Im Augenblick sind wir in Berlin-Mitte, nicht weit weg von der Leipziger Straße und dem Ort des ersten Tresors. Kannst du dich an deinen ersten Besuch in Berlin erinnern?

Ja, natürlich! Mein erster Besuch war Anfang 1990. Ich kam mit meiner damaligen Band Final Cut nach Westberlin, wir waren für das Atonal Festival gebucht. Wir fuhren direkt vom Flughafen zu einer Wohnung in Kreuzberg, wo wir übernachten konnten. Das Wetter war sogar ziemlich so kalt, grau und verregnet wie heute, und in der Wohnung gab es keine Heizung – nur einen Kohleofen. Aber es gab einen Fernseher. Ich schaltete ihn an und ich erinnere mich, dass irgendwann Baby Fords „Oochy Koochy” lief – ein ziemlich hypnotisches Musikvideo.

Wow, also war House Anfang 1990 sogar schon im westdeutschen Fernsehen angekommen. Welchen Eindruck hattest du vom Atonal und dem damaligen Berlin?

Wir spielten mit vielen anderen Acts in einer Art Kulturzentrum. Die Veranstaltung hat wohl Techno und die Ravekultur erstmals in gebündelter Form in Berlin vorgestellt. Das Line-Up war bunt gemischt, was typisch für die damalige Zeit war: Industrial-Bands wie Consolidated und Clock DVA spielten, GTO (Greater Than One), 808 State und Baby Ford waren da. Es war auch meine erste größere Reise mit Final Cut und das Festival war, nun ja, sagen wir: anders. Anders als ich es aus Detroit kannte. Industrial hatte gerade seinen Höhepunkt überschritten und die Ravekultur steckte noch in den Kinderschuhen. Das sah ich vor allem am Publikum, welches ziemlich wild und exotisch aussah. Zwar waren die meisten schwarz gekleidet, aber es gab keinen Dresscode. Außerdem schien die Szene in Berlin damals noch sehr klein zu sein, da viele Akteure sich kannten. Wir kamen schnell ins Gespräch, redeten über die Parallelen und Unterschiede unserer Städte und machten dann auch Musik zusammen. Ich denke, dass diese Beziehung zu Berlin völlig unterschiedlich zu derjenigen war, die Derrick, Juan und Kevin mit Großbritannien hatten. In Deutschland und speziell in Berlin kam mir alles viel intimer vor.

Jeff Mills

Vermisst du diese Zeit?

Ja klar, das war schon toll. Ich vermisse vor allem diese enthusiastischen Menschen, die damals viel diskutiert und noch mehr gemacht haben. Heutzutage kommen mir die Macher einfach viel sauberer vor. Allerdings vermisse ich die Siebziger und Achtziger ebenfalls.

Wieso? War früher alles besser?

Nein, so war das nicht gemeint. Ich schaue lieber nach vorne als zurück, denn die Vergangenheit ist nun mal die Vergangenheit. Und die lässt sich nicht ändern. Aber in der Zukunft hat man die Möglichkeit, Sachen zu verändern.

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