Und wenn du wenigstens eine Sache in deiner Vergangenheit ändern könntest – was würde das sein?

Oh, das ist hart! Nur eine Sache? Da muss ich überlegen. Vielleicht hätte ich mich noch länger mit Hip Hop auseinandersetzen und erst später Techno widmen sollen. Ja, das wär’s! Ich spielte in den Achtzigern eine Menge Hip Hop als DJ, ich steckte da tief drin. Von Run DMC über A Tribe Called Quest, Two Live Crew und Afro Rican bis hin zu West-Coast-Rap wie NWA und Dr. Dre spielte ich alles, was ich kriegen konnte. Als aber vor allem die West Coast immer brutaler und gewalttätiger wurde, verlor ich das Interesse. Außerdem war ich jung und hungrig auf neue Sachen! Es war ja nicht so, dass ich Hip Hop plötzlich nicht mehr mochte, aber er hatte seine Kreativität und somit für mich seine Inspirationskraft verloren.

Und mit der Gründung deiner Band Final Cut kehrte die Inspiration zurück?

Ja, mit Final Cut griff ich damals die neuen Einflüsse aus Chicago und New York auf. Aber auch Industrial hat uns stark beeinflusst, das war Ende der Achtziger echt riesig in Detroit. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Konzert von Nitzer Ebb, und wirklich jeder, der in Detroit etwas mit Musik am Hut hatte, war da!

Chicagos Einfluss hört man vor allem bei „Take Me Away” von Final Cut. Aber auch deine erste Platte auf Underground Resistance, „Your Time Is Up”, kann man heute getrost als House-Klassiker bezeichnen. Seitdem hast du, soweit ich weiß, keine House-Platte mehr veröffentlicht. Langweilt dich House?

Auch wenn ich mich damals als Hip-Hop-DJ bezeichnet habe, spielte ich jede Menge House. Ich habe buchstäblich alles, was damals aus Chicago kam, in meine Sets gepackt. Und als ich älter wurde, war House für mich immer die Partymusik von damals. Das war eine tolle Zeit! Aber House hat sich für mich nicht schnell genug weiterentwickelt. House ist fantastisch, allerdings transportiert diese Musik für mich immer und immer wieder – immer noch! – das gleiche Gefühl wie damals. Die Möglichkeiten schienen mir im Gegensatz zu Techno sehr begrenzt und viele House-Produzenten waren mir nicht experimentierfreudig genug.

„Ist ja ganz nett, allerdings fehlt Bass!” Das war die Reaktion deiner Mutter, als du ihr das erste Mal „Your Time Is Up” vorspieltest. Lässt du sie immer noch deine Sachen hören?

(lacht) Ok, dann muss ich dir aber auch die ganze Geschichte erzählen! Zu dieser Zeit war ich mittags in der Schule, am späten Nachmittag hatte ich einen Job. Also hatten Mike (Banks, Anm. d. A.) und ich nur in den Abendstunden Zeit zum Aufnehmen. Jede Nacht begannen wir um elf Uhr Abends und blieben meist bis früh um acht im Studio. Also schlief ich dann bis mittags und ging nach dem Aufstehen gleich wieder in die Schule. Meine Mutter war richtig sauer, dass ich immer nur schlief und schimpfte die ganze Zeit. Also sagte ich: „Hör zu, wir machen die ganze Nacht Musik, ich bin nicht faul!” Aber sie verstand das nicht. Am nächsten Tag brachte ich ein Tape mit und spielte es ihr vor. Sie hörte es sich in Ruhe an, überlegte kurz und meinte: „Ah, okay! Ist ja ganz nett. Aber da fehlt Bass!” In dieser Nacht nahmen wir den Track nochmal auf und drehten mehr Bass rein – sie hatte wirklich Recht!

Und heute? Hat sie immer noch ein kritisches Ohr und hört deine Produktionen?

Nein, wir haben schon lange nicht mehr über Musik geredet.

Mit Mike Banks hast du Underground Resistance gegründet, es war eine Reaktion auf die damalige Musikindustrie und deren Machenschaften. Heute ist UR selbst eine der stärksten Marken im Musikgeschäft und eine Art Blaupause für Guerilla Marketing. Ein Zufall?

Die späten Achtziger waren eine wirklich drakonische Zeit in der Musikindustrie. Jeder versuchte, sich einen Vorteil zu verschaffen und wirklich alle Bands und Musiker, die ich kannte, wurden von den Major Labels über’s Ohr gehauen. Du wurdest beispielsweise für eine gebuchte Studiosession nicht bezahlt, man klaute deine Kompositionen oder am besten gleich eine komplette Veröffentlichung. Man wurde komplett ausgebeutet! Das größte Drama widerfuhr Kevin Saunderson mit Inner City, und das öffnete uns die Augen: Wenn wir von der Musik leben wollen, müssen wir uns etwas Eigenes aufbauen und ganz unten anfangen. Gleichzeitg war es aber auch die Zeit der technischen Neuerungen. Vor allem die Art der Kommunikation veränderte sich grundlegend. Faxgeräte wurden gerade der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und du konntest quasi in Sekundenbruchteilen einen Brief von der Ost- zur Westküste schicken. Das war revolutionär! Außerdem tauchten die ersten Mobiltelefone auf. Wir lebten in einer ultramodernen Zeit damals, alles veränderte sich. Also musste sich auch die Musik verändern und die Art, wie du sie präsentierst und verkaufst. Und nicht zuletzt musste sich natürlich die Art, wie Musik gemacht wurde, verändern. All das wurde zu UR.

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