Geht es um Ambient aus Feldaufnahmen, spielt technologische Modernität dagegen meist keine Rolle. Hier dominieren Tradition und Handwerkskunst. Etwa beim Schweden BJ Nilsen. Benny Jonas Nilsen hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren mit Field Recordings etabliert, die über die rein dokumentarische Intention der „Soundscapes“ des Soundökologen R. Murray Schafer hinausgehen indem sie einer Story entlang arrangiert sind, in ihrer Montage eine gewisse dramatische Erzählstruktur erzeugen und oft auch digital bearbeitet was ein Sakrileg für alle traditionellen Soundökologen bedeutet. In der extrem subtilen Art der Bearbeitung seiner Feldaufnahmen bleibt Nilsen allerdings dennoch innerhalb der Tradition die Komponisten wie Luc Ferrari mit Presque Rien oder Annea Lockwood mit ihren Sound Maps seit den siebziger Jahren gesetzt haben. Massif Trophies (Editions Mego) ist die akustische Essenz eines Bergsteiger-Trips am Gran Paradiso in den italienischen Alpen. Zu hören ist vorwiegend Wind.


Stream: BJNilsen – La Descente

Der spanische Filmemacher Carlos Casas bedient sich bei einer nahe verwandten Form auf Field Recordings basierter Klänge, der Ethnomusikologie als kultureller Speicher aller Arten von Menschen erzeugter Klänge, die sich außerhalb der westlichen Tradition und Moderne bewegen, von der anthropologisch motivierten Dokumentation ritueller Gesänge indigener Stämme bis hin zu den Folk und Blues Ausgrabungen die John und Alan Lomax seit den zwanziger Jahren in den USA betrieben. Ähnlich BJ Nilsen geht aber auch Casas über die reine Wiedergabe hinaus. Pyramid Of Skulls (Discrepant) gibt zwar anthropophone, bio- und geophone Field Recordings aus dem zentralasiatischen Pamir-Gebirge (eine Provinz Tadschikistans) wieder: Wasser, Wölfen und Schamane. Andererseits sind diese Dokumente aber auch stark bearbeitet, so dass daraus eine schroff hybride Ästhetik im Sinne von Dark Ambient hervorgeht.


Video: Carlos Casas – Teaser

Die Mehrzahl der Ambientschaffenden vertritt was die Verwertung von Field Recordings angeht eine noch weniger reine Lehre. Die Feldaufnahmen stehen dann nicht mehr für sich selbst, sondern sind in ein hybrides Umfeld aus Synthesizer-Wohlklang, Drone oder Noise eingebettet, wo sie für die Textur, für Widerhaken und Aufhänger, für eine gewisse Körnigkeit der akustischen Oberfläche sorgen. Auf Borders And Ruins (Karlrecords, VÖ 29.9) von Giulio Aldinucci erscheint diese Ästhetik sich vermischender Kontraste besonders nachdrücklich. Seine Aufnahmen erinnern an Mönchsgesänge, die immer wieder hinter einem aufsteigenden Nebel von Feedback, Rauschen und Noise verschwinden, wieder hervorblitzen, oder in einem Orgeldrone aufgehen.


Stream: Giulio Aldinucci – Exodus Mandala

Dem britischen Duo A.R.C. Soundtracks dienen Field Recordings, vorgefundene Aufnahmen und Samples zur akustischen Verwirrung in einer düster-komplexen Atmosphäre aus unterschwelligem, nie akutem Stress und gefährdeter, nie allzu offensichtlicher Schönheit. Auf ihrem nominell dritten Album Dereliction//Mirror (Gizeh, VÖ 15.9) tauchen sie tief in die Domäne von Dark Ambient. Eine Klangwelt in der sich ungewisse Klopfsignale in endlosen Hallräumen verlieren, unbestimmte Harmonien auf kaum noch erkennbaren Instrumenten mit enigmatischen Stimmen und pulverisierten Rhythmen einen Platz suchen in der immensen Leere verfallender Industrieanlagen und toter Häuser. Eine perfekt heimelige Dystopie.


Stream: A.R.C. Soundtracks – Dereliction//Mirror

Der Franzose François Bonnet mit dem leicht absurden Künstlernamen Kassel Jaeger ist gelernter Komponist und Buchautor zu elektroakustischer Neuer Musik. Er steht in der Tradition des Pariser GRMC, dem historischen Zentrum der Musique Concrète, also einer Institution die musikalische Collagen und die Verwendung von vorgefundenen, aufgenommen Klängen auch aus niederen Quellen wie Radio und Pop in der „ernsten“ Musik hoffähig gemacht hat. Seinen akademischen Hintergrund übersetzt Kassel Jaeger auf Aster (Editions Mego, VÖ 9.9) in Klänge die eher als Dark Ambient gelesen werden wollen denn als abstrakte Neutönerei. Kassel Jaegers fließende warme Drones verbleiben gerade noch innerhalb eines oberflächlichen Wohlklangs, den sie aber dehnen und zerren. Sie fühlen sich in eine Fremdartigkeit hinein die doch immer angenehm bleibt.


Stream: Kassel Jaeger – Rose Poussière

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