Zuerst erschienen in Groove 166 (März/April 2017). Alle Beiträge des Specials findet ihr hier.

Sein Zuhause ist eine postapokalyptische, in Neonfarbtönen schimmernde Landschaft. Zwischen blutrünstigen Monstern und zerstörten Häusern sitzt er auf einem Karton und zupft gedankenverloren auf einer Gitarre. Diese Szene aus dem Spiel Hyperlight Drifter zeigt den Avatar von Komponist Rich Vreeland alias Disasterpeace. Die Entwickler hatten sich einen Spaß draus gemacht, jedem am Projekt Beteiligten ein Alter Ego im Spiel zu verpassen, und das von Vreeland, der eigentlich Gitarrist werden wollte und heute einer der einflussreichsten Chiptune-Komponisten ist, hätte kaum treffender ausfallen können.

Vreeland begann als Kind, im Keller einer Kirche in seiner Heimatstadt New York, mit Musikinstrumenten zu experimentieren. Er sagt: „Ich war immer umgeben von Musik, meine Mutter spielte Klavier, meine Schwestern sangen und mein Stiefvater war der musikalische Leiter der Kirche.“ Nach der Highschool ging er an die Kunsthochschule, brach nach einigen Semestern ab und wechselte ans Berklee Musical College in Boston: „Ich komponierte hauptsächlich an der Gitarre, hatte jedoch ziemliche Schwierigkeiten, denn ich war nicht annähernd so gut, wie ich sein wollte.“ Zwar habe der heute 30-Jährige schon damals eine Faszination für den Sound von Computerspielen gehabt, zu Musiksoftware habe er aber mehr aus Pragmatismus gegriffen. „Mir fiel es damit plötzlich viel einfacher, Ideen spontan umzusetzen.“

Kurz nach seinem Abschluss am College nahm er eine Vollzeitstelle bei einem Spieleentwickler an und arbeitete am Soundtrack für das Spiel Shoot Many Robots, nachts komponierte er aber die quirlige, vor Einfällen strotzende Musik für das Spiel Fez: „Das war ein Herzensprojekt für mich, ich hatte mich seit Jahren auf Fez gefreut.“ Musik für das pixelige Jump’n’Run-Adventure zu schreiben sei ihm vergleichsweise leicht gefallen: „Ich betrachte das, was ich mache, nicht als Arbeit, manchmal ist es sogar therapeutisch für mich.“

Fez ist beispielhaft für die Attribute, die seine Veröffentlichungen generell auszeichnen. Auf ihnen gelingt Vreeland eine Gratwanderung zwischenquirligen Chiptuning-Klängen und einer melancholischen Grundstimmung.


Stream: Disasterpeace – Fez OST

Besonders interessant an der Musik für das Spiel ist, dass einige der Stücke ihren Klang je nach Tages- oder Nachtzeit im Spiel verändern. Mit dem Miniprojekt „January“ ging er noch einen Schritt weiter und ließ den Spieler durch Bewegungen mit dem Soundtrack interagieren. Vreeland schreibt seine Musik in einem Hinterhof im Osten von Los Angeles. Das Interieur wirkt fast widersprüchlich zu seinem Ideenreichtum und den verspielt-farbenfrohen Stücken. Die Wände des winzigen Holzbaus sind kahl, schwarze Vorhänge halten das Sonnenlicht draußen. Vreeland sitzt an einem L-förmigen Schreibtisch mit einem Mac-Book und zwei Keyboards. In einer Ecke stehen ein Schlagzeug, eine E-Gitarre und eine improvisierte Gesangskabine. Nicht immer gehe ihm das Schreiben von Musik so leicht von der Hand wie für Fez, sagt er: „Um komponieren zu können, muss ich hyperfokussiert sein. Wenn ich diesen Zustand erreichen und aufrechterhalten will, muss ich viel Zeit und Energie aufwenden.“

Für seine Aufträge verbringt Vreeland Tage an Filmsets und setzt sich mit Codes für Computerspiele auseinander. Allein an Hyperlight Drifter hat er drei Jahre lang gearbeitet. Am Ende sei es ihm sehr schwer gefallen, weiter passende Musik zu schreiben. Er sagt: „Die Stimmung im Spiel ist sehr düster und ich befinde mich nicht immer in der richtigen Verfassung, um solche Musik zu schreiben.“ Die Mühe hat sich für ihn gelohnt: Der Soundtrack zum Spiel hat es unter anderem in die Liste der besten 50 Alben des FACT Magazine von 2016 geschafft. Sein nächstes Ziel sei aber eine Schaffenspause.

Nachvollziehbar, denn der Back-Katalog des 30-Jährigen zählt rund 40 Releases – mehr als die meisten Musiker in ihrem Leben schreiben. Er will sich mehr um seine Familie kümmern und Projekte beenden, darunter auch ein Pianoalbum. So ganz scheint sein Plan aber nicht aufzugehen: Er arbeitet bereits er an einem Folgeprojekt für Regisseur David Robert Mitchell, für den er bereits den Soundtrack zu It Follows geschrieben hat.

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