Text & Fotos: Martin Kirchner
Immer weiter schlängeln sich die schmalen Serpentinenstrassen vor einer monumentalen Gebirgskulisse zwischen Weinbergen und kleine Dörfchen den Hang hinauf. Mit jedem gefahrenen Kilometer geht es höher hinaus in eine beinahe menschenleere Naturidylle. Hier und da nutzen späte Winterurlauber die letzten skitauglichen Schneeflecken. Dann taucht plötzlich ein pinkfarbener Pfeil mit der Aufschrift Caprices Festival auf. Der erste Gedanke: Kein Ort könnte einem Festival, noch dazu einem für House und Techno, ferner liegen. Einige Höhenmeter weiter ist schließlich der Ort Crans-Montana erreicht. Außerhalb der Wintersportsaison leben dort knapp 2000 Einwohner. Hotels und Appartements reihen sich aneinander, wie viele Orte in der Region ist Crans-Montana gänzlich auf Wintersport und Tourismus ausgerichtet. Irgendwo aus der Ferne röhrt ein dumpfer Bass. Techniker, Promoter und Sicherheitsleute schwirren aufgeregt durch die abgesperrten Strassen. Festivalflaggen schmücken sämtliche Häuserfassaden, Spannung, aber auch eine ungewisse Vorfreude liegt in der Luft.
Erstmals etablierten die Veranstalter des Caprices Festivals in diesem Jahr ein „elektronisches Wochenende“, das von 11. bis 13 April zum Auftakt der insgesamt neuntägigen Veranstaltung Anhänger elektronischer Musik in den Süden der französischsprachigen Schweiz führen sollte. Alleine die äußeren Gegebenheiten des Festivals entzogen sich allerdings schon jeder Vorstellung, die man allgemein mit solchen Veranstaltungen assoziiert. Von Dosenbier getränkte Zeltplatzromantik? Fehlanzeige. Stattdessen bester Wein aus dem Glas und ausgesuchte lokale Köstlichkeiten zu Preisen jenseits aller verkraftbaren Gewohnheiten. Der Genuss stand an oberster Stelle. Menschen, die hektisch von einem Floor zum nächsten jagen sah man nicht, nicht zuletzt auch wegen der kurzen Wege zwischen den teilweise kostenlosen Bühnen und Clubs. So füllten sich in den frühen Abendstunden die Straßen mit Menschen, aus jeder Bar und jedem Restaurant tönte Musik, ob vom DJ oder der Brassband.
Doch die eigentliche Party stieg schon ab der Mittagszeit einige hundert Meter höher: Einen schwelgerischen Blick hinüber nach Frankreich und Italien erlaubte sich mancher, dann ließ Ricardo Villalobos den Bass überschwappen und die gesamte Feiermeute bebte. Der „Modernity“-Floor war täglich schon gegen 14 Uhr gut gefüllt und tatsächlich bot er die Möglichkeit, von der auf 2.200 Höhenmetern gelegenen Terrasse der Seilbahnstation „Violettes“ die schneebedeckten Bergspitzen der beiden Nachbarländer zu erahnen. Das war Feiern mit Urlaubsfaktor. In den abgetrennten VIP-Bereichen floss Champagner und die Snackbar bot Verköstigung auf Sterne-Niveau. Wohl gestylte junge Männer drängelten sich neben aufgebrezelten Frauen auf High Heels im sonnengewärmten Panoramazelt auf der Bergterrasse. Küsschen links, Küsschen rechts. Frankreich, Italien oder die südliche Schweiz, wo man auch herkam, hier oben schien man sich zu kennen, schien man unter sich sein zu wollen. Der Party-Stereotyp „Ibiza“ ließ sich bei solch vermeintlich glamourösem Eskapismus einfach nicht aus dem Kopf verdrängen.
Nach sieben Stunden Gipfel-Rave ging es gegen 19 Uhr mit der Seilbahn wieder talwärts, wo direkt im Anschluss die Hauptbühne „Le Moon“ im Ortszentrum von Crans-Montana ihre Pforten öffnete. Freitag- und Samstagnacht versammelten sich in dem halbmondförmigen Großraumzelt mit Jeff Mills, Richie Hawtin oder Carl Cox die großen Namen aus House und Techno. Neben ihnen erwies sich allerdings der Franzose Gesaffelstein mit seiner Liveshow am Samstagabend als heimlicher Höhepunkt für die etwa 5000 Besucher. Dessen strobolastige Powerperformance irgendwo zwischen Modeselektor und Justice (und natürlich im Anzug) riss selbst den letzten Besucher im VIP-Bereich mit beinahe brachialer Konsequenz aus dem von bunten Visuals getragenen Four-To-The-Floor-Stampfen heraus.
Unter organisatorisch-logistischen Aspekten muss den Veranstaltern mit Sicherheit ein Kompliment ausgestellt werden. Neben dem reibungslosen Shuttle-Verkehr zwischen den Festivalknotenpunkten stellten sich sowohl auf dem „Modernity“- und „Le Moon“-Floor auch die exzellent klingenden Soundsysteme als außergewöhnlich angenehm heraus. Andererseits: Für nicht sehr günstige 50 bis 70 Euro Eintritt pro Veranstaltung konnte man das mit Sicherheit auch erwarten.
Das Caprices Festival verwandelte in diesem Jahr erneut ein entschleunigtes Bergidyll in eine glitzernde Musikhochburg, wofür alleine das hochkarätige Line-Up sprach. Dass solch ein Festivalkonzept aufgrund seiner besonderen Rahmenbedingungen in anderen Dimensionen funktioniert, widerspricht mit Sicherheit dem traditionellen Festivalgedanken, passte allerdings bestens in ein Gesamtbild aus spätwinterlichem Après Ski mit gehörigem Luxusfaktor.