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FESTIVALKULTUR LIGHT

Yoga, Glamping und Wohlfühl-Oasen

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Illustration: Super Quiet
Erstmals erschienen in Groove 158 (Januar/Februar 2016)

Pop-Kultur, Artlake oder Secrets – 2015 schossen in Deutschland neue Festivals wie Pilze aus dem Boden. Veranstalter versprachen die ultimative Festivalerfahrung, lockten mit ausgefallenen Konzepten, übermächtigen Line-ups oder luxuriösen Wohlfühlerlebnissen. Denn: Das neue Festivalpublikum ist ausdifferenziert und anspruchsvoll wie nie.

Parallel zum grünen Smoothie-Trend ließ sich im vergangenen Jahr die Entstehung einer Festivalkultur light beobachten. Zielgruppe: Selbstoptimierer, denen die Idee vom Morning-Glory-Ville heimlich doch zusagt, die sich sonntags auf überteuerten Food-Markets herumtreiben und es romantisch finden, im Zelt zu schlafen. Ihnen wurden auf professionell designten Homepages „magische Tage […] überschäumender Gefühle, Verzückungen der Sinne“ versprochen, an denen man sein „eigenes kleines Luftschloss“ (Artlake Festival) errichten kann. Geworben wurde mit „Comfort-Glamping“ (Secrets Festival) – die euphemistische Symbiose aus Glamour und Camping –, kulinarischen Höhepunkten und Yogakursen. Die Liebe zum pastellfarbenen Corporate Design und Instagram-Tauglichkeit schienen oberste Priorität zu haben, was im Falle vom Secrets Festival leider in der Vernachlässigung von Sicherheitsauflagen und genereller Organisation resultierte. Möglichst breit gefächert diente die Musik hier eher der Hintergrundbeschallung, im Zentrum stand das Festivalerlebnis.

Dieses ist den Festivalgängern auch immer mehr Geld wert. Für das aus dem Bachstelzen-Dunstkreis erwachsene Garbicz Festival darf man mittlerweile fast eine Monatsmiete hinblättern. Ein Grund: die offensichtliche Erschließung einer wachsenden Zielgruppe aus jung gebliebenen, kaufkräftigen Mittdreißigern, denen auf der Fusion die Druffies zu anstrengend und die Wege zu weit geworden sind, um ihre Sprösslinge auf den Schultern zwischen den Bühnen herumzutragen. Trotz Vollzeitjob und Kinderstress will man sich den Festivalspaß nicht nehmen lassen, schunkelnder Uffta-Uffta-Tech-House, wie man ihn noch aus Bar25-Zeiten kennt, und seichter Kater-Konsens statt musikalischer Wagnisse sind die Folge.

In Gegenbewegung dazu wurde 2015 die Pop-Musik (man beachte den diederichsenschen Bindestrich) plötzlich wieder sehr ernst genommen. Pop goes Hochkultur – statt drei Tage wach ging es beim Pop-Kultur Festival im Berghain um wissenschaftliche Diskurse, interdisziplinären Austausch und Nachwuchsförderung. In Nachfolge der Berlin Music Week präsentierten die Veranstalter ein experimentelles Konzept, das mehr „produktives Labor“ denn klassisches Festival sein wollte. Auch wenn der hochkulturelle Duktus, das etwas überambitionierte Line-up und die kryptischen Programmodule stellenweise überforderten, ist das Pop-Kultur Festival sicherlich der innovativste Festivalneuzugang.

Sich auf die eigene Nische konzentrieren, statt einen Querschnitt über den Istzustand der Popwelt geben zu wollen, dafür stand das Atonal Festival wieder einmal mustergültig und hat sich mittlerweile zum Markennamen für die experimentelle Darktechno-Avantgarde entwickelt. Ähnliches ist auch beim Amsterdamer Label, Soundsystem und Festivalveranstalter Dekmantel zu beobachten. Dekmantel ist zur Marke avanciert und steht als verlässlicher Seismograf für zukünftige Musiktrends. In diesem Zusammenhang ist auch das Nachtdigital als Institution zu erwähnen. Seit nunmehr 18 Jahren hat es sich seine familiäre Atmosphäre bewahrt, kommt ohne unnötiges Namedropping aus und glänzt stets mit wohlkonzipierten Line-ups, ohne sich selbst Überraschungsmomente zu verbieten.

Das Nachtiville, das als Schwesterfestival dieses Jahr zum ersten Mal stattfand, stellt in diesem Sinne unter Musikkennern den wohl erfreulichsten Neuzugang des Jahres dar. Mit einer speziellen Mischung aus Dubtechno, Breakbeat und intelligentem House brachte es als Nachzügler im November die Festivalsaison zu einem würdigen Abschluss und lässt auf mehr Entwicklungen dieser Art für 2016 hoffen.

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