Fotos: Sónar, Gilles BK
Mit seiner aufregenden Architektur und ansteckenden Lebendigkeit ist Barcelona eigentlich immer einen Besuch wert. Allerdings lockt die Mittelmeermetropole gerade im Juni neben den normalen Touristen zusätzlich abertausende Musikbegeisterte in die Stadt. Die Rede ist vom Sónar-Festival, das vor etwas mehr als einer Woche zum mittlerweile 22. Mal stattfand. Was 1994 noch als überschaubares Festival für „Advanced Music and Multimedia Art“ begann, hat sich schon lange zur internationalen Marke mit über 100.000 Besuchern und Ablegern rund um den Globus entwickelt. Dabei stellt sich die Frage ob dies tatsächlich noch der geeignete Rahmen ist, um spannende neue Musik zu entdecken und ob das Sónar-Publikum von heute das denn überhaupt noch will.
Sónar de Día
Das Sónar besteht aus zwei von einander getrennten Programmteilen. An drei Tagen spielen beim Sónar de Día hauptsächlich elektronische Live-Acts. Daneben gibt es mit Sónar+D noch einen Business-Bereich, in dem sich mit Vorträgen und Workshops alles um brancheninterne Zusammenarbeit und technische Neuerungen dreht. In den beiden Nächten des Sonár de Noche wird dann das große Headliner-Feuerwerk gezündet. Aufwendig inszenierte Konzerte und DJ-Sets vor riesigen Mengen bestimmen das Bild. Überhaupt lässt sich die Größe dieser Veranstaltung kaum begreifen, denn beide Festivalteile spielen sich seit einigen Jahren komplett auf Messegeländen ab. Das Tagesprogramm in der Fira Montjuic, gelegen am westlichen Ende der Innenstadt. Hier wird ein großer Innenhof mit Plastikrasen bedeckt und bietet Blick auf die einzige Außenbühne.
Holly Herndon
Die Red Bull Music Academy hostet eine der beiden großen Hallen und hatte auch dieses Jahr wieder ihrer ehemaligen Teilnehmer eingeladen. So spielte etwa die Hardware-affine Xosar auf ihren Synthesizern zu Visuals von Torn Hawk, der dem Hardcore Continuum verpflichtete Mumdance brachte Grime mit MC-Unterstützung auf die Bühne und einer der Groove-Hoffnungsträger für 2015, Palms Trax, präsentierte sein noch junges Live-Set.
In dem mit Sitzen ausgestatteten SonarComplex finden traditionell die etwas konzeptuelleren Shows statt. Dieses Jahr konnte man sich dort (nach einigem Anstehen) die nur mit Laptop und ihrer Stimme arbeitende Holly Herndon anhören oder auch das italienische Ambient-Techno-Duo Voices From The Lake. In der SonarHall wurden die größeren Konzerte, meist visuell aufwendig inszeniert, abgehalten. Eine Ausnahme waren Autechre, die in völliger Dunkelheit und versteckt hinter ihren Computerbildschirmen performten. Hier konnte war das Verhalten des Publikums sinnbildlich für die Entwicklung des Sónars gesehen werden: Zu Beginn drängte sich noch alles in die finstere Halle, um den als rar und bedeutend angekündigten Auftritt des Warp-Acts zu sehen. Sobald dann aber die weder optisch stimulierenden und alles andere als zugänglichen fragmentierten Maschinensounds losgingen, lichteten sich die Reihen ganz schnell wieder.
SónarHall
Zwar präsentiert das Sónar eine beachtliche Menge an Künstlern, die erfrischende und experimentelle elektronische Musik machen. Allerdings verlieren sich deren Darbietungen leider oft zwischen sehr frühen Zeit-Slots und Besuchern, die umherwandern, statt sich wirklich auf eine Show einzulassen, wenn es sich nicht gerade um einen Headliner handelt.
Das Nachtprogramm trieb dies gefühlt noch auf die Spitze. Aus Platzgründen ist man mit diesem auf das Messegelände von L’Hospitalet, etwa zehn Autominuten vom Tages-Veranstaltungsort entfernt, gezogen. Hier fasste die größte Halle über 15.000 Menschen, die dann einerseits zu Auftritten von Skrillex, Die Antwoord oder A$AP Rocky abgingen, andererseits aber auch zu Sets von Laurent Garnier, Jamie XX, Helena Hauff oder Special Request. Es gab auch durchaus viele hochqualitative Acts aus allen Ecken des elektronischen Spektrums zu sehen – eine ganze Menge sogar! FKA Twigs brachte mit ihrer Bühnenpräsenz das Publikum zum kochen, und ein Masken-tragender Flying Lotus begeisterte aus seinem dreidimensionalen Visual-Würfel heraus.
FKA Twigs
Allerdings machten es das schiere Überangebot und die durch die Menschenmassen entstehende ständige Hektik und Unruhe zu einem nicht wirklich angenehmen Musikerlebnis. Ebenfalls stimmungsdämpfend waren die Preispolitik, der Umgang mit den Besuchern sowie organisatorische Mängel. So konnte man als Pressevertreter nicht zusammen mit seinen Freunden das Festivalgelände betreten, weil man am Haupteingang den Barcode des Pressepasses nicht scannen konnte, sondern nur am (weit entfernten) Seiteneingang. Und warum müssen beim Verlassen des Festival-Geländes alle Gäste wieder ihre Pässe scannen? Können dafür dann nicht wenigstens mehr als zwei Leute abgestellt werden, sodass sich nicht schon wieder eine Schlange bildet?
Das kürzlich beim Berlin Festival auf viel Unmut gestoßene bargeldlose Bezahlsystem mit Chipkarten am Armband war beim Sónar ebenfalls in Kraft. Damit konnte man sich dann überteuerte Getränke in dünnwandigen Plastikbechern kaufen, deren zertretene Überreste schon bald den gesamten Festivalboden bedeckten. Beim Kauf von Wasserflaschen wurde außerdem systematisch der Flaschendeckel einbehalten, damit möglichst schnell ausgetrunken werde. Absurd. Und warum ist beim Preis von 195 Euro für das komplette Festival beziehungsweise 72 Euro für nur eine Nacht nicht mal ein Shuttlebus zurück in die Stadt drin? Stattdessen sind die wenigen Linienbusse und Taxen morgens gnadenlos überfüllt, tausende Menschen strömen zur nächsten Bahnstation, müssen sich dort einzeln und unter Aufsicht der Bahnbeamten durchs Nadelöhr der Ticketkontrolle zwängen, nur um 15 Minuten auf den ersten Zug zu warten, der dann bereits halb gefüllt mit Berufspendlern ankommt. Alles Unannehmlichkeiten, die nach über 20 Jahren Festivalgeschichte nicht mehr sein müssten. So bleibt bei all der erstklassigen präsentierten Musik doch der fade Nachgeschmack, dass die Veranstalter ihr Publikum in erster Linie als Cashcows denn als Connaisseure begreifen.
Sonár de Noche
Eine Rückschau aufs Sónar wäre nicht komplett ohne auch einen Blick auf die seit Jahren wachsende Szene der sogenannten Off-Sónar-Partys zu werfen. Sowohl lokale Promoter als auch ausländische Labels veranstalten, oft gemeinsam, zahlreiche Partys in den Tagen vor, während und nach dem offiziellen Festival. Dem ist diese Entwicklung natürlich ein Dorn im Auge. Tatsächlich bieten diese Einzelevents dem geneigten Clubber aber oft eine brauchbare Alternative, die einem ebenfalls Sommer, Sonne und Sónar-Flair beschert. Allerdings kann man auch hier böse Überraschungen überleben. Durch die immens gewachsene Anzahl der Off-Partys bleiben viele davon trotz Star-gespicktem Line-up schlecht besucht, und die profitgierige Produktionsweise ist auch hier an der Tagesordnung. So musste man etwa bei der Party von Feel My Bicep und Live At Robert Johnson selbst mitgebrachtes Obst am Eingang abgeben, sollte sich dann Wasser für fünf Euro kaufen, und die mit Strandblick und Pool beworbene Location entpuppte sich als Asphaltplatz. Positiv zu erwähnen ist die von Tim Sweeney in Zusammenarbeit mit der lokalen Bar 33/45 organisierte Beats in Space-Party, mit Sets von Awesome Tapes From Africa, über Anthony Naples, Head High und Tin Man bis hin zu einem b2b zwischen Tama Sumo und Prosumer.
Die Veranstalter von Indigo Raw (IR BCN) gingen noch einen Schritt weiter und hielten auf dem Montjuic, dem Hausberg von Barcelona, an fünf aufeinander folgenden Tagen Partys in Zusammenarbeit etwa mit Resident Advisor oder Dekmantel ab. Auch diese Partys überzeugten durch stimmige musikalische Zusammensetzung sowie gute Organisation. Außerdem ist die Location mit Blick auf die Stadt ein echter Hingucker. Das künstliche Dorf Poble Espanyol wurde ursprünglich für die Expo 1929 gebaut, komplett mit Marktplatz und Kloster. Aus dessen Innenhof wurde am Sonntag sogar noch ein Boiler Room übertragen, als dessen Überraschungsgast sich schließlich kein geringerer als Dixon entpuppte.
IR BCN
Bei all dem Namedropping und den schönen Fotos fällt es leicht, die mit dem Sónar-Besuch verbundenen Kosten und Strapazen auszublenden. Hohe Preise, frühe Sperrstunden, unsinnige Regeln und übereifriges Security-Personal sind jedoch alle fester Teil des barcelonesischen Nachtlebens. Nicht ohne Grund kommen die Spanier so gern zum Feiern zu uns. Nur die After Hour am Strand lässt sich schließlich kaum mit etwas aufwiegen. In diesem Sinne: Hasta la vista!