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Kappa FuturFestival: Die Zukunft ist der Status quo

Foto: Marco Walker (Kappa Futur Main Stage)

Die Verbindung zwischen Turin und elektronischer Tanzmusik liegt gewissermaßen auf der Hand, nimmt die Metropole im Nordwesten Italiens doch eine Rolle als bedeutendes industrielles Zentrum des Landes ein. Nicht zuletzt der Textilriese Kappa hat seinen Hauptsitz in Turin, der 2012 mit dem Kappa FuturFestival eine selbstbetitelte, gigantische Technoparty aus der Taufe hob. Einen passenden Veranstaltungsort fand man mit dem ehemaligen Industrie- und Fabrikgelände Parco Dora schnell: Die riesige Anlage im Herzen der Stadt scheint wie gemacht für einen überdimensionierten Rave; hoch aufragende, rostbraune Stahlpfeiler fassen die Hauptbühne ein, die drei weitere Bühnen säumen, bis auf die Dora Stage selbstverständlich nach ihren jeweiligen Sponsoren benannt. Seat, Jägermeister und der Energydrink Burn drücken drei der vier Stages ihren Stempel auf, der Autohersteller verteilt in seiner Lounge gar Fächer mit der Aufschrift „We Love Underground.”

Parco Dora by Marco Walker
X Die ikonischen Stahlpfeiler des Parco Dora (Foto: Marco Walker)

Sind damit die monetären Rahmenbedingungen erstmal umrissen, dürfte schnell klar sein, welche Acts das Kappa Futur beehren. Fast ausschließlich Künstler der höchsten Gewichtsklasse – Nina Kraviz, Modeselektor, Amelie Lens, Ricardo Villalobos usw. – fanden sich an zwei Tagen von 12 bis 24 Uhr in der Hauptstadt der Piemont-Region ein, Experimentierfreude stand freilich nicht an der Tagesordnung. Nach dieser sehnten sich die knapp 50.000 Besucher aber auch keineswegs: Wie an den unzähligen Fußballtrikots abzulesen war, bestand das Publikum hauptsächlich aus – Überraschung – Italiener*innen und den omnipräsente Brit*innen, die sich, ganz im Stile einer Techno-Grand Tour, zu einem ekstatischen Daydrinking-Wochenende zusammenfanden. So war es nicht weiter verwunderlich, dass die besonders Feierwütigen bereits im Shuttlebus vom Flugzeug zum Terminal im Kreis tanzten und erste Schlachtgesänge anstimmten. Vor den Bühnen selbst intensivierte sich diese buchstäblich aufgeheizte, testosteronschwangere Gemengelage naturgemäß noch. Gefühlt 90 Prozent der anwesenden Männer präsentierten sich oberkörperfrei, die zahlreich anwesenden Sanitäter hatten ob der schwülen Temperaturen alle Hände voll zu tun. Glücklicherweise blieb die Stimmung aber weitestgehend friedlich, auch bei den potenziellen Publikumsmagneten lief es glimpflich ab.

HAAi by Paolo Scalerandi
X HAAi hat die Dora Stage im Griff (Foto: Paolo Scalerandi)

Eigentlich startete das Kappa Futur aber bereits am Freitag: Die Opening Party mit Ge-ology krankte aber an der unglücklich gewählten Location. Zwar lag der Club namens Kogin’s direkt am Po – no pun intended -, schien mit seiner Anlage, aus der sich ohrenbetäubende Höhen schälten, und rein architektonisch aber überhaupt nicht für den Anlass bestimmt. Die Terrasse, auf der keine Musik lief, schien beispielsweise größer als das vom Amerikaner bespielte Interieur. Die Entscheidung, sich die notwendige Kraft für Samstag und Sonntag aufzusparen, fiel also leicht. Den ersten regulären Festivaltag läutete dann DJ Nobu auf der Seat-Stage ein, dessen Set nicht so recht zur Tageszeit und den tropischen Temperaturen passen wollte. Nur zaghaft scharten sich die Besucher um die Bühne, von der aus der Japaner typisch düstere Techno-Cuts in die Menge streute. Am besten funktionierte wohl noch Boston 168s Acid-getränktes, tranciges „Cosmic Radiation” – möglicherweise aufgrund des Heimspiel-Faktors. HAAi bewegte sich auf der Dora Stage auf einem ähnlich anspruchsvollen Energieniveau, schaffte es aber mit ihren rohen, perkussiven Sounds, das Publikum weitaus mehr zu fordern. Das Set der Australierin verdeutlichte einmal mehr, wieso eine genreübergreifende Selektion mit abwechslungsreicher BPM-Zahl, unsteten Rhythmen und Wagemut inzwischen mehr als State of the Art denn als ein Zeichen von Übermut gilt.

MCDE & Jeremy Underground by Paolo Scalerandi
X Motor City Drum Ensemble & Jeremy Underground konzentriert (Foto: Paolo Scalerandi)

Übermütig, zumindest so sehr es die Hitze zuließ, tänzelte wenig später auch jemand im Eisbärkostüm auf der Seat Stage neben Amelie Lens, die konsequent ihrem aufreizend glatten Big Room-Sound frönte. Zischende, doch berechenbare Hi-Hat-Gewitter hier, perlende Acid-Lines da – die Menge johlt. Der Slot von 20 bis 22 Uhr sollte jedoch nicht ihr einziger gewesen sein: Da Peggy Gou am Sonntag wegen einer Lebensmittelvergiftung absagen musste, unterhielt die Belgierin die Burn Stage am nächsten Tag von 14 bis 16 Uhr. Den Samstag beschlossen dann Gerd Janson & Prins Thomas mit einem euphorischen b2b, das etliche Hits beinhaltete. Marie Davidsons „Work It“ im Soulwax-Remix fand ihren Weg in die zwei Stunden ebenso wie Dominicas unzerstörbares „Gotta Let You Go“, das selbst den abgekämpftesten Besuchern noch heisere Chöre entlockte. Tag eins bestätigte die Erwartungen relativ akkurat; das Kappa Futur präsentierte sich als ein denkbar aufwendig produziertes Festival mit hervorragendem Sound auf verhältnismäßig engem Raum und LED-Kreationen, die auf die Künstler zugeschnitten waren. Tonüberschneidungen gab es praktisch keine, die industrielle Umgebung beeindruckte und der Großteil der Besucher schien jede einzelne Sekunde des präzis kalkulierten Spektakels zu genießen.

X Nina Kraviz auf der Hauptbühne (Foto: Sinestesia)

Das sonntägliche Line-Up fiel dann nochmal eine Spur brachialer aus. Erst absolvierte Charlotte de Witte auf der Seat Stage ein Set, das dem von Amelie Lens am Vortag erstaunlich ähnlich klang, den Acid-Einschlag wohl aber nochmal intensivierte. Ricardo Villalobos sorgte auf der Burn Stage für Hochstimmung: Wie üblich servierte er seine unnachahmliche Version von sommerlichem Minimal House, den er – man höre und staune – zeitweise gar mit Breakbeats garnierte. Diese Mixtur funktionierte auch auf dieser überdimensionalen Bühne – allen Bedenken zum Trotz. Wie immer in bester Laune wandelte Ricardo hinter dem DJ-Pult hin und her, verteilte Umarmungen und mixte nur, wenn es die Situation auch erforderte. Die Dora Stage, pittoresk an einer vollurinierten Hecke gelegen, entpuppte sich am Sonntag jedoch endgültig als Sehnsuchtsort des Parco Dora. Motor City Drum Ensemble & Jeremy Underground setzten auf eine Mischung aus Sample-lastigem Discosound und warmem House, der vor allem den Besuchern gewidmet zu sein schien, die von der langsam um sich greifenden akustischen Monotonie eine Auszeit brauchten. Dass dies der Fall war, merkte man am hohen Besucheraufkommen, das die musikalische gewagteste Bühne des Festivals erstmals aus allen Nähten platzen ließ. Nach Nina Kraviz, die es wieder einmal schaffte, ihre Musik der Umgebung – in diesem Fall der riesigen Jäger Stage – anzupassen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren, beschlossen Modeselektor das Festival. Dass man es hier nicht mit dem eigentlich angekündigten Live-Set zu tun hatte, wurde auch ungeübten Ohren klar, als „The Bells” von den Stahlpfeilern des Parks widerhallte. Vermutung: Aufgrund technischer Probleme entschlossen sich die beiden einfach dazu, mit einem Hits-only-Set dem Festival einen simplen wie wirkunsvollen Abschluss zu verpassen. Neben Jeff Mills Hymne selektierten Bronsert und Szary außerdem Tracks von FJAAK und ließen sich nicht lumpen, abschließend Underworlds „Born Slippy” in die Turiner Nachtluft zu jagen.

X Fehlt da nicht ein S? (Foto: Sinestesia)

Ganz klar wurde über die zwei Tage zwar nicht, wie Kappa den Zusatz „Futur“ im Kontext des Festivals interpretiert. Immerhin ist Techno spätestens seit der Jahrtausendwende alles andere als Zukunftsmusik, ebenso wenig setzte man im Booking auch nur ansatzweise auf aufstrebende Talente. Auch der Feiertourismus, den ein großer Anteil der Besucher – mich selbstverständlich eingenommen – praktizierte, wirkt angesichts der Klimalage alles anderes als vorwärtsgewandt. Der Vorwurf des Etikettenschwindels ergibt trotzdem keinen Sinn. Das Festival hat sich als funktionierende Marke etabliert, die Stars anzieht und tausende Besucher, die diese sehen, hören und nicht zuletzt filmen wollen. Darüber kann man sich natürlich echauffieren, klingt dabei aber wie jemand, der tatsächlich noch an den reinen, unverfälschten Underground glaubt. Elektronische Musik entfesselt selbstverständlich auch auf penibel orchestrierten Massenraves wie diesem ihr eskapistisches Potenzial, wenngleich in einem weitaus enger gesteckten, seltsam entkontextualisierten Rahmen. So lange aber jedes Jahr 50.000 Menschen für genau dieses Erlebnis nach Turin pilgern und die Prämisse des Höher-Weiter-Schneller-Gedankens sich nicht erschöpft, erschließt sich aus unternehmerischer Sicht kein Grund, am Konzept etwas zu ändern.

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