interessiert ihn dabei weniger. Ihn begeistern und inspirieren Raritäten des Jazz und der Weltmusik.
Gilles Peterson war von einer Platte in Shepherds Sammlung so besessen, dass er sie gegen eine japanischen Sportwagen eintauschte. Wenn Shepherd nicht mit einem 12-köpfigen Fusion-Orchester tourt, spielt er schon mal im Berghain ein sechsstündiges DJ-Set, bei dem er einmal ein Album des Ethno-Jazzers Pharoah Sanders auflegte – in voller Länge. Darüber hinaus ist Shepherd auch noch Neurowissenschaftler und hat seine Musikerkarriere parallel zu einem naturwissenschaftlichen PhD gestartet.
Mittlerweile ist Shepherd hauptberuflich Musiker – und so möchte er auch gesehen werden. Sein drittes Album Crush bewegt sich weg von seinen bislang betont jazzig gehaltenen Produktionen und geht in eine elektronischere, düsterere und durchaus an zeitgeistige Dance-Elemente anknüpfende Richtung. Im Gespräch erklärt er, welche monatelangen Tüfteleien an Synthesizern notwendig waren, um diesen Sound möglich zu machen. Er spricht über Plattenläden als Keimzelle seiner Musik und über die Drum’n’Bass-Begeisterung seiner Teenagerzeit. Ben-Robin König und Alexis Waltz haben versucht, dem bestens aufgelegten Über-Nerd in die Karten zu gucken.
Dein neues Album klingt überraschend minimalistisch. Früher hast du ein breites Spektrum an Ideen und Klangstrukturen benutzt, das du aufwendig arrangiert hast. Auf Crush konzentrierst dich hingegen auf wenige Elemente.
Sam Shepherd: Vieles an diesem Album wird vom Setup bestimmt. Mein Studio ist sehr groß, die vielen Geräte überfordern mich aber. Für diese Platte habe ich mich auf einen Tisch mit Equipment beschränkt, den ich zum Touren benutzt habe. Ich dachte, ich werde einfach diese Geräte benutzen. Ich behandle diesen Tisch wie ein Instrument, ich kenne ihn in- und auswendig, weiß, wie alles verkabelt ist. Was die Technik angeht, ist also die gesamte Arbeit in dieses Setup geflossen.
Wie hast du dich entschieden, welche Geräte auf diesen Tisch kommen?
Ich muss Dinge auf bestimmte Art loopen können und die einzelnen Sounds müssen über verschiedene Kanäle laufen. Ich hab einen Computer, den will ich aber an anderer Stelle einsetzen – das ist ein ganz schönes Gefrickel. Ich nutze Max MSP und Ableton Live, aber bin in beiden Softwares nicht wirklich gut. Zum Aufnehmen verwende ich Logic. Mit der anderen Software fahre ich das gesamte Live-Setup ab, und nehme dann entweder in Logic oder mit einer Bandmaschine in der Ecke auf. Ein Riesenteil, mit 24 Spuren. Als es letztlich ans Produzieren ging, wollte ich einfach nur noch machen. Dabei gab es dann eine Menge Fehler, zumindest finde ich das. Ich mag aber, wie diese Fehler klingen. Alles ist chaotisch, klingt schrill. Das stört mich aber nicht. Das ist nun mal, was passiert.
Hätten dich diese Fehler früher in deiner Karriere gestört?
Vielleicht, ja. Ich war damals noch etwas forensischer, wenn es darum ging, Störgeräusche zu beseitigen.
Wie hat sich deine Einstellung geändert? Was ist heute anders?
Ich hatte einfach viel Spaß beim Produzieren. Ich hörte mir Sachen an und dachte (schnippt mit dem Finger): „Das ist es, lass es jetzt so! Ruinier’s nicht!” Sobald du anfängst mit Gedanken wie „Okay, ich mag diesen Teil, aber ich pack noch etwas Reverb drauf”, dann kommst du automatisch zum Punkt, an dem du das bereust, und die Freude daran verlierst. Ich höre mir das Album aber immer noch gerne an.
Du bist also kein Perfektionist, der nicht loslassen kann?
Ich hatte definitiv eine Phase, in der ich Sachen zu lang liegen ließ und nie zufrieden war. Solange, bis mich die Musik auf der Festplatte gelangweilt hat, und ich sie einfach rausbringen musste, frei nach dem Motto: „Wird schon passen”. Fast alle meine alten Veröffentlichungen lagen so lange rum, bis ich etwas veröffentlichen musste. Dieses Album habe ich dagegen in ein paar Wochen geschrieben.
Das gesamte Album?
Ja, das waren etwa fünf schräge und intensive Wochen.
„Ich brauchte ein bis zwei Jahre, um die Geräte einzurichten.”
Floating Points über sein neues Album „Crush”
Wie hast du die Kompositionen entwickelt, was für Gefühle wolltest du ausdrücken?
Es gibt definitiv wiederkehrende Elemente und Melodien auf dem Album. Ich hab jeden Tag im Studio verbracht und die meiste Zeit hatte ich das Gefühl, nichts von Interesse zu produzieren. Die meiste Zeit hänge ich eigentlich auf Discogs (lacht). Wenn ich gerade nicht durch Discogs scrolle, spiele ich Klavier. Ich spiele fast den ganzen Tag Klavier.
Improvisierst du?
Ja, gewissermaßen. Größtenteils spiele ich einfach rum, setze mich an die Synthesizer, probiere Sachen aus, die eher schlecht klingen. Manchmal starre ich auf die Module und denke, dass ich bestimmte Verbindungen bestimmt nicht ausprobieren werde. Aber es gibt diesen einen Synthesizer, den ich schon ewig habe, einen Rhodes Chroma. Das Teil hat vielleicht 30 Minuten funktioniert, bevor es jedes Mal heiß lief und anfing, verrückt zu spielen und letztlich streikte. Die Dinger sind recht selten, aber eines Tages hab ich einen zweiten entdeckt, der zum Verkauf stand. Ich hab ihn gekauft, als Ersatzteillager. Ich dachte, ich könnte Teile austauschen, und herausfinden, wo das Problem ist, sodass zumindest einer am Ende gut funktioniert. Jetzt hab ich zwei davon – und beide laufen wie geschmiert.
Du konntest beide reparieren? Wo lag das Problem?
Das Gerät basiert auf früher Computertechnik. Wahrscheinlich sind sie nicht wirklich gut konstruiert, die Technik ist in einen Holzrahmen eingefasst. Wenn sich das Holz ausdehnt, verbiegt es Teile im Inneren in Richtung der Leiterplatte. (lacht) Mir ist es irgendwie gelungen, anhand des zweiten die Fehler im ersten Chroma zu finden. Jetzt funktionieren beide perfekt. Ihre Programmierung ist aber unheimlich umständlich. Tim, der sich um die Technik in meinem Studio kümmert, hat ein Programm geschrieben, mit dem man beide vollständig kontrollieren kann. Das ist ein schönes, elegantes System – inzwischen verbring ich jeden Tag Stunden damit, Sounds auf diesem Synth zu produzieren. Der Rhodes Chroma wird oft polyphone ARP 2600 genannt [weil er dem ähnelt, aber mehrstimmig ist, Anm.d.Red.]: zweimal 16 Stimmen. Also 32 insgesamt. Leicht verstimmt, mit wunderschönen Effekten und größtenteils klavierartigen Sounds. Die Melodie und die Bassline von „Bias” und das gesamte „Birth” sind fast komplett auf dem Chroma entstanden. Ich habe endlos viel Zeit mit der Programmierung des Chroma verbracht, aber letztlich nur etwa fünf Minuten fürs Einspielen und Aufnehmen der Stücke. Im Grunde ging alles recht schnell. Ich brauchte aber ein bis zwei Jahre, um die Geräte einzurichten und den Umgang mit ihnen zu erlernen. (lacht) Für diesen Synthesizer allein! Sich, sagen wir, einen [Sequential Circuits, Anm.d.Red.] Prophet-5 anzuschaffen und zu glauben, du könntest direkt einsteigen, ist viel zu simpel gedacht. Bloß weil du Klavier spielen kannst, bedeutet das noch lange nicht, dass du dir den Charakter eines solchen Instruments direkt erschließen kannst. Du nimmst ja auch nicht einfach eine Flöte in die Hand und sagst: „Ich spiele die jetzt mal.” So leicht ist das nicht. (lacht)
Dieser witzige, zwitschernde Sound auf „LesAlpx“, ist das ebenfalls der Chroma?
Welcher? Das Dubidubub?
Genau der.
Das ist eine Hammond B3 Orgel, aber nur der Percussion-Teil. Du schließt alle Pfeifen. Ich liebe diesen Klang! In meinem Studio steht ein Leslie Cabinet-Lautsprecher, die Teile sind so druckvoll, so laut.
Wie bist du auf den Sound gekommen?
Einfach durch Herumspielen. Ich habe all diese Erinnerungen an Plastic People [ein Londoner Club, in dem Shepherd Resident war], an die Nächte dort und in anderen Läden. Es gibt diesen einen Track von Carl Craig, ich weiß gerade gar nicht mehr welchen: Der steigert sich endlos, dann kommt dieser gigantische Reverb, dieser monströse Hall und alles stürzt ins Nichts, in die absolute Stille. Ich mag die Idee, mit Reverb riesige Räume zu erstellen, den architektonischen Faktor daran. Mit Reverb änderst du die Struktur des Raums, und plötzlich (pfeift stimmlos) kippt es in die totale Stille. Ich liebe es, mit Klängen Räume zu verändern! Dieses Dubidubub erinnert mich an eine Nacht, das war eine Metalheadz-Party, voller schöner Drum’n’Bass-Tracks. Bei einem kam ein ähnlicher Sound, und einen Moment später droppte der Beat.
Wie hast du dich für dieses riesige Hallgebilde entschieden, das das Gegengewicht zu dem Dubidubub bildet? Das kommt schon sehr unerwartet.
Was meinst du, dass der Track ziemlich raumgreifend ist für dieses kleine Dubidubub?
Genau.
Das Reverb, der Hall bricht es auf! Direkt vor dem zweiten Drop gibt es so einen großen Build-up, und dann (Kunstpause) Dubidubub! (lacht) Das hat etwas Verspieltes, Keckes.
Heutzutage taucht Reverb auf einer Menge Platten auf, was cool ist, aber oft klingt jedes Reverb gleich und deshalb ziemlich langweilig.
Ich find es erstaunlich, dass man die einzelnen Reverb-Plugins inzwischen sogar alle erkennen kann. Ich höre mir Sachen an und denke „Okay, das hier ist ein Valhalla“ und so weiter.
Also nutzen alle dieselben Plugins?
Ja, aber hey: ich nutze die auch!
Bei dir klingt es aber ziemlich natürlich und ausgefeilt. Wie schaffst du das?
Ich lege Reverbs übereinander. Ich hab zum Beispiel den Neve AMS Reverb und eine Infernal Machine von Publison. Das sind digitale Reverbs aus den 90ern, mit einem satten Klang. Einen lass ich normal laufen, den anderen durch einen Phaser. Die beiden kombiniere ich, das ist ein heilloses Chaos. Ich hab absolut keine Ahnung, was ich da tue! Ich mach einfach so lange ahnungslos weiter, bis ich etwas höre, das gut klingt.
„Wenn in einem Raum mit wunderbarer Akustik die erste 808-Bassdrum ihren Weg aus den Lautsprechern in die Welt findet, ist das für mich ein besonderer Moment.”
Floating Points
Wie würdest du den Klang beschreiben, den du suchst?
Ich finde es irre, Phaser über Reverbs zu legen. Du hast diesen enormen Raum, und da legst du etwas sich näherndes, sich schließendes darüber. (pfeift wie ein vorbeiziehender Jet) Es ist ein stürzender Sound, wie ein Wasserfall. Und dann kannst du den Phaser zurück in ein anderes Reverb schicken. Ich liebe es, mittels Reverbs Räume zu erschaffen, die nicht wirklich existieren.
Viele nicht so gute Platten nutzen Reverb, um einen einen künstlichen Raum zu erzeugen. Aber es ist immer derselbe Raum. Die Nutzung des Reverbs wirkt wie ein ironischer Kommentar auf Sci-Fi-Filme, die ähnliche Reverbs benutzen, um künstliche Räume zu erschaffen. In deinen Tracks wiederum klingt das Reverb sehr eigen, wie etwas nie Dagewesenes.
Wenn ich mit einem Track anfange und Reverb benutze, läuft das stets über den Aux-Send-Kanal [am Mischpult, durch diesen Kanal läuft die gesamte Musik. Anm.d.Red.] Ich nutze es als Hilfsmittel, um die elektronischen Instrumente zusammenzuhalten. Das funktioniert prächtig mit Reverb. Meine Sorge dabei ist aber, dass die Menschen glauben, all meine Instrumente gehören in diesen spezifischen Raum. Elektronische Instrumente existieren in keiner akustischen Sphäre, bevor ihre Klänge zum ersten Mal die Lautsprecher verlassen. Umso wichtiger ist es mir, elektronische Instrumente wie akustische zu behandeln. Sie zum Beispiel durch Gitarrenverstärker zu speisen, ihnen einen Raum zu geben, in dem sie existieren können. Das hilft den Hörer*innen psychologisch, denke ich. Eine Synth-Spur bekommt da plötzlich einen ungewöhnlichen Hall (schnippt Finger), eine Art Slap-Back-Echo [den Hall, den es in jedem natürlichen Raum gibt, der kein Studio ist, d.R.], das fehl am Platz klingt. Aber es ist da, es manifestiert sich selbst.
Du erschaffst eine Natur, die nicht wirklich natürlich ist?
Genau. Eine Gitarre kannst du nur mit einem Mikrofon aufnehmen. Das Mikrofon wiederum nimmt aber auch Geräusche der Umgebung auf. Daher will ich Synths unbedingt einen Raum geben. Allerdings, sobald du dieses Feld erschaffen hast, denkst du „Nun, in dieser Fantasiewelt der Musik ist alles möglich, ich will einen (Klang-)Raum erzeugen, der wie kein anderer klingt.”
Was für Räume schweben dir da vor? Hast du bestimmte Vorstellungen, Bilder?
Ich mag die Idee von Unendlichkeit, nur wegen des dynamischen Bereichs, des Unterschieds zwischen unendlich starkem Hall und überhaupt keinem Hall. Wenn ich an Orte mit wunderbarer Akustik denke, in denen es kein Slap-Back-Echo gibt: Dort eine elektronische Platte zu spielen, die Vorstellung finde ich toll. Wenn dort die erste 808-Bassdrum ihren Weg aus den Lautsprechern in die Welt findet, ist das für mich ein besonderer Moment. Davor hätte sie im Weltall gewesen sein können, auf dem Mars. Du hörst es dir auf der Erde an und plötzlich wird es Wirklichkeit. Das mag ich an Reverbs. Es sollte allerdings nicht milchig klingen. Reverbs können schnell milchig klingen und bedeutungslos werden. Ich möchte noch immer Harmonien und Details hören können. Grouper bzw. Liz Harris aus der Shoegaze-Szene, die haben das extrem drauf.
Wessen Reverbs magst du in Dance Music?
Wer hat guten Reverb in der elektronischen Musik? Carl Craigs frühe Tracks! Der hatte ein verrücktes Reverb. Das ist eine gute Frage, wow. (denkt nach) Ich hab neulich eine gute Platte von Karenn gehört, von Blawan und Pariah. Die hat ein krasses Reverb.
Hast du die beiden mal live gesehen?
Ja, auf dem Dimensions vor ein paar Jahren, es war heftig. Sie machen verdammt gute Musik! Hm, vielleicht kaufe ich nicht genügend Dance-Platten!
Wann hast du Dance Music entdeckt? Du hast musikalisch ja einen eher klassischen Hintergrund.
In Plattenläden. Ich hab bestimmt vorher auch schon einiges im Radio gehört. Aber wirklich etwas zu entdecken und für gut befinden, das ist erst in Plattenläden passiert. Ich war viel bei Fat City Records in Manchester und bei Factory Records – das war ein Label, die hatten aber auch einen Shop. Der lag direkt neben meiner Schule. Die hatten unglaublich günstige Platten, ich habe da viel Piano House gekauft. Inzwischen wäre das bestimmt eher peinlich. Und ich stand wirklich auf Drum’n’Bass. Inzwischen mache ich langsamere Musik, aber als ich nach London kam, hab ich immer noch Jungle gehört. Das war das erste Genre, das ich geliebt, das ich für die beste Musik der Welt gehalten habe.
Hast du nie probiert, einen klassischen Clubtrack zu produzieren? Deine Musik war eigentlich von Anfang an stets diese anspruchsvolle Mixtur aus zeitgenössischer Dance Music und Soul, Jazz, World Music. Warum hast du nie gedacht: „Ich möchte eine Doc Scott-Tune machen – nur ein kleines bisschen besser!”
Wollte ich! Es gab da eine Phase. (lächelt)
Aber du hast nie so etwas rausgebracht!
(Lacht laut auf) Niemals! Ich schätze, wenn du tief genug diggst (lacht), es gibt da schon etwas. Ich trieb mich in Foren rum, diskutierte über Produktionstechniken. Ich war ein ziemlicher Nerd.
Warum hattest du das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Verglichen mit anderen Produzent*innen, die relativ eingleisig fahren, die viel übernehmen, und nur einzelne Aspekte verbessern wollen, hast du einen breiten Blick auf diverse Musikstile und integrierst vieles.
Ich glaub, Drum’n’Bass hat für mich nie funktioniert, weil es eine Musik ist, die gut produziert sein muss. Das ist so eine Art ungeschriebenes Gesetz.
Aber das kannst du ja.
Damals nicht, ich hatte keine richtigen richtigen Umgang mit der Technik. Ich habe mich nie mit Musiktechnik beschäftigt. Ich hab zwar einen A-Level-Abschluss in Musikproduktion, aber weiß nicht wirklich etwas davon.
Wie kamst du dann dazu, als Pianist elektronische Musik zu produzieren?
Das war ziemlich cool, unsere Schule hatte zwei Studios. Ein Midi-Studio und ein richtiges Studio. Dann bekam die Schule einen Zuschuss für ein neues Studio, mit dem sie ein Digital-Studio bauten. Alle wollten das nutzen, das lief über ADATs [ein digitales Tonband der Firma Alesis]. Nutze niemals ADAT! Das alte Midi-Studio wurde nicht mehr genutzt, und der Musiktechnik-Lehrer meinte, ich könnte es nutzen, wann immer ich wolle. Ich hab es mehr oder weniger in mein eigenes Studio verwandelt.
Da gab es ein achtspuriges Tonbandgerät, einen Akai S950 und einen alten Atari. Auf dem musste man Cubase mit jedem Start neu installieren, von einer Diskette. Ich hab keine Platten gesamplet damals, es gab keinen Plattenspieler dort und ich wusste nicht, dass Leute Platten samplen. Also sampelte ich solches Zeug – (schlägt gegen Gläser und den Tisch). Ich hab meine Tracks aus Haushaltsgegenständen gesamplet, Schlüsselgeklimper und so. Damit fing ich an, elektronische Musik zu machen. Das Studio hatte einen Korg MS-20 und ein Yamaha DX7, alles recht simpel. Das Setup eines simplen Bedroom-Studios, wenn auch eines guten!
Damals war ich zwölf oder 13. Ich war verdammt gut am S950, konnte ihn unheimlich schnell programmieren und kannte mich bestens mit den Midi-Files aus. Der S950 ist ein recht früher Sampler mit etwa vier Sekunden Samplezeit. Ich produzierte damit elektronische Musik ohne zu wissen, dass dBridge wahrscheinlich das gleiche Teil für einige der einflussreichsten Drum’n’Bass-Platten benutzte. Ich wusste damals nicht, dass andere damit Drums sampelten. Ich hab stattdessen die Spange am Kugelschreiber gesampelt (spielt lachend mit einem Kugelschreiber rum), weil ich nichts anderes hatte! Ich habe Drum’n’Bass-Tracks mit Kugelschreibern als Hi-Hat produziert!
Das klingt spannend.
Manches davon ist witzig, ja. Ich habe eine Sammlung von zwölf bis 15 Tracks mit Haushaltsgegenständen, genannt Domestic Cycles.
Eine Art Musique Concrète?
Genau. Es ist aber auch rhythmisch. Ich mochte nicht viel Musique Concrète, mir fehlte stets der Beat. Nicht, weil ich Musik ohne Beat nicht mag, aber für mich ergibt es immer mehr Sinn, wenn die Klänge in Rhythmen geordnet sind. Ich habe Dance Music mit Kugelschreibern und Gläsern gemacht, weil es ganz ok für mich klang. (lacht) Aber ich würde es nicht wirklich Produzieren nennen.
Floating Points
„Ich hab die Pressvorlage für meine erste Platte im Kühlschrank an meiner Uni gelagert. Das Teil war so groß, ich musste den Kühlschrank für biologische Gefahrenstoffe benutzen!”
Wie hast du dann weitergemacht, was war der nächste Schritt?
Also, ich war total besessen von Drum’n’Bass und Jungle, hing nur in Plattenläden ab. Im Grunde hab ich einfach nur das Tempo gesteigert – so habe ich Drum’n’Bass gemacht! (schnippt immer schneller mit der Spange des Kugelschreibers) Ich hatte ein Roland RD700, ein Keyboard mit integrierten Drumsets und Synths. Das Reverb des Teils klang so grauenvoll! Sämtliche meiner Drum’n’Bass-Tracks haben dieses Reverb, und es klingt einfach nicht gut. Ich weiß nicht, ob irgendwelche dieser Stücke in der Welt herumschwirren. Ich würde mich so schämen, wenn jemand sie hört!
Sind einige davon rausgekommen?
Ich hab’s versucht! Ich hab mich ewig bei Hospital Records angedient, bei Tony Colman. Die waren nett zu mir. Das ist das Coole an der Drum’n’Bass-Szene, alle sind so positiv und ermutigend. Sie sagen zwar, wenn etwas nicht gut ist, aber machen dir Mut: „Steck eine Socke in den Lautsprecher, das macht den Bass kraftvoller. Und bleib am Ball!”
Wie kam es dann zu deiner ersten Platte?
Durch die Plattenläden. Ich wollte unbedingt selbst eine Platte in den Kisten stehen haben. Ein Track von mir wurde bereits ein paar mal auf Piratensendern gespielt, also lieh ich mir Geld von meinen Eltern – sie meinten, sie hätten es auch gern zurück. Ich bin zum Presswerk gefahren und hab direkt dort gefragt, ob sie eine Platte pressen könnten. „So läuft das nicht”, war deren Antwort (lacht). Also hab ich eine Pressvorlage erstellen lassen, und gefragt, wie es jetzt weitergeht. Bin wieder zum Presswerk, dort meinten sie: „Du musst einen Termin buchen.” Ich hab die Pressvorlage im Kühlschrank meiner Uni gelagert. Das Teil war so groß, ich musste den Kühlschrank für biologische Gefahrenstoffe nehmen! (lacht) Schlussendlich bin ich wieder zum Presswerk, hab 200 Exemplare pressen lassen und hab die Läden abgeklappert, gefragt, ob sie sie verkaufen würden. Mir wurde der Verkauf auf Kommission angeboten, und wir sind alle losgeworden. Benji B hat sie sogar in seiner Show beim BBC Radio One gespielt
Wie heißt der Track?
„For You”.
Lief der schon unter Floating Points?
Ja, es ist mein erste Release. Auf Eglo, es war gleichzeitig auch die erste Platte des Labels von meinem Freund Alex und mir. So fing alles an – ich wollte einfach meine eigene Platte in den Läden stehen sehen. Sie hat sich gut genug verkauft und ist im Radio gelaufen. Benji hat mich gefragt, ob ich Demos hätte, und natürlich hatte ich was. Gilles Peterson und Patrick Forge spielten die Platte auch oft in ihren Sendungen.
Dann hast du schnell Anerkennung gefunden.
Mehr oder minder. Ich war Teil der ganzen Leute, die in Plattenläden abhängen. Ich ging zu Phonica, zu Sounds of the Universe und zu If Music. Dort traf ich Patrick Forge [Mitstreiter von Gilles Peterson beim legendären Londoner Club Dingwalls, Anm.d.Red], erlebte wie er sich Platten [des US-amerikanischen Jazz-Musikers, Anm.d.Red.] Joe Henderson anhörte. Patrick ist ein umgänglicher Typ, er meinte einfach zu mir: „Hey, ich mach auch Musik.” Ich hing mit Nicky Blackmarket ab und mit Ray Keith [beide Drum ‘n’ Bass Legenden, Anm.d.Red.]. Du willst eigentlich Platten kaufen, triffst dabei Gilles Peterson oder Benji, und gibst ihnen eine CD mit deinen Sachen. Das war eine Ära.
Eine vergangene Ära. Die Leute gehen nicht mehr so viel in Plattenläden.
Ich schon. Manchmal geben mir Leute ihre CDs. Es ist nur schwierig geworden, sie sich anzuhören, mein einziger CD-Player ist in meinem Auto.
Wie wichtig ist Discogs für dich?
Ich finde, ehrlich gesagt, kaum was auf Discogs. Ich nutze die Seite eher zum vervollständigen von Sammlungen, schaue nach Sachen, die ich mag, danach, was sonst noch auf dem Label erschien, sagen wir auf SR Records aus Texas. Wer immer A&R dort war, hatte bestimmt einen guten Geschmack – also suche ich weiter und stoße so auf etwas. Eigentlich sind es aber wieder die Plattenläden, die Menschen, die dort arbeiten und dir eine Auswahl hinlegen (schnippt mit dem Finger): „Hier, das könnte was für dich sein!” Das sind Beziehungen, die sich über Jahre entwickeln, in denen die deinen Geschmack kennenlernen. Oder du hörst etwas, sagen wir, eine Platte von Pépé Bradock, und gehst zum Tresen und sagst: „Das ist großartig, was habt ihr noch?” Das ist das schönste an dem Job. Menschen, die auf schräge Samples stehen, diese bestimmte Platte von Matthew Herbert empfehlen. Diesem Netzwerk verdanke ich alles!
Danke, das ist ein guter Schlusssatz.
Nein, ich könnte noch stundenlang weiterreden.
Dann eine letzte Frage – hast du wieder mal eine Platte gegen ein Auto getauscht?
Ich bin das Auto zum Glück wieder losgeworden. Die Karre war ein Albtraum, mannomann. Ich fahr jetzt einen Golf, der ist zuverlässig.