Früher lernten viele die elektronische Musik über FM-Radiosender kennen. Robert Hood etwa erfuhr erst durch Radiohosts wie Electrifying Mojo, dass diese Art von Musik überhaupt existiert, und frühere Generationen von Groove-Leser*innen wurden durch die HR3-Clubnacht mit Sven Väth an Techno herangeführt. Die digitale Revolution des 21. Jahrhunderts hat eine neue Form von Radio hervorgebracht – das Web-Radio. Diese Wende hat eine neue, kollaborative Kommunikation zwischen Radiomacher*innen und Community ermöglicht. Über das Internet verbreitet sich der musikalische Underground über lokale und nationale Grenzen hinweg und bringt Gleichgesinnte zusammen.
Wie sieht die moderne Radiolandschaft im deutschsprachigen Raum aus? Welche Erfolgsmodelle und Formate haben sich bereits etabliert? Wie wirken die lokalen Musikszenen und Radios aufeinander und was entsteht daraus? Im Rahmen unserer Serie Web-Wellen haben wir diese Fragen sieben Webradios aus dem deutschsprachigen Raum gestellt. Tune in!
Radio 80000, das sind die Initiatoren Felix Flemmer und Leo Bauer und viele andere Münchner*innen und Gäste aus aller Welt. Denn Radio 80000 ist ein Radio von und für die Community des (elektronischen) Undergrounds. Ansässig in einem umgebauten Container nahe des Münchener Ostbahnhofs, werden täglich Programme von insgesamt über 100 Partizipierenden gesendet. Hauptsächlich besteht dieses aus regulären Shows, aber auch Studiosessions von lokalen und (inter-)nationalen Künstler*innen.
Eine Plattform, um sich mit verwandten Seelen zu vernetzen
Angefangen hat alles mit dem Wunsch nach Vernetzung, einem kreativen Miteinander von Musiker*innen und Produzent*innen und dem Verlangen, etwas Eigenes an den Start zu bringen, um dem lokalen Untergrund ein Zuhause zu geben und eine Begegnungsstätte zu schaffen. Kommerzielle Radios waren nicht das, was sich Leo und Felix vorstellten: „Wir haben relativ schnell herausgefunden, dass das, was diese Radios verkörpern, nicht das ist, was wir repräsentieren wollen.“ Inspiriert von Online-Radios wie Red Light Radio oder Dublab LA, eigneten sich Leo und Felix das benötigte technische Know-How an, um zuerst aus dem Home-Studio und zwei Jahre später dann – Anfang 2017 – aus dem heutigen Container zu senden. Das Studio ist ein Kollaborationsprojekt mit dem lokalen Plattenladen Public Possession.
Seit den ersten Tagen hat sich einiges getan: Während anfangs täglich von 21:00-22:00 Uhr live gesendet wurde und ansonsten 95 Prozent der Sendungen Re-Streams waren, hat das Radio 80000-Kollektiv seit dem Umzug in ihr festes Studio im Container am Ostbahnhof viel mehr Möglichkeiten live zu senden und Künstler*innen eine Plattform zu bieten, um sich mit verwandten Seelen zu vernetzen. Das war auch einer der Kerngedanken hinter der Gründung von Radio 80000: „Vor allem in München ist es wichtig, Anfänger und weniger bekannte DJs an die Decks zu lassen, um ihnen den Einstieg in die Szene zu ermöglichen. München ist keine Metropole, deshalb ist es wichtig, dass die Leute sich vernetzen, auf die Partys von befreundeten Crews gehen und sich gegenseitig supporten, damit eine vielseitige Underground-Kultur entstehen kann“, sind sich Leo und Felix einig.
„Kein DJ hat nur Platten, die er auf der Party spielt.“
Momentan bewegt sich einiges in München. Die alte und neue Rave-Generation finden sich organisch zusammen und bilden eine lebendige Community. Da sind Leute wie Ghosttown Sound, die Ruffhouse-Label-Crew oder junge Techno-DJs wie DJ Köfte oder Phalan. Aber auch Kollektive und Labels wie Molten Moods und Squama Records sind am Start. UK Bass feiert in der bayerischen Landeshauptstadt zur Zeit ein kleines Revival, ein erfrischender Kontrast zur Techno-fokussierten Clubszene. Dennoch betonen Leo und Felix, dass es bei Radio 80000 auch ganz besonders wichtig sei, Musik abseits des Dancefloors einen Raum zu geben: „Viele haben Bock auf eine Radioshow, weil sie ihnen eine Möglichkeit bietet, den Sound zu spielen, den man eben nicht auf dem Dancefloor spielen kann. Kein DJ hat nur Platten, die er auf der Party spielt. Jede*r von uns ist von vielen Genres beeinflusst.“
Radio 80000 bietet jedoch nicht nur Raum für Musik, sondern sendet auch diverse Wortbeiträge. In der einstündigen Sendung “Fructa Talks” – eine Kollaboration zwischen Radio 80000 und dem Kulturprojekt Fructa Space – wird mit Künstler*innen über ihre aktuellen Projekte, Ausstellungen und Arbeitsweisen gesprochen. Oder auch die “Sendung zum Mitschneiden”, in der Jakob Braito sich mit Gästen über deren jeweiliges Lieblingsalbum austauscht und dieses dann im Anschluss genüsslich zusammen angehört wird. “Tender Talks” vereint beides und zeigt den Barkeeper Dominik Schelzke wie er mit seinen Gästen plaudert, während er Drinks mixt und seine Lieblingsplatten laufen lässt.
Kollaborationen in München und Europa
Da Radio 80000 vom Geist der Community lebt, war es für Leo und Felix von Anfang an wichtig, sich mit verschiedenen Instanzen der Club- und Subkultur zu connecten. So haben sie bereits in Zusammenarbeit mit verschiedenen Münchner Clubs wie der Roten Sonne, dem Blitz, dem Charlie, der Cucurucu Bar oder dem Import/Export Partys veranstaltet. Und auch mit verschiedenen Radiostationen, wie Dublab LA, Operator Radio unc dem Radio Bollwerk aus Bern haben die Münchner kollaboriert und Sendungen auf der jeweils anderen Plattform gestreamt oder waren persönlich zu Besuch. Deshalb war die Umsiedlung in das Container-Kollektiv ein entscheidender Schritt für Radio 80000: „Wir sind ja nicht nur ein Onlineradio, sondern auch eine Offline-Plattform, wo man sich auf ein Bier trifft, Musik hört, auf unserer Terrasse abhängt und sich mit anderen austauscht. Manchmal artet das auch zu kleinen Partys aus. Solange der*die DJ nicht gestört wird, ist das aber genau richtig so.“
Auf Video-Streaming, wie man es zum Beispiel von Red Light Radio oder dem Kiosk Radio aus Brüssel kennt, wird bei Radio 80000 bewusst verzichtet. „Der Vibe in der DJ-Booth ist einfach ganz anders, wenn die Beteiligten wissen, dass gefilmt wird.“ Zwar wurde vom Lighthouse Festival in Kroatien videogestreamt, aber nur, um die Umgebung und die Stimmung einzufangen. Nach Genres wird überhaupt nicht sortiert. Wichtig für die Radio-Crew ist nur, dass die Stimmung zur Tageszeit passt: Soll heißen, dass das härteste Techno-Set nicht gerade am Mittwochmorgen um neun Uhr läuft. Dennoch soll all der Musik, die sich im Untergrund bewegt, der gebührende Raum gegeben werden – sei es nun Hip Hop, Drum and Bass oder Ambient.
Wie aber finanziert sich ein nicht-kommerzielles Radio? Na, durch die Community! Wichtig ist der Radio 80000-Crew die Unabhängigkeit und Freiheit. Deshalb verzichten sie auf Sponsoren und finanzieren sich durch die Veranstaltung von Partys. Dennoch stecken sehr viele Leute unbezahlte Arbeit in die Erhaltung des Radios: „Dafür müssen wir uns aber vor niemandem rechtfertigen oder erklären. Und können alles nach unseren Vorstellungen machen.“