Zuerst erschienen in Groove 166 (März/April 2017). Alle Beiträge des Specials findet ihr hier.
Das Ritual ist uns bestens vertraut. Wenn ein DJ in einer Nacht Zeit hat und sein Set aufbauen kann, ist es im Idealfall ein ständiger Auf- und Abstieg der Gefühle und Intensität. Jede Berechenbarkeit stört dieses Konzept, denn welche Spannung sollte schon aufkommen, wenn die Dramaturgie jedes Tracks bekannt wäre und nur noch ein längst vertrautes Programm abläuft? Seit der Einführung der 12-Inch-Maxi, dem Mixer oder Sampler ist die Zahl der Mittel eines DJs für die Manipulation einer Nacht und seines Publikums ständig gewachsen. Doch was wäre, wenn du selbst einige dieser Mittel in deiner Hand hättest und den Verlauf dieser Erfahrung selbst bestimmen könntest? Wann kommt der Break, wann und wie oft die Drums? Und was wäre, wenn die Intensität dieser Herausforderung so hoch wäre, dass dich beinahe der Mut verlässt, diesen nächsten Schritt zu machen?
Wenn man mit Programmierer und Designer Marc Flury sowie Brian Gibson (Bassist bei der Band Lightning Bolt) über diese Fragen sprechen würde, hätten sie sicherlich nach mehr als sieben Jahren Entwicklungszeit in ihrer Firma namens Drool eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Beide sind die Väter vom Spiel Thumper, das 2016 zu den Titeln gehörte, über sie man sich in gewisser Ehrfurcht austauschte. Ein Spiel von zwei Musikern, die aber auch Programmierer sind, denen etwas gelungen ist, was jeder Person mit musikalischem Background Gänsehaut bereitet. Dabei funktioniert es mehr wie eine Mutprobe und man ringt nach der ersten Spielerfahrung mit Worten. In diesem Genre existierte vor und nach Rez kein vergleichbares Spiel. Aber: War das gerade wirklich nur ein Musikspiel?
Für Thumper ist diese Begrifflichkeit eher eine Täuschung und es wundert dann auch nicht, wenn die Entwickler selbst das Erlebnis mit „Rhythm Violence“ beschreiben. Das Spielprinzip könnte man
als eine Art Rutschbahnfahrt im freien Raum bezeichnen, die in bestimmten Momenten deine Reaktion am Controller erfordert und damit dann auch Töne erzeugt. Zeitgenauer Abschuss von Farbblöcken, die dir entgegenkommen, und passgenaues Gegensteuern in den Kurven sichern dein Überleben. Ansonsten zerschellt dein Alter Ego in Form eines silbernen Käfers wie Scherben eines zerschlagenen Spiegels.
Obwohl Flury und Gibson musikalisch eher einen Indie-Background haben, wirken ihre Sounds und Klangflächen wie Referenzen an Orte, an denen Techno oder Drum’n’Bass in seiner dunkelsten Ausprägung laufen könnte. Dabei entwickelt Thumper seinen irritierenden Reiz aus der Tatsache, dass es dir selbst auferlegt, wann und in welchem Rhythmus du das Risiko der nächsten Salve
aus Tönen annehmen willst. Der Rausch der Geschwindigkeit ist im gleichen Moment Kick und Angst. Jede Sekunde des Herauszögerns steigert unweigerlich die eigene Anspannung und umso größer ist die Erlösung, wenn die Endgegner in Form großer Köpfe besiegt sind. Und es fällt schwer, so ein Erlebnis einfach nur ein Spiel zu nennen. So wie es manchmal am Ende einer Nacht auch schwer ist, die Musik des DJs einfach nur als eine Reihe von Platten zu sehen.