Kristoffer: Das klingt alles schön. Ich verstehe trotzdem nicht, was genau die Nachti-Magic ausmacht: Wieso ist dieses Festival jedes Jahr nach wenigen Minuten ausverkauft? Sowieso: Auskenner-Line-Up, Smombie-freie Zone – wirkt ja auch fast wieder exklusiv. Ist das so wie mit der Fusion, nach der mir jeder Supermarkt-Kassierer bei Armbändchen signalisiert, dass er dabei war und dazu gehört?
Felix: Das liegt daran, dass es nur 3000 Karten gibt. Die Leute gehen hin, weil sie Bock auf die Musik haben und nicht weil sie DJ XY aus dem Radio kennen. Durch den Verzicht auf überschüssiges und die Fokussierung auf wenige Bühnen lässt sich viel mitnehmen und groß etwas zu verpassen. Ein selektives Festivalerlebnis mit Fokus auf das Wesentliche.
Alexis: Es gibt ein klares kuratorisches Konzept im Musikprogramm mit dem Mut, DJs zu buchen, die viele nicht als festivaltauglich ansehen würden.
Laura: Ich glaube, dass es dieses Family-Crew-Love Ding ist. Das ist eine eingeschweißte Gruppe, die das schon ewig organisiert. Und dadurch erscheint es immer noch total unkommerziell und “der-Sache-wegen”. Ich finde, das ließ sich als Besucher spüren.
Felix: Laut Map.ache gibt es ein Stammpublikum. Er fährt jetzt seit acht Jahren hin und meinte, er kenne mittlerweile fast jedes Gesicht.
Kristoffer: Also Friede, Freude, Eierkuchen – ohne Szenezwänge?
Felix: Szenezwänge habe ich nicht wahrgenommen. Kaum Hipsterpublikum, einfach nur normale Leute, die zu guter Musik tanzen wollen.
Alexis: Der Zwang liegt schon darin, dass es kaum Hits und Pop zu hören gibt.
Kristoffer: Nach dem Motto: Wer jetzt die neue Koze spielt, hat verschissen?
Laura: Das Festival war ja wohl total Pop!
Cristina: Vor allem in der Anima Disko und in der Rave Cave!
Felix: Kaum ein Act hat sich in Hits gesuhlt oder auf eine exzessive Art Stimmung gemacht. Eine der Ausnahmen auf der Open-Air-Bühne: DJ Stingray. Im Zelt ging es vom Gefühl her etwas wilder zu, bei Cardini oder Soundstream Samstagnacht etwa.
Cristina: Wo es auch noch ausgelassen war: Mr. Ties, die Rave Cave und – wow! – auf der Danza-Kuduro-Bühne
Felix: Ja, stimmt. Bei Mr. Ties am Ende hatten die Leute nochmal richtig Bock. Es wurde aber eben auch nur noch eine Bühne bespielt und das Wetter war genial.
Cristina: Es ist echt klein, man hat einen Wald drumherum und einen See in der Mitte. Was will man mehr? Das Nachtdigital bietet Ballermann auf hohem Niveau – der Gedanke kam mir zumindest am Sonntag, als viele im Bikini, mit Badeinseln und Drinks sich und das Leben feierten.
Laura: Genau, dieses Ballermann-Ding fand ich sympathisch. Man darf auch mal zu “Volare” völlig ausrasten und es ist immer noch cool.
Felix: Ich hätte mir öfters mal den Bühnen angemessenere Musik gewünscht. Bestes Beispiel Brenz Hold am Samstagmittag. Bester Sonnenschein auf der Bühne am Wasser, sonst auch nur noch der Ambient-Floor offen. Die Leute wollen baden und sich von der Strapazen der ersten wilden Nacht erholen. Statt da ein paar lockere Grooves zu spielen, kommt dann drei Stunden komischer, anstrengender Schwurbel-Space-Techno. Das hat mich sehr geärgert. Soul, Funk, Disco wären toll gewesen. Dazu hätte ich mich gern ins kühle Nass gestürzt. Bei Solar und Mr. Ties am Sonntag hat das besser funktioniert.
Alexis: Es brauchte für manche einige Zeit, um mit dem Ort und der Crowd zu connecten. Die zweite Stunde war meistens besser als die erste.
Laura: Ja. Ich hab auch festgestellt, dass ich kein Freund von 3-Stunden-Sets auf Festivals bin.
Cristina: Ich hätte ein paar Leute gerne länger gehört, da bin ich ganz bei Alexis. DJ Richard zum Beispiel.
Alexis: Was sagt ihr zu Kristoffers “betreutem Feiern im festgesteckten Zeitrahmen – Kurzzeitutopie für überspannte GroßstädterInnen”. Wo steht Nachtdigital da? Worin liegt die Qualität und der Wert eines solchen Festivals?
Cristina: Trifft durchaus zu. Das habe ich ein wenig bei mir selbst, aber vor allem bei Freunden von mir beobachten können, die nicht so oft feiern gehen. Die sind total ausgerastet. Finde den Begriff per se aber auch nicht schlecht. Was soll daran so verwerflich sein?
Felix: Find ich gut. Man konzentriert sich auf Wesentliches und überspannt den Bogen nicht. Gut für Leute, die sich sonst nicht auf Festivals trauen.
Laura: Ich finde, das Nachtdigital hat es mit seinem “NDel MARE- All inclusive”-Cluburlaubthema selbst schön auf den Punkt gebracht. Ein Kurzzeiturlaub, bei dem man sich einfach mal um nichts kümmern muss – “top vacation guaranteed”! Manche fahren halt ins Tropical Island, andere zum Nachtdigital.
Alexis: Es ist eine ziemlich bürgerliche Veranstaltung. Das sieht man an der Ausstattung der Partypeople. Da zieht man sich keine Plastikplane über den Kopf, wenn einem das Speed ausgegangen ist. Es ist immer für alles gesorgt.
Cristina: Was? Man zieht sich keine Plastikplane über den Kopf?
Alexis: Naja, die Ausstattung der Partypeople ist ja meistens recht gediegen. Das Nachtdigital hat nicht die Härte und Kaputtheit der Fusion. Es geht nicht um Punk. Sondern darum, mit Freunden und Gleichgesinnten Spaß zu haben. Und um einen vergleichsweise wenig marktförmigen Umgang mit der Musik, der sich durch eine bestimmte Vertrautheit und Nähe auszeichnet.
Laura: Kommt drauf an, wo man sich sonst bewegt. Es ist bestimmt nicht so verballert, aber ich hatte schon den Eindruck, dass auf dem Nachtdigital hart gefeiert wird. Das klingt ja so, als wäre es ein gediegenes Kaffeekränzchen!
Cristina: Die Rahmenbedingungen sind im Vergleich zur Fusion anders. In Sachen Musik muss ich Alexis widersprechen: Vor allem dieses Jahr wurden viele, unbekanntere Crews eingeladen. Letztes Jahr waren schon mehr Headliner dabei. Das Ergebnis und die Atmosphäre waren meiner Ansicht nach trotzdem ähnlich.
Laura: Man kann sich immer drauf verlassen, top Acts zu hören. Vielleicht wirklich was für Leute, die keine klassischen Festival-Liebhaber sind.
Alexis: Stimmt, letztes Jahr war zum Beispiel Ben UFO da. Festivalliebhaber sind es schon, aber sie suchen nicht so den Vollabsturz. Man taumelt ein wenig, grinst glücklich und fängt sich wieder.