Vorschaubild: Presse (Romuald Karmakar & Ricardo Villalobos), alle weiteren aus Villalobos
Zuerst erschienen in Groove 122 (Januar/Februar 2010).
Mit Villalobos hat der deutsche Regisseur Romuald Karmakar eine außergewöhnliche Dokumentation über einen der erstaunlichsten DJs und Produzenten der vergangenen zehn Jahre gedreht. Statt mit Bildern von Ricardo Villalobos’ Privatleben oder vom Party-Jetset um sich zu werfen, zeichnet die fast zweistündige Dokumentation in langen Einstellungen ein Porträt, das kommentarlos Leidenschaften zeigt. Ganz nebenbei gelingt es dem Film obendrein, der Magie einer Nacht in Clubs wie der Panorama Bar filmisch näher zu kommen. Anlässlich der Veröffentlichung von Karmakars neuem Film Denk ich an Deutschland in der Nacht präsentieren wir Michael Leuffens Interview mit dem Filmemacher aus der Januar/Februar-Ausgabe der Groove des Jahres 2010.
Durchschnittliche Phänomene und allgemeine Diskurse standen nie im Fokus des Regisseurs Romuald Karmarkar. In seinen frei finanzierten Dokumentarfilmen zeigte der in Wiesbaden geborene Sohn einer Französin und eines Iraners stets Realitäten, Gegenstände und Geschichten abseits der Norm. Dabei lässt der 44-Jährige seine Themen immer ohne Kommentar oder Begleittext sprechen. Kein richtender Blick also. Ein klar definierter Themenbereich interessiert Karmakar dabei nicht. Von Pittbulls und ihren Haltern (Hunde Aus Samt Und Stahl, 1989) über Männer, die vom Krieg leben (Warheads, 1993), bis zur Welt der Amateurboxer (Infight, 1994): Die Themenwahl folgte der Suche nach Ausnahmeerscheinungen. Mit seinem Film 196 BPM, der DJ Hell in einer langen Sequenz beim Auflegen im Berliner Club WMF zuschaut, widmete sich Karmakar 2003 erstmals der Clubkultur. Zwei Jahre später veröffentlichte er mit Between The Devil And The Deep Blue Sea einen weiteren Film zur Elektronikmusik-Szene, diesmal mit Künstlern wie Rechenzentrum, Cobra Killer oder Alter Ego.
Bei den Dreharbeiten mit Alter Ego, die im Amnesia auf Ibiza stattfanden, hörte Karmakar zum ersten Mal Ricardo Villalobos auflegen – und war fasziniert von dessen Enthusiasmus und seiner Gabe, den Fluss der Zeit durch das Spielen langer Tracks zu beeinflussen. Nun schließt der in Berlin lebende Karmakar mit Villalobos seine vorher nicht geplante Filmtrilogie über die Elektronikmusik-Kultur ab – und bleibt dabei seinen ästhetischen Weniger-ist-mehr-Prinzipien treu. Bei nur 65 Schnitten auf 110 Minuten nähert er sich seinem Hauptdarsteller mit minimalistischer Filmsprache und vermeidet es, diesen zum Helden einer Subkultur zu stilisieren. Stattdessen blickt er mit langen Einstellungen einfühlend und unverfälscht in die Seele eines Künstlers, der mit unbändigem Spieltrieb der Sprache der Tanzmusik neue Facetten hinzufügt, ohne dabei den Groove zu verlieren.
Romuald, in der Zeit-Magazin-Reihe „Ich habe einen Traum“ hast du mal berichtet: „Es gibt Filme, die ich drehen möchte, bevor ich sterbe.“ Ist Villalobos so ein Film?
Romuald Karmakar: Es klänge jetzt etwas zu dramatisch und pathetisch, wenn ich ja sagen würde. Ich habe Ricardo erstmals 2004 auf Ibiza auflegen gehört und gesehen. Seitdem wollte ich einen Film über ihn machen. Mit Roman Flügel, der an meinem Spielfilm Die Nacht Singt Ihre Lieder mitgearbeitet hat, habe ich öfters über Ricardo geredet – welche Bedeutung er als Künstler hat und was es bedeuten würde, einen Film über ihn zu machen. Das hat dann alles fast vier Jahre gedauert. Es ist mein erster richtiger Porträtfilm, und er schließt meine nicht intendierte Filmtrilogie über elektronische Musik ab.