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MUSIK AUS SYRIEN

Eine Flüchtlingsgeschichte

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Erstmals erschienen in Groove 158 (Januar/Februar 2016)

2015 stand auch unter dem Zeichen des Terrors und Bürgerkriegs in Syrien. Philippe Zarif ist Berater für humanitäre Organisationen und produziert elektronische Musik unter dem Namen phaylaq. Vor zwei Jahren floh der dreißig Jahre alte Syrer aus Aleppo in die Türkei. Nach vier Jahren Krieg und Terror sind mittlerweile die Hälfte der Einwohner seiner Heimatstadt auf der Flucht, über 11.000 Menschen wurden – vor allem durch Bomben der Assad-Regierung – getötet. Wir sprachen mit Zarif, der jetzt in Istanbul lebt, via Skype.

Geboren und aufgewachsen bin ich in der syrischen Stadt Aleppo. Für mein Jurastudium bin ich dann nach Montreal gezogen, wo ich sieben Jahre gelebt habe. Als Anfang 2011 die oppositionellen Proteste in Syrien begannen, beschloss ich, zurück in meine Heimatstadt zu gehen. Vierzig Jahre lang wurde Syrien von einer Diktatur beherrscht und ich wollte mich als Aktivist für politische Freiheiten und den Sturz der Assad-Regierung einsetzen. Die Lage verwandelte sich in einen Bürgerkrieg und ich begann, für humanitäre Organisationen zu arbeiten. Unter dem Eindruck des Bürgerkriegs begann ich schließlich, Musik zu machen: HipHop mit politischen Texten. Als Teenager hatte ich vor allem westliche Musik von Rockgruppen wie Guns N’ Roses oder Nirvana, aber auch Rappern wie 2Pac gehört, erst in Kanada habe ich elektronische Musik entdeckt, TripHop-Acts wie Portishead und Massive Attack. Da kam es mir allerdings noch nicht in den Sinn, selbst Musik zu machen. Erst seit der Revolution gibt es junge, unabhängige syrische Musiker, die das Selbstvertrauen haben, Musik zu machen, und in der Lage sind, diese online zu stellen. Anfang 2013 war die Situation im von islamistischen Milizen und Regierungstruppen umkämpften Aleppo so schlimm, dass ich fliehen musste. Mein Flug in den Libanon war der letzte, der vom Flughafen aus ging, auf dem Weg dorthin wurde mein Auto von Scharfschützen beschossen. Ich zog zunächst in den Süden der Türkei nach Gaziantip, später dann nach Istanbul. Eine Schwester von mir und meine Mutter leben in Kanada, eine andere Schwester in Berlin, nur mein Vater ist in Aleppo geblieben, er meint, er sei zu alt, um wegzuziehen. Ich arbeite jetzt als Berater für humanitäre Organisationen, an der Schnittstelle zwischen lokalen Gruppen und internationalen NGOs, und ich berate pro bono Flüchtlinge, die von Syrien aus nach Kanada einreisen wollen.

Musik zu machen ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Irgendwann merkte ich, dass ich mit instrumentaler Musik meine Gefühle besser ausdrucken konnte als mit Raps, also begann ich, elektronische Musik zu machen. Anfangs nur mit Logic, dann mit Maschine von Native Instruments und einem Keyboard namens Ketron Vega, das auf orientalische Samples spezialisiert ist. Ich mache entweder Edits von Songs von Sängerinnen, die mir gefallen, wie Sophie Hunger oder Natasha Atlas, oder Instrumentaltracks mit arabischen oder kurdischen Einflüssen. Aleppo gilt als Hochburg arabischer Kultur und Musikgenres wie Qudud Halabiyeh und Muwashahat stammen von hier. Mein Lieblingssänger ist Sabah Fakhri, mit seiner Musik bin ich aufgewachsen. Ich weiß, dass man im Westen vor allem Omar Souleyman kennt, aber ich habe gemischte Gefühle dabei, wenn er als einziger Repräsentant syrischer Musik gesehen wird. Ich respektiere ihn und er hat eine starke Bühnenpräsenz, aber er ist nicht mal der beste Dabke-Musiker und Syrien ist so vielfältig, dass seine Musik nur einen geringen Teil der musikalischen Szene ausmacht. Ich veröffentliche meine Tracks auf SoundCloud. Ich weiß, dass dieser Dienst zuletzt viel kritisiert worden ist, aber für arabische Musiker wie mich, die über keinen Plattenvertrag verfügen, ist es mit Abstand die wichtigste Plattform – nicht nur um die eigene Musik online zu stellen, sondern auch um die Musiker anderer zu entdecken und sich mit ihnen auszutauschen. Ich stehe vor allem mit anderen Produzenten elektronischer Musik aus Syrien, Jordanien und Ägypten in Kontakt. Wir lernen uns durch SoundCloud kennen, verabreden uns auf Skype und treffen uns dann auch manchmal. Einer meiner Lieblingsproduzenten ist Hello Psych-aleppo, der ebenfalls aus Aleppo stammt und seine Musik Electro-Tarab nennt. Er ist diesen Sommer auch zusammen mit Acid Arab aus Paris beim Fusion Festival aufgetreten. Im Vergleich zu ihm bin ich ein Amateur. Ich entdecke auch jetzt erst Musiker wie Moderat oder Tale Of Us. Das Musikmachen hat mir geholfen, meine Eindrücke des Bürgerkrieges zu verarbeiten. Ich weiß nicht, ob und wann ich nach Aleppo zurückkann, aber ich weiß, dass Musik ein wichtiger Bestandteil meines Lebens bleiben wird, egal wo ich lebe.

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