Du meintest vorhin, dass Du es bei anderen DJs gerade gut findest, wenn sie diese starre Funktionalität aufbrechen.
Ja, das finde ich bei anderen DJs auch immer toll. Ich hasse berechenbare Sets und arbeite gegen abzählbare Breaks an, wo man dann so ‘nen Countdown im Kopf startet –  8, 7, 6, 5, dann white noise, dann die Bassdrum und alle jubeln. Für mich ist das hässlich! Was mich aber interessiert, ist eine neue Funktionalität zu etablieren. Dass Lieder rocken, ohne eine Formel zu kopieren, wenn die Bassdrum zu früh oder zu spät – aber nicht abzählbar – einsetzt und man ganz direkt mit den Erwartungen spielt. Ich möchte lieber überrascht als unterfordert werden.

Du meinst deine Sets haben wenig mit deinen Tracks zu tun. Aber dein letztes Album hatte schon eine starke Auswirkung auf dein Booking. Auch als DJ bist Du dadurch nochmal deutlich populärer geworden.
Ja und ich weiß das zu schätzen. Ich fühl mich da wirklich in einer Ausnahmerolle. Die meisten Leute, die vor und nach mir auflegen, die stehen für einen bestimmten Sound – als DJ und als Produzent. Bei mir hat beides aber kaum etwas miteinander zu tun.

Ursprünglich sind das DJing und Produzieren ja zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Genau. Aber oft ist die eigene Musik halt ein angstgetriebenes Promo-Tool für die DJ-Karriere. Nach dem Motto: ‚Scheiße, ich brauch einen Release, damit die Promoter überhaupt wissen was ich da für einen Sound auflege.‘ Dann richtet man seine Produktionen also nach dem Sound aus, den man gerne auflegt. Dann spielt man einen Hit und denkt: ‚Man, so müsste ich ja eigentlich klingen.‘ Das ist für mich eine Rückkopplung, die ungesund ist und nicht gerade evolutionär.

Beeinflussen DJs, die auf einer Party vor dir auflegen Deine Sets?
Wenn es richtig scheiße ist, ist mir das ehrlich gesagt nicht so wichtig. Früher hab ich immer gedacht: ‚Mein Gott jetzt ballert der Knallfrosch vor mir alles nieder.‘ Jetzt ist mir das völlig egal. Find’ ich sogar ganz gut, dann ist die Erfrischung, wenn jemand kommt und das Fenster aufmacht und frische Luft reinlässt umso größer. Wenn vor mir ein DJ dran ist, der eine richtig geile Party macht, dann ist das natürlich eine Herausforderung. Dann schiebe ich das Set, das ich im Kopf gehabt hab, als ich zum Club aufgebrochen bin, beiseite und versuch den Faden aufzunehmen. In der Realität ist die Musik die gespielt wird, bevor ich dran bin, allerdings meist gleich. Sie ist anstrengend und hämmert so vor sich hin.

Warum ist das so?
Weil es zur Zeit einen sehr großen, erfolgreichen Markt für Musik gibt, die ich gar nicht verstehe. Die hat natürlich trotzdem ihre Berechtigung, mit mir hat sie bloß nichts zu tun. Es ist aber auch wirklich immer wieder interessant: Man bildet sich ein, dass man einen ganz besonderen magischen Vibe zum Publikum hergestellt hat und das das jetzt genau die richtige Musik für diesen Moment ist und dann ist nach einem der nächste DJ dran, dessen erste Nummer von einem anderen Planeten stammt und die selben Leute sagen dann auch ‚Yeah!‘. Da spürt man dann, dass man gar nicht so wichtig ist – auch nicht die schlechteste Erkenntnis.

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