In der 20-jährigen Geschichte hat es trotzdem immer wieder Missverständnisse gegeben, was female:pressure genau ist. Wie lautet eigentlich deine eigene Definition und welche Veränderung, gerade auch im Hinblick auf die interne Arbeitsweise, hat es in den vergangenen Jahren gegeben?
Ich denke, die Missverständnisse haben deutlich abgenommen. Aber es stimmt schon, female:pressure ist nicht so einfach zu definieren. Am ehesten ist es ein loser Schwarm an Frauen, die in den Bereichen elektronische Musik, Clubkultur sowie vielen verwandten Zweigen wie Journalismus oder Agenturarbeit tätig sind, die sich gegenseitig kennenlernen, vernetzen und Projekte initiieren. Das läuft vor allem über unsere Mailingliste. Intern wird auch häufig gefragt, wie die Hierarchie ist oder wer darüber entscheidet, was öffentlich gesagt wird. Ich bin dann erst mal diejenige, die das beantworten muss. Mein Wunsch ist es aber immer, dass möglichst viele Stellung nehmen und auch unterschiedliche Stimmen laut werden. Wir müssen nicht eine Stimme haben, sondern gerne viele parallel, die unterschiedliche Meinungen vertreten. Manchmal spreche ich auch ein Machtwort bei den Mailinglisten, wenn jemand etwas postet, das ich gar nicht mit den offenen und freundlichen Grundlagen von female:pressure vereinbaren kann. In solchen Fällen greife ich moderierend ein.
2002 hast du in der Groove gesagt: „Ich fördere fast ausschließlich Frauen […], denn je mehr Frauen es gibt, desto normaler wird es […], dass auch Frauen hinter den Plattentellern stehen.“ Ist es normaler geworden?
Ich denke schon. Ich hatte ja immer die Perspektive, dass es so unendlich viele Frauen gibt, die in der Szene aktiv sind. Angefangen hat es bei vielleicht 300 Einträgen, heute zählt das Netzwerk mehr als 1900 Mitglieder aus fast 70 Ländern. In den vergangenen Jahren sieht man auch, dass es DJs aus den unterschiedlichsten Genres sind. Mit den Produzentinnen wird es sich genauso entwickeln. Ich sehe es ja in unserer Liste, wie die Self-Promotion der eigenen Releases zugenommen haben. Das ist etwas, was gerade Gudrun Gut besonders interessiert. Früher waren es meistens DJ-Mixes und seit einigen Jahren sind es verstärkt Releases, die geteilt werden.
Große Aufmerksamkeit erhielt female:pressure 2013 durch die Veröffentlichung von „FACTS“ – einer nicht repräsentativen Studie, mit der ihr aufzeigen konntet, dass der Anteil von weiblichen DJs bei internationalen Festival-Line-ups bei gerade mal zehn Prozent liegt. Welche Reaktionen habt ihr damals erhalten?
Die guten Festivals waren erst beleidigt und haben angefangen, ihre Auswahl zu überdenken. Und den bösen ist es sowieso egal (lacht). Wer darauf am meisten angesprochen hat, war das CTM Festival. Jan Rohlf, deren künstlerischer Direktor, hat mir mal gesagt, dass sie es als Weckruf empfunden haben. Sie waren anfangs richtig beleidigt, fühlten sich auf den Schlips getreten, weil sie doch mit bester Intention ihr Festival kuratiert hatten. Doch sie haben viel daran gesetzt, das zu ändern.
Und wer gehörte zu den „bösen“?
Mat Schulz [Kurator des Unsound-Festival; Anm. d. Red.] hatte uns damals über das Wire-Magazin mitgeteilt, wenn er den Frauenanteil beim Unsound erhöhen würde, hätte das eine Verschlechterung der Qualität zufolge. In einem empfindlichen Moment verstehe ich das natürlich so, dass, wenn er mich buchen würde, sein Festival den Bach runtergeht. Dabei geht es ja nicht um Frauen oder Männer, sondern noch um andere Aspekte. Dekmantel hat zum Beispiel eine fürchterliche Gender-Bilanz, aber immerhin spielen dort nicht nur weiße Künstler, sondern ganz viele farbige Artists. Als Festivalveranstalter kann ich das schon irgendwie verstehen, dass man populäre Acts buchen muss. Es geht ja auch um Relevanz, du willst ja die wichtigsten Künstler der Zeit anbieten können. Das Traurigste ist aber sowieso, dass meines Erachtens die künstlerische Qualität bei der Zusammenstellung von vielen Festivalprogrammen an dritter, vierter Stelle kommt. Festivalkuratoren orientieren sich an ihnen verwandten Veranstaltungen und buchen dann diejenigen, um die es einen Hype gibt.
Nach den „FACTS“-Veröffentlichungen von 2013 und 2015 dürfte im Laufe dieses Jahres die nächste Studie erscheinen. Erwartest du einen deutlichen Anstieg der Quote?
Eigentlich nicht. Aber natürlich gibt es vereinzelt viele Fortschritte. Wir wollen auch dieses Jahr wieder die Auswertungen des Surveys veröffentlichen. Allerdings muss ich zugeben, dass diese freiwilligen und unbezahlten Projekte immer sehr zeitaufwendig sind. Jedes Mal, wenn wir so was machen, stecke ich viel Energie hinein. Dabei sollte ich mal an meinem ersten Album arbeiten. Ich habe viel Material, das aber alles nicht festgenagelt ist und mit dem ich in den ganzen Details noch nicht zufrieden bin. Ich habe genügend Ideen und Klänge für Tracks und live spielen kann ich sie bereits, für den Moment sind sie dann auch gut.
Aber?
Ich will mir auch die nötige Zeit nehmen. Das ist halt immer die Krux zwischen den gemeinschaftlichen Anstrengungen wie dem „FACTS“-Survey und den eigenen, persönlichen Projekten. Aber ich fühle mich eigentlich eh total privilegiert, dass ich so viele Projekte mit so vielen interessanten Menschen umsetzen konnte. Ich sehe auch nicht so viele Beispiele um mich herum von Leuten, die über Jahrzehnte, wenigstens auf kleineren Feldern, von Interesse bleiben oder sich nicht einfach nur selbst wiederholen. Ich will immer wieder neue Dinge ausprobieren und nicht mit meinen alten Fans im Altersheim in Erinnerung schwelgen (lacht).