Fotos: Presse (Oye Records)
Als Markus Lindner Mitte der Nullerjahre Teilhaber des Plattenladen Oye Records wurde, fanden sich im House-Fach gerade mal zehn Platten. Wenig später mauserte sich das Geschäft im Prenzlauer Berg zur Berliner Anlaufstelle für Funk-, Soul- und Disco-infizierte Clubmusik. Mit den Oye Edits brachte Lindner eines der maßgeblichen Edit-Labels an den Start, es folgten ein Vertrieb, eine zweite Filiale in Kreuzkölln und viele eigene Veranstaltungen. Mittlerweile beschäftigt Oye 17 Mitarbeiter*innen. In unseren Gespräch erklärt Lindner, warum er Oye jetzt, nach etwa 15 Jahren, den Rücken kehrt.
Gestern hast du in einem Facebook Post bekannt gegeben, dass du aus dem Oye Plattenladen, -Label und -Vertrieb aussteigen wirst. Was hat dich dazu bewogen?
Markus Lindner: Nach 15 Jahren war es an der Zeit, ein Resümee zu ziehen und sich zu überlegen, wo die Reise eigentlich hingeht. Sowohl für Plattenläden im Allgemeinen, als auch für den gesamten, kulturellen Zusammenhang. Dazu gehören auch Hörgewohnheiten, der Konsum der Musikliebhaber*innen und die Clubkultur. Darüber habe ich mir schon immer viele Gedanken gemacht und auch Pläne ausgearbeitet, unter anderem dazu, wie eine Firma wie Oye in den nächsten 5 bis 10 Jahren aussehen könnte. Aber nach 15 Jahren ist das manchmal wie in einer Ehe. Auf einmal sind die eigenen Visionen und Ideen mit den Partnern nicht mehr auf einer Linie und dann muss man auch einsehen, dass das vielleicht keinen Sinn mehr macht. Das war natürlich ein langer Prozess für alle Beteiligten, aber letztendlich muss man die Situation erkennen und einen sauberen Schlussstrich ziehen.
Wie würdest du beschreiben, was du mit Oye auf die Beine gestellt hast?
Das war für mich eigentlich immer relativ schwer einzuschätzen. Meine Intention war eher immer: „Lass das mal machen, das klingt gut oder interessant“. Und wenn man mit so einem kleinen, aber euphorischen und leidenschaftlichen Team wie bei Oye arbeitet, dann kommen die Ideen oft von alleine oder ergeben sich ganz natürlich. Nach meinem Statement auf Facebook war ich doch sehr positiv überrascht, wie die Menschen da draussen reagiert haben. Die meisten kenne ich ja auch persönlich. Da merkt man doch, dass man etwas „auf die Beine gestellt hat“ und Teil dieser Musikwelt oder Musikkultur geworden ist. Ich habe einfach immer versucht, einen positiven Beitrag zu leisten, weil ich von allen Projekten, die wir realisiert haben, überzeugt war. Ich glaube, dass haben viele gemerkt, dass da Herzblut dahinter steckt und nicht kein strategischer Plan. Deshalb wurde Oye ein wichtiger Teil der Berliner Musikszene. Wir haben es auch geschafft, die Vinyl-Liebhaber wieder in die Plattenläden zu bringen, ab ca. 2007.
Auf welchen Mangel in der Berliner Szene hast Du reagiert?
Als Plattenladen haben wir immer relativ früh auf Trends reagieren können, da eigentlich alle Mitarbeiter gut in der Szene vernetzt sind und auch als DJs unterwegs waren oder sind. Deshalb konnte man auf gewisse „Mangelerscheinungen“ – wenn man das so nennen kann – schnell reagieren. Es gab einfach Momente, wo die Party-Leute wieder einmal etwas anderes hören wollten und dann kam z.B. so ein Künstler wie Max Graef um die Ecke und lieferte ein Klassiker-Album ab. Da waren wir einfach auch am Start und Teil des Ganzen. Das wird einem aber ehrlich gesagt erst im Nachhinein bewusst, wenn man realisiert, wie die Umwelt immer noch darauf reagiert und das Feedback von allen Seiten positiv ist.
Was wann die schönsten Momente?
Es gab wahnsinnig viele schöne Momente, das würde zu lagen dauern, alle aufzuzählen. Wir haben über die Jahre In-Store-Sessions mit über 400 DJs und Bands veranstaltet, das war auch etwas, was zu der Zeit keiner mehr gemacht hat. An zwei, drei davon erinnere ich mich immer gerne: Einmal Daniel Wang & Alex from Tokyo anlässlich eines Compilation-Release, Daniel hat moderiert und Vinyl-Box-Sets verlost. Jeder, der ihn kennt, weiss, was für ein genialer Entertainer er ist. Das andere war der DJ Kicks-Launch mit Soul Clap und Wolf+Lamb. Wir hatten am Ende eine richtige Party im Laden. Nur noch die Discokugel war an, und alle haben getanzt. Auch die Live Session mit Max Graef und Joschka zum Album Launch war grossartig. Alles war familiär, und es lag diese spezielle Stimmung in der Luft. Man hat gespürt, wir da was Tolles haben und machen.
Die Fete de la Musique vorm Laden war einfach zu krass. Die Polizei war so nett und hat die Strasse gesperrt. Da waren ca. 5.000 bis 6.000 Leute am Start. Leider wollte mir das Amt für das darauf folgende Jahr hohe Auflagen aufdrücken – da hätten wir nur verloren. Somit war das eine einmalige geniale Sache.
Die zwei Oye-Nächte in der Panorama Bar waren auch sehr schön, es war toll, mit ND_Baumecker zusammen das Booking zu machen und als kleiner Plattenladen dort zwei Nächte mit Freunden vor- und hinter dem DJ Pult zu feiern. 15 Jahre Oye in der Wilden Renate war auch ein wichtiger Moment: Über 28 DJs, die für Oye gespielt haben, teilweise b2b in Konstellationen, die so noch nicht stattgefunden haben: Eddie C mit Akira Hawks zum Beispiel.
Und was waren die schwierigsten Momente?
Schwierige Momente gab es auch viele. Aber daraus muss man lernen und weitergehen. Manchmal war ich zu naiv und gutgläubig und habe den falschen Leuten per Handschlag vertraut. Da fällt man auch mal auf die Schnauze. Das passiert aber nur einmal. Und wenn man die emotionale Seite verarbeitet hat, geht man gestärkt daraus hervor. Wenn ein Mitarbeiter den Laden verlassen hat, war das immer ein Gefühl, wie wenn ein Familienmitglied geht. Das war nie angenehm, aber die Person war auch nicht aus der Welt.
Wie geht es mit Oye ohne dich weiter? Wer kümmert sich in Zukunft um die Labels?
Das kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich sagen. Ich versuche jetzt noch, die Releases, die in der Pipeline sind, auf die Welt zu bringen und dann muss man weitersehen.
Und: Wie soll deine berufliche Zukunft aussehen?
In meiner privaten Familie gibt es jetzt bald den zweiten Nachwuchs! Das werden wir erstmal genießen. Beruflich werde ich möglicherweise als Manager anderer Labels tätig sein. Aber vor allem will ich mich jetzt mehr auf meine DJ Karriere [als Delfonic] konzentrieren und regelmässig auch Musik veröffentlichen. Dafür werde ich auch eine Plattform schaffen, um in meinen Augen talentierten Künstlern und Musikern Möglichkeiten aufzuzeigen. Denen würde ich gerne helfen, wenn ich dort Potential erkenne. Und gibt auch schon eine Kooperation mit Kapote von Toy Tonic, Toy Toye, wo wir uns ein bisschen ausleben, was Clubmusik angeht. Aber alles immer mit hohem Spaßfaktor und Funkyness!
Lest hier unser ausführliches Interview mit Markus Lindner von 2017.