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IfZ Leipzig: Das zweite Wohnzimmer

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Sämtliche Fotos außer Neele & Solaris: Henry W. Laurisch

Als das Leipziger Institut fuer Zukunft vor fünf Jahren seine Pforten öffnete, waren die Erwartungen an den neuen Club in der Hype-Metropole groß, vielleicht zu groß. Doch nach Startschwierigkeiten hat man sich hier inzwischen den Freiraum erarbeitet, den man sich zu Anfang erhofft hatte. Crew und Gäste wissen das zu schätzen.

Am Osterwochenende feiert der Club seinen fünften Geburtstag mit gleich vier ausschweifenden Partys, auf denen unter anderem Gerd Janson, Or:La und Voiski spielen. Steffen Kolberg blickte für die GROOVE hinter die Kulissen und lernte das Team des IfZ kennen.  

Dass Leipzig eine traditionelle Arbeiterstadt ist, lässt sich auch an der Schlichtheit erkennen, mit der hier die besonders eigenwilligen Gebäude benannt sind. Das alte, metall verkleidete Kaufhaus, an das nur noch ein Fassadenteil der jetzt an dessen Stelle stehenden Shopping Mall erinnert, heißt im Volksmund „Blechbüchse“, das überbordend eklektizistische, entfernt an das Disney-Schloss erinnernde Rathaus schlicht „Neues Rathaus“. Und die ehemalige Großmarkthalle bei der Alten Messe, die heute das IfZ beherbergt, bekam wegen ihres Verwendungszwecks und ihrer markanten Stahlbetonkuppeln den Namen „Kohlrabizirkus” verpasst. Das 90 Jahre alte Gebäude liegt zwischen Gewerbegebiet und Plattenbausiedlung, an einer Straße, die vor wenigen Jahren noch hier endete.

Inzwischen ist sie die Verbindungsachse zwischen dem Leipziger Osten und dem Süden der Stadt. Dies ist die ehemalige Peripherie, die langsam aber sicher ins Zentrum der wachsenden Boomtown eingegliedert wird. Davon zeugt der direkt nebenan entstandene S-Bahnhof, davon zeugt auch das geplante Neubaugebiet auf gleisnahen Brachflächen, welches das nur wenige hundert Meter entfernte Club-Urgestein Distillery in seiner Existenz bedroht.

„Am Anfang waren wir ein Chaotenhaufen. Aber wir haben es geschafft, das Chaos zu ordnen und in unsere selbst gegebenen Strukturen zu bringen. Wir Entscheiden, wie und wieviel wir arbeiten. Wir sind nur dazu verpflichtet, den Betrieb am Laufen zu halten. Wie wir das machen, ist unsere Sache.” Hannes (Nightmanager)

Im Keller des Kohlrabizirkus befindet sich das Institut fuer Zukunft, kurz IfZ. Hier waren früher die Kühlaggregate des Großmarktes, übrig blieb der Großmaschinen-Charme des industriellen Leerstands, der Leipzig bis vor wenigen Jahren noch prägte. Die Eröffnung des Clubs fiel 2014 in eine Zeit, als der Hype um die Stadt seinen Zenit erreichte. Von der westdeutschen Lokalzeitung bis zur New York Times hatten alle schon vom „neuen Berlin“ berichtet. Mit dem IfZ sollte die Stadt auch einen angemessenen Technoclub bekommen. Schnell machte der Titel „Berghain Leipzigs“ die Runde, mochten sich die Betreiberinnen und Betreiber noch so sehr dagegen wehren und stattdessen die Gemeinsamkeit mit dem ://about:blank hervorheben: Ein progressiver kultureller und politischer Anspruch, der weit über durchfeierte Nächte hinausgeht.

Als ich an einem Donnerstagabend zum Gespräch in den Club komme, wird schnell deutlich, dass dieser Anspruch immer noch aktuell ist: Maria (DJ Solaris) und Neele, die zwei Generationen von IfZ-Bookerinnen verkörpern, betonen, dass Diversität, flache Hierarchien und eine kritische Reflektion der eigenen Arbeit stets Thema sind. Eine Bühne und mehrere Stuhlreihen wirken seltsam deplaziert auf dem Mainfloor, der hier Trakt I heißt und von nacktem Beton, weißen Kachelfliesen und rostigen Stahlelementen geprägt ist.

Bookerin und Resident Neele und Exbookerin und Resident Solaris Foto: Steffen Kolberg

„Wir haben diskutiert, wie das ist, wenn Männer sich hier oberkörperfrei bewegen. Wir wollen das nicht verbieten, weil es bedeutet, dass die Person sich wohlfühlt. Wenn das mit Mackertum einhergeht oder Leute sich angegriffen oder bedrängt fühlen, dann wird die Person im Auge behalten und im Zweifel angesprochen.” THEDA (NightManagerin)

Doch es ist Leipziger Buchmesse, und später findet hier – wie passend – eine Diskussionsveranstaltung zur Zukunft des Pop-Journalismus statt. Um nach dem Interview Fotos zu machen, folge ich den beiden durch zugetaggte Treppenaufgänge und ungeheizte Flure in die oberen Etagen des Gebäudes – im Club gilt striktes Fotoverbot, egal ob gerade Veranstaltungen stattfinden oder nicht. Neele lacht, als sie mir erzählt, dass zum fünfjährigen Jubiläum ausgerechnet eine Foto-Ausstellung den Club und seine Crew porträtieren soll. Das Verbots-Problem wurde mit Analogfotografie gelöst, denn die analogen Abzüge können nicht im Internet verbreitet werden. Für die Dauer der Ausstellung in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst verwandelt sich der Ausstellungsraum in den Trakt IV des IfZ. Konsequenterweise herrscht dann auch dort Fotoverbot.

An diesem Samstag gastiert im Club die beliebte Acid Rave-Party. Es verspricht also voll, wenn auch nicht unbedingt IfZ-typisch zu werden. Auf regulären IfZ-Veranstaltungen dominiert auf Trakt I düsterer, industrieller Techno. Verschiedene, clubinterne Veranstaltungsreihen widmen sich aber allen möglichen progressiven Spielarten elektronischer Musik. Der größte Dancefloor beherbergt auch das technische Herzstück des Ladens – die Kirsch-Audio-Anlage. Für diese hatte die Crew fast ein Jahr vor Eröffnung eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, welche den Hype um das IfZ noch mehr befeuerte.

Später treffe ich die beiden Nightmanager Theda und Hannes. Sie reden davon, wie sich das IfZ mit den Jahren professionalisiert habe. „Am Anfang war das hier Punkrock, ein Chaotenhaufen“,  erzählt Hannes, und fügt hinzu: „Aber wir haben es geschafft, das anfängliche kollektive Chaos etwas zu ordnen und in unsere selbst gegebenen Strukturen zu bringen. Wir sind für uns selbst verantwortlich, können entscheiden, wie wir arbeiten und wer wie viel arbeitet. Wir sind am Ende nur dazu verpflichtet, diesen Betrieb am Laufen zu halten. Wie wir das machen, ist unsere Sache.“ Um Input von außen zu bekommen, sei es gewünscht, dass immer wieder neue Leute hinzukommen. Beim Nightmanagement sei es aber schwierig, Leute von außerhalb zu holen, denn dafür brauche man einen guten Überblick über die Organisationsstruktur des Clubs. Deshalb kämen zu ihnen meist Leute aus anderen AGs, die mehr Verantwortung übernehmen wollten und die Fähigkeiten mitbrächten, strukturiert zu arbeiten. Einer derjenigen, die gerade eingearbeitet würden, sei Felix vom Garderoben-Team.

„Hier findet ein Sozialisierungsprozess statt. Die Leute werden für die Werte sensibilisiert, die wir hier vertreten. Wenn das dann auf die Gäste überschwappt, und die das auch an andere weitergeben, dann ist das eine schöne Form der Bestätigung, dass wir vieles richtig gemacht haben.” Felix (Garderobe)

Felix, ein stark tätowierter Endzwanziger, kommt ursprünglich aus der Hardcore-Szene und hat sich im IfZ ein zweites Wohnzimmer geschaffen, wie er sagt. Während des Gesprächs zählt er bereits die Garderobenmarken und bietet mir von seinem Sterni an. Das Treiben um uns herum wird geschäftiger, als die Eröffnung der Clubnacht näher rückt. Um zehn vor zwölf dann stößt die Crew an der Bar auf einen schönen Abend an. Das heitere Ritual macht deutlich, was durchweg alle Mitarbeiter*innen  erzählen: Seit zirka einem Jahr sei man hier im IfZ ein richtig gut eingespieltes Team. Es läuft rund und macht Spaß, hier zu arbeiten.

Derweil bauen zwei gutgelaunte Leute vom queeren Beratungsnetzwerk Rosalinde e.V. neben der Bar ihren Stand auf, es gibt Sticker, Buttons und Gummibärchen. Der Abend sei eine Soliparty für das Queer Refugees Network, deshalb seien sie hier, erzählen sie.

Die Stimmung an der Bar weist den Weg für den Rest der Nacht, denn die Gelassenheit und Fürsorge der Crewmitglieder überträgt sich auch auf die Gäste des Clubs. „Hier findet auch eine Art Sozialisierungsprozess statt“, findet Felix. „Die Leute werden für die Werte sensibilisiert, die wir hier vertreten und wissen, was hier nicht geht. Wenn das dann auf die Gäste überschwappt, und die das nicht bloß realisieren, sondern auch an andere weitergeben, dann ist das eine schöne Form der Bestätigung, dass wir hier vieles richtig gemacht haben.“

Wie Lisa von der Safer-Clubbing-Crew erzählt, haben sich Club und Publikum mit der Zeit gefunden. Letzteres habe verstanden, dass das IfZ ein Ort sein soll, an dem sich alle Menschen sicher fühlen könnten: „Nicht nur wir sind da und schauen, auch untereinander achten die Leute auf sich, und das ist total wichtig.“


Der Geburtstagsmix 5 I V E – INSTITUT FUER ZUKUNFT – all in one take by n-akin

Schon eine halbe Stunde nach Eröffnung der Party sind in dem Schneckenhaus-artigen Rückzugsraum gegenüber der Bar alle Sitzplätze mit gesprächigen jungen Leuten belegt. Auf Trakt I starten Fear’N’Loathing vs. Katarakt mit recht straightem four-to-the-floor-Techno, der später von trancigen Synthesizern ergänzt wird. Die Anlage umhüllt die Tanzenden derart mit Sound, dass es kaum weiterer Spielereien in dem kargen großen Raum bedarf. Eine massige Säule in der Mitte beherbergt die Nebelmaschine, mehrere Metallschirmlampen übernehmen die Deckenbeleuchtung, ergänzt von spärlich eingesetzten Lichteffekten. Während das DJ-Pult ebenerdig steht und kaum einen Blick auf die Auflegenden zulässt, thront das Mischpult auf einem gigantischen alten Armaturenschrank.

Um zwei Uhr, der Laden ist inzwischen komplett voll und vor den Toiletten bilden sich die ersten Schlangen, öffnen die beiden kleineren Floors. Der weniger industriell ausgestaltete Trakt II, normalerweise für die etwas verspielteren Seiten elektronischer Musik zuständig, steht an diesem Abend ganz im Zeichen von Hip-Hop, House und Future Bass. Von Cäptin Yolo und Mau Muschi kommt ersteres sogar live, was angesichts der drückenden Bässe auf den anderen beiden Floors eine willkommene Abwechslung darstellt. Trakt III, der sonst mit Ambient-Sets und Sofas aufwartet, wurde in dieser Nacht zum Gabba- und Acid-Trance-Keller umgestaltet. Das wiederum sorgt für begeistertes Gezappel und freudige Gesichter.

Die meisten Besucherinnen und Besucher sind in dieser Nacht in Streetwear unterwegs, die dominierende Farbe ist schwarz. Felix erklärt augenzwinkernd, dass in der Regel die Hälfte der abgegebenen Jacken schwarze Northface-Jacken seien. Manche Gäste haben sich aber auch richtig ins Zeug gelegt, tragen Nadelstreifenanzug oder gleich BDSM-Geschirr. Mit den Jahren habe zum Teil eine Normalisierung des Fetisch-Themas stattgefunden, berichtet Neele. Das IfZ sei eben ein Freiraum, in dem sich alle Menschen ausleben könnten. Dazu gehört auch das in der Szene umstrittene oberkörperfreie Tanzen, wie einige männliche Besucher auf der Party demonstrieren. Theda erzählt: „Wir haben lange Diskussionen darüber geführt, wie das ist, wenn Männer sich hier oberkörperfrei bewegen. Wir sind dann zu dem Schluss gekommen, dass wir das nicht verbieten wollen, weil es letztendlich manchmal einfach bedeutet, dass die Person sich wohlfühlt. Wenn das mit Mackertum einhergeht oder Leute sich angegriffen oder bedrängt fühlen, dann wird die Person auch im Auge behalten und im Zweifel angesprochen.“ 

Es wird schon nach fünf Uhr sein, der Bass scheppert inzwischen gewaltig in den Ohren und auf den Vitamin-Tellern der Safer-Clubbing-Crew ist nur noch Kohlrabi übrig, als mich zwei Gäste an einen Stehtisch neben der Bar winken. Sie brauchen noch einen Mitspieler für ihr Würfelspiel.

„Es ist ein schönes Gefühl wenn du merkst, dass die Leute zu schätzen wissen, wieviel Herzblut du hier reinsteckst.”  Felix (Gaderobe)

Als Hannes um sechs Uhr seine Nightmanagement-Schicht beginnt, bin ich bereits am Gehen. Zusammen mit seiner Kollegin überredet er mich, doch am nächsten Tag wieder zu kommen. Zur Sonntagsreihe Rillendisco kämen die meisten Mitarbeitenden des IfZ selbst zum Feiern.

„Ich liebe die Rillendisco. Das ist einfach die beste Party im IfZ“, erzählt mir am nächsten Abend ungefragt der erste Sitznachbar auf einem der vielen Sofas, die jetzt in Trakt III stehen. Nebenan hat nun auch der geheimnisumwobene Darkroom geöffnet – als Dartroom. Die Party ist deutlich kleiner dimensioniert als am Tag zuvor und ziemlich gut besucht. Als Resident DJ s.ra zum Abschluss ein astreines Techno-Set auftischt, ist der Mainfloor bis zur hinteren Wand mit Tanzenden gefüllt. Wo man hinsieht, blickt man in gelöste und freudige Gesichter.

Einzig bei der Barcrew ist von Gelöstheit noch keine Spur: Die letzten Stunden des Wochenendes verbringen die Gäste des IfZ mit Schnapsrunden und Longdrinks in rauen Mengen. „Am Sonntag lassen wir die Bar nach 22 Uhr noch eine Weile auf, damit die Leute noch entspannt ihren Drink nehmen können und kein Gedränge entsteht“, erzählt mir Theda. Der Mitarbeiter an der Garderobe, der sich trotzdem mit einer nicht enden wollenden Schlange konfrontiert sieht, wird von den Gehenden mit mitleidigen Blicken und Schulterklopfen bedacht. “Es ist ein schönes Gefühl wenn du merkst, dass die Leute zu schätzen wissen, wieviel Herzblut du hier reinsteckst,” hatte Felix am Tag zuvor gesagt. Bleibt zu hoffen, dass das auch von stadtpolitischer Seite gesehen wird und das IfZ nicht auch irgendwann den weiteren Erschließungsbestrebungen in der ehemaligen Leipziger Peripherie weichen muss.

Unser umfangreiches Interview mit Solaris & Neele findet ihr hier. 

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