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RÜCKSCHAU Iceland Airwaves (Reykjavík, 05.-09.11.2014)

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Text: Stefan Dietze, Fotos: Aniela Wochner (oben), Rúnar Sigurður Sigurjónsson, Mathew Eisman, Alexander Matukhno

Angekommen im isländischen Nieselregen in Reykjavík, bei vergleichsweise warmen fünf Grad, sind die Zeichen des Iceland Airwaves 2014 in der Stadt nur schwer zu übersehen. Was aber auch nicht weiter verwunderlich ist: Wenn ein Festival dieser Größe in einer Stadt mit 120.000 Einwohnern stattfindet, ergibt das zwangsläufig eine extrem hohe Künstler- und Szenedichte, die in Reykjavik ja selbst im Normalzustand schon außergewöhnlich ist. Und überhaupt, dass Island popkulturell gesehen einen ganz besonderen Stellenwert einnimmt, steht außer Frage und wurde in der letzten Dekade mehr als hinreichend beleuchtet, nicht zuletzt auch schon im Rahmen diverser Groove-Features. Trotzdem ist es überraschend, immer wieder festzustellen, dass man außerhalb der Insel überhaupt nur die Spitze des Eisbergs wahrnimmt, wie das Iceland Airwaves mit einem Anteil von 151 isländischen Acts eindrucksvoll dokumentiert. Inoffiziellen Statistiken zufolge befindet sich in der Festivalwoche tatsächlich jede brauchbare PA des Landes im Einsatz in Reykjavik.

 

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Warteschlange vor der Konzerthalle Harpa. (Foto: Rúnar Sigurður Sigurjónsson)

 

Während sich das offizielle Festival mit insgesamt 219 Acts und Headlinern wie The Knife, Caribou oder The Flaming Lips über die 13 Top-Venues der Stadt verteilt, mit den vier Sälen der direkt im Hafen gelegenen Harpa Concert Hall als Epizentrum und diversen historischen Theater- und Eventsälen und Kirchen wie der wunderbaren kleinen Fríkirkjan an der Peripherie, hat sich in den letzten Jahren auch das Off-Venue-Programm als fester Bestandteil etabliert. Parallel zum offiziellen Festival wird hier während der fünf Festivaltage quer durch die Stadt so ziemlich jedes Hostel, jede Bar und jeder Outdoor-Touristen-Ausstatter mit einem zum Teil fast ausnahmslos guten Programm bespielt. Und das, im Gegensatz zum offiziellen Festival, ohne Eintritt und – nicht unkontrovers – meist ohne Bezahlung für die Künstler. Da kann man dann schon mal das Olafur Arnalds-Projekt Kiasmos oder Mugison für lau im Hostel um die Ecke hören, und stolpert über beeindruckend gute, meist isländische Nachwuchs-Acts auf jedem Schritt durch die Stadt. Über einige auch durchaus öfter, sind 10-20 Gigs in einer Woche für einige Acts hier nämlich keine Seltenheit.

 

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Vök live. (Foto: Mathew Eisman)

 

Angefangen beim ersten Abend, der mit einem intimen Kiasmos-Gig im Kex Hostel, dem Thule-Electro Duo Árni², und den wunderbaren Vök in der überfüllten Gamla Bíó schon einiges zu bieten hatte, war es hier nicht leicht, sich einen optimierten Terminplan zu basteln. Will man doch die wichtigsten Acts und Venues genauso berücksichtigen, wie Zeit für Ausflüge auf ungehörtes Terrain einplanen. Letzteres ist etwas, was beim Airwaves unbedingt mit dazugehört, um sich eben nicht nur eine Affirmation seines eigenen Geschmacks zu holen, sondern die Gelegenheit zu nutzen, über den Tellerrand zu schauen. Denn eines lässt sich auf jeden Fall feststellen: Bei der wasserdicht geschmackssicheren Kuratierung durch das Iceland Airwaves-Team, macht es wahnsinnig Spaß sich auch von unbekannteren Acts aus Genre-Randbereichen überraschen zu lassen.

 

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Caribou live im Reykjavik Arts Museum. (Foto: Alexander Matukhno)

 

Während die Temperaturen von Tag zu Tag sanken und dadurch das Venue-Hopping nur noch mit entsprechend schwerer Winterausrüstung zu empfehlen war, wuchs die Anzahl der Höhepunkte jeden Tag. Highlights herauszupicken fällt hier schwer, auch wenn The Knife mit ihrer allerletzten Bühnenshow – so zumindest die Ankündigung – sicher ganz weit vorne stehen auf der Liste, was auch der mehr als überfüllte Saal bei der druckvollen Show zwischen dadaistischer Musical-Performance und schweißtreibender Aerobic so zu sehen schien. Caribou, der im Reykjavik Arts Museum mit gewohntem Live-Setup vor vollem Haus spielte und mit Songs von „Swim“ und „Our Love“ für glückliche Gesichter sorgte, war auch einer der erwartungsgemäßen Publikumsmagneten. An gleicher Stelle gab es zwei Tage vorher auch schon Morr Musics Sin Fang, der ein kompaktes aber auch sehr vorhersehbares Set zum Besten gab. Herausragend auch Jóhann Jóhannsson, der gemeinsam mit dem Icelandic Philharmonic Orchestra im großen Saal der Harpa seinen Film-Score „Miners Hymns“ live inszenierte, was zu begeisterten Standing Ovations führte. Ansonsten gab es noch campen Workout-Techno von The Mansisters (Kasper Bjørke, Jon Atli) und vor allem auch eine heiß ersehnte Performance von Kiasmos in der Harpa, bei der es zwar nicht so viel fürs Auge gab (Jungs mit Macbooks halt) aber dafür der Sound des Albums doch wunderbar auf Club und Rave getrimmt wurde. Beide Gigs waren natürlich besser für den Club als die Bühne geeignet, aber das Publikum machte das Beste draus und ging mit. Das permanente Hintergrundrauschen bestehend aus zum Teil auch fantastischen Gigs in den unerwartetsten Veranstaltungsorten sorgte hier auch mehr als einmal dafür, dass wir uns regelmäßig in einer der Off-Venue-Shows verloren und gar nicht erst am eigentlichen Ziel ankamen.

 

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Kiasmos in der Konzerthalle Harpa. (Foto: Rúnar Sigurður Sigurjónsson)

 

Das einzige Manko ist vielleicht die Tatsache, dass die Shows – bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel bei oben genannten Headlinern – auf 30 Minuten begrenzt sind, was wenig Raum für das spontane Interagieren mit dem Publikum läßt. Aber dafür ist es eben auch genau die Stärke des Iceland Airwaves, eine Unmenge von Künstlern aus verschiedenen Richtungen zusammenzubringen, bei deren Vielfalt und Anspruch es einfach auch sehr viel Sinn macht, sich zumindest auch ein Stück weit einfach im Strom der Shows treiben zu lassen und Neues zu entdecken. Zurück im Flieger bei frostigen Temperaturen, umringt von Festivalgängern, denen noch die letzte Nacht ins blasse Gesicht geschrieben steht, bleibt die Erkenntnis dass das Iceland Airwaves inzwischen vielleicht das bessere Sónar ist. Wobei Letzteres ja im Februar auch in Reykjavik zu Gast ist und mit Skrillex als Headliner ungewollt eher Werbung für das kommende Iceland Airwaves 2015 macht.

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