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Zeitgeschichten: New Beat

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Text: Holger Klein
Erstmals erschienen in Groove 148 (Mai/Juni 2014)

Die Jahre 1988 und 1989 – man verbindet sie mit Acid House und dem Rave-Sommer der Liebe, auch wenn die damalige Aufbruchstimmung außerhalb von Großbritannien fast ausschließlich medial vermittelt war. In Deutschland kam nicht viel davon an, in Belgien ebenso. Doch unser westliches Nachbarland erlebte in jenen Jahren im Zuge des New-Beat-Sounds seine eigene Clubmusik-Revolution. Beinahe aus dem Nichts entstand eine Clubszene mit riesigem Anhang.

New-Beat-Platten waren auch in hiesigen Clubs wie dem Omen oder Dorian Gray in Frankfurt große Hits – in London, Manchester und auf Ibiza sowieso. Selbst in New York war man hellhörig geworden. Jellybean Benitez, in den achtziger Jahren einer der bekanntesten DJs der Stadt, ließ sich den gesamten Katalog des Labels Subway schicken.

Rückblende ins Belgien der frühen Achtziger: Das Land feierte seine popmusikalische Erweckung. New Wave made in Belgium avancierte auch im Ausland zu einem Begriff. Zu den bekanntesten Künstlern jener Jahre zählten Max Berlin, Telex, TC Matic, Poésie Noire oder The Neon Judgement. Schnell kristallisierte sich heraus, dass belgische Bands ein besonderes Faible für Synthesizer und Drumcomputer hatten. Aus Synth-Pop- und Industrial-Einflüssen, entstand, nicht zuletzt nach dem Vorbild der deutschen Pioniere D.A.F., ein eigener Sound mit repetitiven Step-Sequencer-Basslines und knappen, geshouteten Parolen als Vocals – Electronic Body Music, kurz EBM. Auch wenn mit Nitzer Ebb eine der bekanntesten Bands dieses Genres aus Großbritannien kam, das Eldorado der EBM ließ sich in Belgien verorten. Von dort kamen Acts wie Front 242, The Neon Judgement, A Split-Second oder The Weathermen. In den belgischen Discotheken der frühen und mittleren achtziger Jahre lief eine Mixtur aus New Wave, Industrial, Synth-Pop und vor allem Electronic Body Music. Disco amerikanischer Prägung oder Rap spielte kaum eine Rolle.

Mitte der Achtziger galt das Ancienne Belgique in Antwerpen als heißester Club Belgiens. Dort legte zwischen 1984 und 1986 Ronny Harmsen auf, genannt Dikke Ronny. Der hatte bereits vorher einen sehr eigenen Stil entwickelt, Platten von The Human League, Gary Numan, Fad Gadget oder Severed Heads spielte er gerne mal langsamer ab. Im Ancienne Belgique bediente Ronny Harmsen eine riesige Crowd von bis zu 2.000 Leuten. Er legte Electronic Body Music, Industrial, Post Punk und New Wave auf, zwischendrin auch mal instrumentale B-Seiten von Rap- oder Houseplatten. Die Leute nannten das, was er spielte A.B.-Music – es war ein Sound, der so nur im Ancienne Belgique zu hören war. Hier wurde New Beat geboren.

Die Initialzündung des Genres war eine Platte der belgischen EBM-Band A Split-Second. Ronny Harmsen war der Track „Flesh“ viel zu schnell für die Tanzfläche. Also spielte er die Maxi mit 33 statt 45 Umdrehungen pro Minute ab, mit dem Pitch auf plus acht. Das Resultat: Auf der mächtigen Anlage des Ancienne Belgique wurden die auf diese Weise tiefer gelegten Bässe zu einer Körpererfahrung.

„Not Afraid To Dance“

Was folgte, war ein Schneeballeffekt. Mehr und mehr DJs taten es Ronny Harmsen nach. Er selbst musste tatenlos zusehen, wie andere DJs in den Mittelpunkt rückten. Sein Kokainkonsum nahm überhand, am Ende reichte das Geld nicht aus. Und so wurde er nach einem Einbruch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Das Ancienne Belgique verschwand ohne Dikke Ronny in der Bedeutungslosigkeit, fortan gingen die Leute in Clubs wie das Prestige, ebenfalls in Antwerpen. Dort legte Marc Grouls auf, der Mann, der für den noch namenlosen Sound den Begriff New Beat prägte. 1987 feierte der Club, der zum New-Beat-Mekka werde sollte, seine Eröffnung – das Boccaccio in Destelbergen bei Gent, mit einer Kapazität von 3.000 Gästen. In der DJ-Kanzel stand dort Olivier Pieters, neben Ronny Harmsen der wohl beste DJ, den Belgien in jener Zeit kannte. Noch war New Beat kein Genre. Maurice Engelen, der Macher des New-Wave- und Electronic-Body-Music-Labels Antler, als Produzent auch bekannt unter dem Namen Pragha Khan, erkannte die Zeichen der Zeit, als er in den Clubs hörte, welchen Effekt „Flesh“ von A Split-Second auf 33 plus acht hatte. Er bat seinen Labelpartner Roland Bellucci, einen Track zu produzieren, der genau das transportierte. „Not Afraid To Dance“ von Fruit Of Life wurde 1987 zur ersten Platte, die explizit New Beat war. Mit ihr begann der Aufstieg von Subway, dem New-Beat-Ableger von Antler Redords. Im selben Jahr landete mit „Hiroshima“ von Nux Nemo, einem Projekt von Joe Bogaert, der später mit Technotronic internationale Hits landen sollte, die erste Platte auf der Nummer eins der belgischen Single-Charts.


Stream: Fruit Of LifeNot Afraid To Dance

Jede Woche eine Single

New Beat als Genre übernahm die Soundästhetik von Electronic Body Music. Das Tempo der Tracks mit ihren langsamen, mechanischen Beats pendelte sich um die 110 BPM ein. Vocals kamen nur in Form von Samples oder knappen Phrasen vor. Ansonsten verwendete man House-Elemente, Euro-Disco-Einflüsse, alberne Weltmusikklänge und später zunehmend Acid-Sounds. Zum fleißigsten Produzententeam schwang sich das Trio Morton Sherman Bellucci auf, das aus der New-Wave-Band Poésie Noire hervorging. Schon bald veröffentlichten sie unter zig Pseudonymen wie Erotic Dissidents, Beat Professor, Danse Macabre, Taste Of Sugar oder Chinese Ways jede Woche eine Maxi, zumeist auf Antler-Subway. Andere wichtige Labels waren USA Import, hervorgegangen aus dem gleichnamigen Plattenladen in Antwerpen, Music Man und R&S (samt des New-Beat-Ablegers Ferrari Records). Mit „The Sound Of C“ von den Confetti’s gelang 1988 erstmals der Crossover in den Popmarkt und der Sprung in ausländische Charts.


Video: Confetti’sThe Sound Of C

Doc Martens, Mercedes-Sterne, Smilies

New Beat war nicht nur ein Sound. In Belgien war New Beat eine Jugendkultur, die in dem bisher rockdominierten Land einen Umbruch markierte. Die meist großzügig dimensionierten Clubs überall im Land wie das Boccaccio, das La Rocca in Lier, oder das Confetti’s in Brasschaat waren voll. Überall schossen Afterhour-Clubs wie das Balmoral in Gent aus dem Boden. Die New-Beat-Szene selbst verstand sich als Jugendbewegung mit eigenem Dresscode. Getragen wurden Doc Martens-Schuhe, abgeschnittene Jeansjacken, Radlerhosen und sonstige elastische Textilien, BOY-Klamotten, Mercedes- und VW-Embleme und jede Menge Smilies. New Beat beherrschte für etwa zwei Jahre das gesamte Land.


Interview: Maurice Engelen

Maurice Engelen alias Praga KhanMaurice, wie kam es zu New Beat?

Letztlich war es Zufall. Ronny Harmsen, genannt DJ Dikke Ronny, der im Ancienne Belgique in Antwerpen auflegte, spielte „Flesh“, einen Electronic Body Music-Song von A Split-Second auf 33 statt auf 45. Die Sache hatte den Effekt, dass der Bass richtig fett war. Als ich das hörte, war ich mächtig beeindruckt. Den A Split-Second-Track hatte ich ja auf meinem eigenen Label veröffentlicht. Und was Ronny Harmsen da machte, ergab einen Sound, der absolut unvergleichlich war. Mein Gedanke war, dass wir unbedingt ins Studio müssen, um genau das umzusetzen. So entstanden die ersten New-Beat-Platten wie „Move Your Ass And Feel The Beat“ von Erotic Dissidents, „Hmm, Hmm“ von Taste Of Sugar oder „Rock To The Beat“ von 101. Fat Ronny war damals den Drogen sehr zugetan. Vielleicht war das der Grund, dass er die Platten langsamer gespielt hat. Auf jeden Fall war er derjenige, der diesen Sound erschaffen hat.

Kann man also sagen, dass die New-Beat-Szene ihren Ursprung in Electronic Body Music und damit in Industrial hatte?

Ja, alle Produzenten kamen aus der EBM-Ecke. Mein Label Antler kümmerte sich beispielsweise ausschließlich um Electronic Body Music. Als New Beat plötzlich in aller Munde war, mussten wir reagieren. A Split-Second hatten einen Hit, wollten mit New Beat aber nichts zu tun haben. Hätte es nicht bald New-Beat-Produktionen gegeben, wäre die Sache sehr schnell wieder vorüber gewesen.

Das umtriebigste Produzententeam dieser Zeit war Morton Sherman Bellucci, deren Output sollte unter zig Pseudonymen recht bald inflationär werden. Beschleunigte diese Flut an Platten den Ausverkauf?

Das kann man schon so sagen. Wobei die frühen New-Beat-Produktionen von Morton Sherman Bellucci extrem gut waren. Neben „Move Your Ass And Feel The Beat“ unter dem Namen Erotic Dissidents wären beispielsweise „Not Afraid To Dance“ als Fruit Of Life, die erste Taste Of Sugar-Maxi oder die Beat Professor-Nummer „You’ve Got The Beat“ zu nennen. Erst als sie auf Massenproduktion umstellten, ging die Qualität den Bach runter.

Hast du zu dieser Zeit bereits selbst Platten produziert?

Erst mit New Beat fing ich an, selbst Musik zu machen. Ich habe zum Beispiel „D’Bop“ von Dirty Harry oder „I Sit On Acid“ von den Lords Of Acid produziert.

Welche Geschichte hat dein Label Antler?

Angefangen haben wir 1982 mit Post Punk und New Wave, später veröffentlichten wir hauptsächlich Electronic Body Music. Zu unseren bekanntesten Acts auf Antler zählten Neon Judgement, Siglo XX, A Split-Second und The Arch. Aber EBM war Underground, wohingegen New Beat kommerziell richtig erfolgreich wurde. Anfangs hieß das Label schlicht Antler Records, 1987 gründete ich das Sublabel Subway. Innerhalb kürzester Zeit wurde Subway im Zuge von New Beat viel, viel größer als Antler. Also hatten wir ein kleines Problem. Wir kamen auf die Idee, die beiden Namen zu einem verschmelzen zu lassen. So entstand Antler-Subway. Das war wohl der dümmste Labelname in der Geschichte des Musikgeschäfts.

EBM mag für New Beat zwar der Ausgangspunkt gewesen sein, war aber doch etwas ganz anderes als der New-Beat-Sound, der zu hundert Prozent Club- und DJ-Musik war.

Auf jeden Fall. New Beat war rein elektronische Musik, während Electronic Body Music mit seiner Verbindung zu Industrial und New Wave für ein Nebeneinander von elektronischen Elementen und Gitarren stand. Außerdem fandest du auf New-Beat-Platten keine Vocals, von Samples einmal abgesehen.

„In Belgien scherte sich niemand darum, was in England geschah. Wir hatten unsere eigene Szene, unsere eigenen Platten und unseren eigenen Stil.“

New Beat explodierte zeitgleich mit Acid House in Großbritannien. Gab es da eine Verbindung? Oder war Housemusik in irgendeiner Weise ein Einfluss für New Beat?

Nein, überhaupt nicht. Zu jener Zeit lebte ich teilweise in London. Ich war also mittendrin, als Acid House groß wurde. Das mit New Beat ereignete sich wirklich parallel dazu. Doch in Belgien scherte sich niemand darum, was gerade in England geschah. Wir hatten unsere eigene Szene, unsere eigenen Platten und unseren eigenen Stil, was das Visuelle betraf. Es gab nur ganz wenige Acid-Platten, die es nach Belgien schafften. „Jesus Loves The Acid“ von Ecstasy Club war eine davon. Neunzig Prozent der Musik, die in den Jahren 1988 und 1989 in belgischen Clubs gespielt wurde, kam aus dem eigenen Land. Es war wirklich lustig, dass plötzlich ausländische Journalisten nach Belgien kamen, um zu sehen, was bei uns passierte! So etwas waren wir nicht gewohnt. Clubs wie das Boccaccio in Destelbergen bei Gent hatten eine Kapazität von zwei- oder dreitausend. Und der Laden war voll! Auf der Autobahn bildeten sich Staus am Wochenende. Die Schlange vor der Tür war unglaublich, tausende von Leuten versuchten reinzukommen. Dort trafen sich auch jeden Sonntagmorgen die Macher von Labels wie R&S, Music Man oder USA Imports und standen zusammen an der Bar. Wir arbeiteten zusammen, das war alles sehr kollegial. Die Szene war wie eine Nation unter einer Flagge.

Wie sah es damals mit Drogen aus?

Natürlich gingen viele Drogen, seit den Tagen von Disco gehören die zur Clubszene dazu. Ecstasy war bereits ein großes Thema. Die Acid-House-Bewegung kam bei uns zwar nicht an, Ecstasy aber schon. Ansonsten waren die üblichen Drogen im Umlauf.

War New Beat mehr als nur ein Musikstil?

Ja, ganz sicher. Die Leute hatten ihre eigenen Codes, ihre eigene Mode, ihren eigenen Tanzstil. New Beat war ein Lifestyle.

Was muss man sich denn unter der New-Beat-Mode vorstellen?

Es gab zwei Designer, die schwer angesagt waren, Bart Declercq und Idriz Jossa. Die brachten in Zusammenarbeit mit Antler-Subway eine New-Beat-Kollektion heraus. Die beiden verwendeten gerne Motive, die man auf den Gräbern belgischer Friedhöfe fand.

Wie lange waren in Belgien damals die Clubs geöffnet?

Am Anfang hatten die Clubs ganz normale Öffnungszeiten. Doch je populärer New Beat wurde, desto mehr Afterhour-Clubs kamen hinzu. In der Hochphase fing das Wochenende der Leute donnerstags an und endete schließlich irgendwann am Sonntagabend oder Montagmorgen. Wenn das La Rocca in Lier Feierabend hatte, zogen die Leute weiter in irgendeinen Afterhour-Laden und danach in noch einen, bis es schließlich im Boccaccio weiterging.

Wie wurde in belgischen Medien über New Beat berichtet?

Extrem negativ. Hinzu kam, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich weigerte, die Platten zu spielen. Damals ging es nur um Rockmusik. Elektronische Musik wurde schlicht ignoriert. So schlecht das einerseits war, so gut war es in anderer Hinsicht. Es gab der ganzen Sache etwas Revolutionäres, das schweißte die Szene zusammen. An eine Sache werde ich mich immer erinnern. Wir waren ja ein kleines Independent-Label, und so kümmerte ich mich um vieles selbst. Eines Tages fuhr ich zu Studio Brussel, um unsere Platten zu promoten. Wir hatten gerade vier Platten in den belgischen Top Ten. Der Redakteur riss mir die Platten, die ich dabei hatte, aus den Händen und warf sie in den Flur: „Hier siehst du, was wir mit dieser Art von Musik machen, das ist der letzte Müll. So etwas spielen wir nicht.“ Das Verrückte ist: 25 Jahre später stellte dieser Typ für Studio Brussel eine Best of New Beat-Compilation zusammen.

Also hat New Beat seinen Erfolg ausschließlich den Clubs und ihren DJs zu verdanken?

Fast ausschließlich. Es gab einen freien Radiosender in Antwerpen, der eine wöchentliche Sendung im Programm hatte. Liaisons Dangereuses hieß sie. Sven van Hees, der später als Technoproduzent erfolgreich sein sollte, war der Macher dieser Sendung. Er spielte immer die neuesten Platten. Der Sender war aber nur in der Gegend von Antwerpen zu empfangen. Obwohl ich nur fünfzig Kilometer entfernt wohnte, konnte ich diese Sendung nicht hören. Also fuhr ich am Donnerstagabend in Richtung Antwerpen, parkte mein Auto am Straßenrand und saß zwei Stunden lang in meinem Wagen, um diese Radiosendung zu hören. Ich wollte wissen, was es neues gab, machte mir Notizen. Neue Sachen konnte man nur bei Liaisons Dangereuses oder in den Clubs hören, doch dort musste man jedes Mal zum DJ gehen und ihn fragen. Übrigens waren Kassetten eine Haupteinnahmequelle der DJs. In den großen Clubs hatten sie zehn Tapedecks unter der DJ-Konsole. Mit denen nahmen sie ständig ihre Sets auf. Diese Kassetten verkauften sie für gutes Geld.

In welchen anderen Ländern wurde New Beat zu einem Thema?

So populär wie in Belgien war New Beat nirgendwo auch nur annähernd. Doch in Frankreich war New Beat recht bald ebenfalls sehr erfolgreich. Die erste Confetti’s-Single war dort ein großer Hit, das half. Außerdem war die Londoner Hip-Szene sehr schnell dabei. Dort griffen ein paar DJs wie Pete Tong, Dave Clarke, Nicky Holloway oder Paul Oakenfold New Beat auf. In den Staaten und in Deutschland passierte auch ein bisschen was. Damit sich ein Genre irgendwo durchsetzt, braucht es große Hits. Die gab es nur in Frankreich mit „Rock To The Beat“ von 101 und „The Sound Of C“ von den Confetti’s.

Wie viele Platten hat denn die 101-Coverversion von Reese & Santonios „Rock To The Beat“ verkauft?

Es müssen so um die 600.000 gewesen sein. Ursprünglich war das ja ein Track von Kevin Saunderson. Von „Rock To The Beat“ gab es eine ganze Reihe von Coverversionen. Irgendwann traf ich Kevin Saunderson in Südfrankreich. Er sagte mir: „Das meiste Geld machte ich mit deiner Version, die war auch die beste. Ich finde, dass sie sogar besser ist als meine eigene.“ Das war ein schönes Kompliment.

„New Beat mag kein Phänomen von Dauer gewesen sein, doch die Sache hatte einen nachhaltigen Effekt.“

Wie lange dauerte die New-Beat-Welle an?

Die Sache war die: Anfangs ist wahnsinnig viel gute Musik veröffentlicht worden. Die Produzenten, die anfangs dabei waren, verstanden etwas von dem, was sie taten. Doch dann wurde aus der Sache ein riesengroßer Hype. Jeder sprang auf den Zug auf. Zu Beginn bestellten die Plattenläden vielleicht fünf neue New-Beat-Platten pro Woche. Am Ende hatten sie es wöchentlich mit 100 Neuerscheinungen zu tun. Darunter war natürlich viel Schrott. Das war ermüdend. New Beat mag kein Phänomen von Dauer gewesen sein, nach zwei Jahren war es vorbei. Doch die Sache hatte dennoch einen nachhaltigen Effekt. Vor New Beat konnten die meisten Produzenten nicht von ihrer Musik leben. Als New Beat aufkam, konnten Produzenten erstmals in der Geschichte belgischer Clubmusik mit ihren Platten Geld verdienen. Das brachte sie in die Situation, dass sie in ihre Studios investieren konnten. Als New Beat vor die Hunde ging, verschwanden all jene von der Bildfläche, die der Hype nach oben gespült hatte. Die guten Produzenten aber blieben. Ab 1991 kamen dann die ganz großen internationalen Erfolge wie „Pump Up The Jam“ von Technotronic, 2 Unlimited oder T99.

Direkt nach New Beat begann ja der Aufstieg des belgischen Techno und von Labels wie R&S.

Ja, all diese Leute waren vorher bei New Beat dabei – Quadrophonia, T99, Frank de Wulf, ich selbst mit Praga Khan, Labels wie Music Man oder R&S. Wenn ich heute darauf zurückblicke, geht mir durch den Kopf, dass EDM aktuell in den USA ein Riesengeschäft ist. In der Zeit von New Beat haben belgische Independent-Labels wie mein eigenes die elektronische Szene aufgebaut. Darauf folgte Techno und wurde größer und größer. Nun, im Jahr 2014, blättere ich durch den Billboard und sehe mir all die Chartplatzierungen der EDM-Leute an und lese, dass dieses Geschäft inzwischen 15 Milliarden Dollar schwer ist. Und Produzenten aus Ländern wie Deutschland oder Belgien, die in früheren Jahren die Clubmusik-Szene aufgebaut haben, spielen praktisch keine Rolle mehr. In Frankreich oder den Niederlanden gab es vor 25 Jahren so gut wie nichts in dieser Hinsicht. Viele der heutigen Großverdiener kommen aber aus genau diesen Ländern.

Was machst du heute?

Im Jahr 2000 habe ich meine Firma Antler/Subway an Sony verkauft. Seitdem gehe ich durch die wohl kreativste Phase meines Lebens, arbeite an vielen Theaterprojekten, die mir die Möglichkeit geben, verschiedene Kunstformen wie Oper, Schauspiel und Ballett mit meiner Musik zu kombinieren. Heute bin ich 55 Jahre alt. Wenn ich andere Leute in meinem Alter treffe, stelle ich fest, dass viele von ihnen bei der Rockmusik ihrer Jugend geblieben sind. Die hören heute noch immer Led Zeppelin und nichts anderes. In diesen Momenten denke ich: Jungs, ihr habt Punk und New Wave verpasst, ihr wart bei Acid House, New Beat und Techno nicht dabei. Dann wird mir bewusst, wie dankbar ich sein kann.


Drei New-Beat-Klassiker:

Move Your Ass And Feel The BeatErotic DissidentsMove Your Ass And Feel The Beat (Subway, 1988)

Erotic Dissidents war eines der zahllosen Pseudonyme des belgischen Produzententrios Morton Sherman Bellucci, das aus der New-Wave-Band Poésie Noire hervorging. Jo Casters, Hermann Gillis und Robert Beelen gaben sich augenzwinkernd den Namen Morton Sherman Bellucci in Anlehnung an die britische Pophit-Fabrik Stock Aitken Waterman. Die Massenproduktion sollte auch bald ihr Metier werden, veröffentlichten sie doch in den Hochzeiten der New-Beat-Welle einhundert Maxis im Jahr. „Move Your Ass And Feel The Beat“ war einer ihrer ersten Erfolge. Ein stoischer Beat, ein Sample aus Yellos „Bostich“ und eine etwas lustvoll jauchzende Frauenstimme waren die Ingredienzien dieses veritablen Club-Bangers.

Amnesia - IbizaAmnesiaIbiza (Indisc, 1988)

Amnesia war das Projekt von Stephan Novak. Neben „The Sound Of C“ von den Confetti’s ist „Ibiza“ der größte New-Beat-Hit. Mit seinem martialisch marschierenden Beat, einer brutzelnden Sägezahn-Bassline und dieser kleinen, zackigen Step-Sequenzer-Melodie erinnerte „Ibiza“ in vielerlei Hinsicht an EBM, was nicht weiter überrascht, war Amnesia-Mitstreiter Michel Nachtergaele doch auch Teil der Band Signal Aout 42. Der vielleicht zeitloseste New-Beat-Klassiker, der sich auch auf unserer Heft-CD findet.

New Beats The HouseGrey HouseNew Beats The House (R&S, 1989)

Ausnahmen bestätigen die Regel. Eigentlich war New Beat eine rein belgische Angelegenheit und im Nachbarland Niederlande nicht sonderlich populär. Renaat Vandepapeliere von R&S bewies mit diesem Track einen guten Riecher. Eigentlich war „New Beats The House“ nur die B-Seite einer etwas ungelenken HipHouse-Maxi des niederländischen Produzenten Marcel Hol. Mit der Veröffentlichung auf R&S avancierte die Nummer, die mit Samples von Grace Jones, Art Of Noise und Kraftwerk („It’s More Fun to Compute“) aufwartete, zu einem der größten Hits eines New-Beat-Subgenres namens Hard Beat. Für die Scratches hatte Oliver Hol einen damals noch unbekannten DJ namens Speedy J ins Studio gebeten.

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