Vorschaubild: Michał Ramus (Zorn In A Chamber)
Nanu! Von oben nach unten, von links und nach rechts rinnt das Wasser, ganz Krakau ist eine Regenpfütze, und darin spiegeln sich die Wolken. Ein einsamer Schüler kommt mit dem Fahrrad nicht weiter, die Wege überflutet von der Weichsel, wohl gab es Schnee wo sie herkommt, oben in den Schlesischen Beskiden. Angesichts des Angebotes an Musikfestivals in Krakow von Alter Musik bis Unsound könnte auch das Sacrum Profanum leicht untergehen, das in diesem Jahr unter neuer Leitung und mit neuem Termin Anfang Oktober in sein 15. Jahr gegangen ist. Doch der Neustart klang vielversprechend, und wenn Objekte so etwas wie Omen bedeuten, dann wird alles immer besser werden in den kommenden Jahren Sacrum Profanum: Der Magnet war das Ding der Stunde.
Der ganz und gar gelungene Beleg dafür, wie man Elektromagneten mit Klang-Ästhetik und dem Inhalt einer Oper zusammenbringen kann, lieferte die englische Komponistin Emily Hall. Die Bühne ihrer Kammer-Oper „Folie A Deux“ zeigt einen dunklen Raum, illuminiert durch Rasterprojektionen. Als die Komponistin selbst, wie alle von Musik und Technik seitlich der Bühne platziert, aufsteht und zu einer der beiden Harfen im Hintergrund wandert, schaltet sie die Elektromagneten an. Sie sind an der oberen Resonanzdecke der Harfe positioniert und bringen die eingebauten Stahlsaiten nun in Schwingung. Folge: ein Drone mit ausgeprägten Charakteristika von Metall und Umspannwerk.
Über dieses Grundrauschen legt sich ein lieblicher Loop aus Beat und einer zweiten Harfe. Die Schlagzeugmuster kommen aus dem Computer der Londoner Produzentin Mira Calix, die bei Warp immer für die experimentierfreudigen Veröffentlichungen verantwortlich ist und es mit Haltung auch zur Eröffnung der Olympischen Spiele geschafft hat. Wenn Tenor Andrew Dickinson seine Stimme erhebt und umso mehr, wenn Sopranistin Sofia Jernberg ihren Part beginnt, dann lässt die 1974 geborene Emily Hall erkennen: Ihre besondere Begabung liegt in den Singstimmen. Die beiden Figuren geben ein romantisches Liebespaar: Wenden sich einander zu, verweben ihre Stimmen, er nüchtern-pragmatischer Tenor, sie kindlich verliebt, mit einfachen Gesten hantierend.
So wird selbst das Lied „Wonderful Things“, das von der Psychose dieses isländischen Bauers erzählt (das Libretto stammt von Björks Songtexter Sjón), zur weltumspannenden Ballade: „In West Virginia, police-commander Alexandra rolls streaming curlers into her long hair“, weiß er. Die Strommasten vor seinem Haus haben es ihm verraten, sie sind sein Kommunikationsposten. Sein Draht, aus dem er die Welt zu hören glaubt. Im Verlauf der „Geistesstörung zu zweit“ kniet sich die weibliche Figur in die Psychose ihres Geliebten. Nach seinem Zusammenbruch erst, der ihn aus dem Nichts ereilt, erkennt sie diesen Effekt. Und zieht in Frieden davon. Insgesamt wirkt diese Bühnenproduktion wie eine Skizze zu etwas Größerem. Dank des souveränen Songwritings und Arrangements der Harfen und elektronischer Flächen wird „Folie à deux“ dennoch ein großer Wurf.
Magnetisches Surren auch bei der Aufführung von „Virginal Co-Ordinates“ im Kongresszentrum Krakaus. Eyvind Kang hatte sie im Jahr 2004 geschrieben, in einer Zeit, an der er auch mit Animal Collective an deren Album „Feels“ zusammen arbeitete. Dass mehr als 1200 Menschen kamen, lag vor allem an Mike Patton, dem Ipecac-Betreiber, dessen Prominenz aus den 1990er Jahren mit seiner Rock-Band Faith No More herrührt. Doch das eigentlich verhuscht-minimale Werk, seinerzeit von Ipecac veröffentlicht, kam hier nicht ins Fließen. Als Dirigent bekam Kang die Sinfonietta Cracovia nicht in den Griff, der Sound klang blechern, und so ging auch Pattons Gesangspart ziemlich unter. Während die beiden Sitars auch in „Virginal Co-Ordinates“ für ein drone-haftes Grundrauschen sorgten, hatte zuvor im Studio des Kongresszentrums das polnische Trio Sono Genera um die Saxofonistin und Produzentin Anna Zaradny eine 45-minütige Performance von großer Energie gezeigt.
Ein laut abgenommenes Echoband-Gerät sorgte dabei für Impulse, stieß aber auch gerne mal in Harmonien mit Störgeräuschen hinein. Das Trio hatte ein Gespür für Ruhephasen und Noise. Fünfundvierzig dichte Minuten waren das. Nur das Arditti Quartet, ein in der Neuen und Neueren Musik gesetzer Name, kam ganz ohne Magneten und deren Klänge aus. Sie spielten höchst unterschiedliche Werke des New Yorker Improv- und Avantgarde-Meisters John Zorn, so das traurige „Carny“ und das rauschend-ratternde „Necronomicon“ derart voller Freude, als seien sie vier Rookies, die zum ersten Mal Zorn hören, in dem sie ihn spielen – und das mit der Präzision und Präsenz, die sich das Quartett in mehr als 40 Jahren seines Bestehens erarbeitet hat. Und so kam ein beachtlicher Jahrgang Sacrum Profanum zusammen, eine Hommage an den jüngst verstorbenen Pierre Boulez war dabei, ein Themenabend zu „Bruit“, dem Geräusch, und dazu vielen junge Namen aus zeitgenössischer Musik, Improv und Electronica – wie geschaffen auch für erste Einblicke in die Welt jenseits von Pop und Club.