Fotos: Presse (Loco Dice)
Zuerst erschienen in Groove 157 (November/Dezember 2015)
Als DJ dürfte Loco Dice so ziemlich alles erreicht haben, was man im Techno/House-Bereich erreichen kann: Residencies in den populärsten Clubs der Welt, ein straff organisierter Tourplan, fast eine Millionen Facebook-Likes. Sieben Jahre nach seinem letzten Album 7 Dunham Place hat er mit Underground Sound Suicide sein bisher ambitioniertestes Projekt realisiert, auf dem er unter anderem mit Musikern wie Neneh Cherry oder Just Blaze zusammengearbeitet hat und das erstmals auch seine HipHop-Roots zum musikalischen Thema macht. Heute erscheint die dazugehörige Remix-Compilation mit Beiträgen von Chris Liebing, Henrik Schwarz und anderen. Ein Gespräch mit Loco Dice über seinen Starstatus, die Vorzüge Düsseldorfs und Bob Marley.
Viele deiner erfolgreichen Kollegen machen keine Alben mehr, weil ie bei ihrem anstrengenden Tour-Schedule oft keine Muße mehr haben und das Veröffentlichen auch nicht mehr so wichtig für ihre DJ-Karriereist. Warum hast du dich wieder an das LP-Format gewagt?
Ich habe sieben Jahre lang nichts gemacht, weil einfach kein Input da war. Wäre ich vom Management gesteuert, hätte ich irgendeinen Scheiß veröffentlicht. Aber so hat sich einfach nichts ergeben. Martin [Buttrich, Produzent von Loco Dice; Anm. d. Red.] und ich hatten uns mal ‘ne Zeit lang nicht gesehen, weil er in L. A. gelebt und jeder sein eigenes Ding gemacht hat. Und dann hat vor zwei Jahren in meinem Kopf auf einmal etwas klick gemacht. Ich hatte Ideen, eine Message, wollte was rauslassen.
Wie bereitest du dich auf so eine Studiosession vor?
Ich sammle Ideen. Die entstehen zum Beispiel beim Hören von Chaka Khan im Auto, wenn ich da einen Snare- oder Hi-Hat-Lauf höre und denk: „Der ist geil, den könnte man so oder so einsetzen.“ Mein Kopf arbeitet ständig mit der Musik, als DJ denke ich: „Was kann ich in mein Set einbauen?“ Ricardo Villalobos oder Luciano legen in ihren Sets ja gerne Latino-Sachen wie Mercedes Sosa drüber. Ich nehme da lieber so kleine abstrakte Vocals, ob es jetzt aus einem Quentin Tarantino-Film oder sonst etwas ist. Für das Album habe ich Beats gesamplet, im Computer schon Skizzen angefertigt, einfach alles schon mal gesammelt. Manchmal hatte ich auch nur einen Tracknamen oder eine Idee für eine gewisse Stimmung – wie ein Regisseur, der einen Film machen möchte.
Wie lief die Zusammenarbeit mit deinem Produzenten Martin Buttrich dieses Mal?
Bisher hatten wir uns immer zusammen hingesetzt, Sachen vorgespielt und dann versucht, etwas nachzuspielen. Dieses Mal war es mir wirklich wichtig zu jammen. Ich wusste, dass Martin nicht mehr der Alte ist. Er ist nicht mehr der Homie, der nur in seinem Studio sitzt und Tag und Nacht an Sounds rumbastelt. Martin ist ein Live-Act, ein Globetrotter und er feiert. Seine Arbeitsweise ist schneller geworden und er ein bisschen freier in seiner musikalischen Welt. Wir haben Leute eingeladen, der Guti war da und ein Pianist aus Argentinien. Meine HipHop-Jungs kamen vorbei, andere Musiker und viele Freunde – es war richtig Highlife im Studio! Und dann haben wir gejammt. Mein Kopf war voll mit HipHop, altem Rave-Zeug und deepen Sachen, die ich aber noch nicht in Musik umsetzen konnte. So ein Track wie „Backstage Monster“ war zuerst nur eine Geschichte in meinem Kopf. Dann versucht man, dafür Sounds zu finden, diese Melancholie festzuhalten und Bassläufe einzuspielen.
„Ich wollte mit Leuten wie Busta Rhymes und A$AP Rocky arbeiten, die Kontakte waren da. Das klappte dann aber trotzdem leider nicht.“
Ihr arbeitet jetzt zwölf Jahre als Produktionsteam zusammen. Als ich das erste Mal dein neues Album gehört habe, hätte ich nicht sagen können, ob es wieder von ihm produziert worden ist. Wie hoch ist dein Anteil am Entstehungsprozess letztendlich?
Es steckt schon sehr, sehr viel Loco Dice drin. Es gibt viele Stimmen, die sagen: „Der Dice macht ja nichts alleine.“ Martin hilft mir dabei, er produziert meine Musik mit mir, aber am Ende hat man keinen Martin Buttrich-Track. Man hört das ja auch in seinen eigenen Sachen, wo er für sich hinmöchte. Bei meinem Album war er jetzt offener als sonst, er ist freier in seinem Kopf. Früher war das so, dass er gesagt hat: „Das können wir nicht machen, die Tonarten passen nicht zusammen.“ Ich dann: „Das ist mir egal, das hört sich aber gut an!“ Dann er: „Aber musikalisch ist das nicht korrekt.“ Das war dieses Mal anders. Die Arbeit war auch sehr viel schneller. Was heißt das, wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet? Für das Gerüst vielleicht drei Monate über einen längeren Zeitraum verteilt. Ich hatte ja schon eine Menge Features im Kopf, ich wusste, dass ich mit meinen US-Freunden was machen möchte. Ich hatte auf Ibiza im Ushuaia ein Studio und konnte dort mit den Leuten zusammenarbeiten, alles war arrangiert. Ich wollte mit Leuten wie Busta Rhymes und A$AP Rocky arbeiten, die Kontakte waren da. Das klappte dann aber trotzdem leider nicht.
Die bisherigen Kollaborationen zwischen HipHop- und House-Acts waren ja in den seltensten Fällen wirklich gelungen. Warum eigentlich?
Weil es sehr steif ist. Ich sage mal, wenn ein Richie Hawtin mit einem Dr. Dre im Studio säße, wäre das einfach nicht locker. Aber ich behaupte, dass da so zwei, drei Jungs wären, die das Ganze etwas auflockern und moderieren, würde das ganz bestimmt eine sehr geile Nummer.
Es gibt neben dir nicht so viele Leute, die sich in beiden Welten zu Hause fühlen.
Ach, es gibt schon ein paar. Jaram Jey, Armine Edge, die bewegen sich auch nicht ausschließlich in der Technowelt. Man darf auch so Leute wie DJ Sneak oder Nightmares On Wax nicht vergessen. Vielleicht bin ich von den ganzen DJs der einzige Vollblut-HipHopper geblieben, ich weiß es nicht. Zumindest bin ich der einzige, der es offen raushängen lässt und lebt. Das ist meine Kultur, so bin ich aufgewachsen. Die Vocals auf dem Album kommen auch alle von mir, bei der Neneh Cherry-Nummer rappe ich zum Beispiel den letzten Part.