Fotos: Nico Stinghe (Lucy), Presse (Rrose)

Rrose und Lucy etablierten sich in der Technoszene zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Rrose veröffentlichte ursprünglich Ende der Neunziger zunächst als Sutekh in der San Francisco Bay Area Musik. Im Vergleich zu älteren Generationen schien das dortige Umfeld einen intellektuelleren und kritischeren Zugriff auf Tanzmusik zu haben. Mit neuer Software wie Max/MSP entwickelten sie einen vielschichtigen Dance-Sound, der sprunghafter und lebendiger war als alles zuvor gehörte. Anfang der Zweitausender zog sich Seth Horvitz für einige Jahre zurück. Er begab sich in akademischere Gefilde und arbeitete mit Musik klassischer wie moderner Komponisten wie György Ligeti, Conlin Nancarrow oder Bach. Als sie als Rrose in die Clubszene zurückkehrte, verband sie ihre Musik mit einer Performance, die von Marcel Duchamp beeinflusst wurde und Genderkonstrukte in Frage stellte.

Luca Martellaro ist ein später Beitrag zur Berliner Techno-Ökologie, der mittlerweile unersetzbar geworden ist. Techno-Produzenten beziehen ihre Inspiration mehr oder weniger von früheren Produzenten-Generationen. Insbesondere in Berlin, wo Techno seit fast 20 Jahren als dominante Ausdrucksform elektronischer Musik gilt. Lucys komplexe, dunkle, raumöffnende Tracks leben von einem fundamental unterschiedlichen Ansatz. Sein Sound bezieht sich weniger aus Pop-Musik wie Kraftwerk oder Depeche Mode, sondern aus der Vanguard-Musik des zwanzigsten Jahrhunderts. Lucys philosophisches Denken ist dabei ein wichtiger Faktor. Als Student und Autor entwickelte er ein individuelles philosophisches Narrativ, das die Gedanken und Konzepte Friedrich Nietzsches in beeindruckende Geschichten übertrug. Die kürzlich veröffentlichte The Lotus Eaters EP ist die erste Zusammenarbeit von Rrose und Lucy.

 


 

Wie habt ihr beiden euch kennengelernt? Wie kamt ihr auf die Idee, zu kollaborieren?
Lucy: Bevor wir uns persönlich trafen, kamen wir über die Musik zusammen. Ich war nicht nur von dem fasziniert, was ich hörte, sondern auch wie er seine Rrose-Identität oder Nicht-Identität konstruierte. Später fingen wir an, uns über Remixe zu unterhalten. Ich remixte einen Track für sein Label Eaux und er machte einen Remix für Stroboscopic Artefacts. Ich war mit dem Ergebnis zufrieden und er, denke ich, auch. Ab einem gewissen Punkt unterhielten wir uns auf einer persönlicheren Ebene. Als er in Berlin war, besuchte er mich in meinem Studio. Wir machten Musik ohne spezifisches Ziel. Die Musik entwickelte sich wie von selbst. Es war ein instinktiver, unangestrengter Ansatz. Wir hatten dann recht viel Material und fingen an, über ein Release nachzudenken. Wir hatten uns nur einige Male getroffen. Stimmt’s, Seth?
Seth: Wir haben uns tatsächlich nur zwei Mal getroffen.
Lucy: Genau. Es waren nur zwei Sessions in Berlin. Wir haben die Postproduktion und das Mixdown unabhängig von einander gemacht. Aber der Kern entwickelte sich innerhalb von zwei Tagen. Jede Session ging nur für einige Stunden – es war schnell und zufriedenstellend. Wir wählten einige Tracks aus und stellten die Auswahl fertig, als wir an einem anderen Zeitpunkt ein paar Tage im Studio zur Verfügung hatten. Es war mühelos.
Seth: Ich würde nicht sagen, dass es mühelos war. Ich denke, dass es während des Prozesses wie viel Arbeit wirkte und teilweise war es schwierig, Entscheidungen zu treffen. Aber als wir zurück blickten, hatten wir plötzlich viel Material. Das war überraschend.


Stream: RroseWaterfall (Lucy Remix)

Wie war der Arbeitsprozess? Habt ihr auf etwas zurückgegriffen, das ihr vorher schon produziert hattet?
Seth: Wir haben bei Null angefangen. Sogar zwischen den Sessions wollte Luca alle Patch-Kabel aus seinem modularen Set-Up ziehen. Ich war zögerlich und meinte: „Warte! Warte!“ Es war eine gute Übung für mich, einfach loszulassen und etwas Neues zu beginnen. Ich neige dazu, mich ewig auf Details zu fokussieren und mache mich damit selbst verrückt. Es tat gut, etwas spontaner zu sein, Sachen zu verwerfen, die Richtung zu ändern, Sachen auszuschalten und zu löschen.
Lucy: Ich bin nicht so extrem wie Seth. Wenn ich aber an meinem eigenen Kram arbeite, bin ich ein deutlich langsamerer Produzent. Zusammen mit Seth gibt es eine Art Direktheit. Wenn wir reden, brauchen wir keine Barrieren, wir bewegen uns jenseits von sozialer Kommunikation.

Was bedeutet es, bei Null anzufangen? Was habt ihr gemacht?
Lucy: Bei Null anzufangen bedeutet, eine komplett neue Sound-Synthese zu machen. Man startet neu von einem Oszillator, zum Filter, zum Verstärker bis zur ganzen Kette. Merkwürdiger Weise ist es doch eine sehr homogene EP geworden. Das ist das Magische an diesen Sessions. Wenn ich diese Art von Musikmachen erlebe, übersetzt sich eine pure Inspiration auf die Musik. Wenn das nicht der Fall ist, überträgt sich etwas komplett anderes, jedes Mal wenn du neu startest. Ein frischer Start filtert auf eine Weise auch die Verschmutzung unserer Interaktion heraus.

Viele Kollaborationen klingen wie etwas mehr als eine Mischung dessen, was die Künstler jeweils alleine machen. Eure EP klingt nicht wie eine Mixtur.
Lucy: Ich finde auch, dass es recht einheitlich klingt. Ich habe mein Studio mit einer neuen Person besucht und neu entdeckt. Es war nicht nur eins plus eins gleich zwei, sondern eins plus eins gleich drei.

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