Text: Thilo Schneider, Foto: Francisca Leon
Erstmals erschienen in Groove 135 (März/April 2012)
Lucianos Wurzeln in der lateinamerikanischen Musik sind nicht zu überhören. Der in Chile aufgewachsene Produzent, DJ und Label-Betreiber stand gerade in den vergangenen Jahren für einen speziellen Sound, der Einflüsse aus afrikanischen Rhythmen, Percussions und spanischem Gesang zu einer Art gut gelauntem Fiesta-House verband. Die umfangreiche Plattensammlung in seinem Haus in Collonges-sous-Salève, einer kleinen französischen Gemeinde in der Nähe von Genf, hat er im Laufe der Zeit fast komplett digitalisiert. Neuzugänge auf Vinyl gibt es ausschließlich von älteren, nicht-elektronischen Flohmarktfunden. Im Januar 2012 ist seine Mix-CD Vagabundos erschienen, benannt nach seiner ibizenkischen Party-Reihe im Pacha.
Pink Floyd – Ummagumma (Harvest, 1969)
„Pink Floyd waren sehr wichtig für mich, bevor ich elektronische Musik entdeckt habe. Ich war sehr jung, spielte Gitarre und war natürlich auch von dem Musikgeschmack meiner Eltern beeinflusst. Das hier ist psychedelische Musik jenseits des üblichen Radioformats. Damals war das neue Musik, gespielt von totalen Freaks. Natürlich gab es andere Gruppen, die musikalisch noch viel weiter gingen, aber Pink Floyd war eine auf der ganzen Welt bekannte Major-Band, die vielen Menschen den Horizont erweitert hat. Meine Eltern haben sehr oft mit Freunden Musik in ihrem Gartenhäuschen gehört, und das war eine der Platten, die bei ihren kleinen Partys lief.“
Los Jaivas – Los Sueños De América (Alerce, 1974)
„Los Jaivas sind eine der wichtigsten Bands aus Chile. Während ihres politischen Exils haben sie in einem Schloss in Frankreich gelebt, um dort ihre experimentelle Musik einzuspielen. Sie haben in ewig langen Sessions versucht, traditionelle chilenische Musik auf ein anderes Level zu heben. Als der Drummer der Band gestorben ist, hat seine Tochter, die auf dem Schloss aufgewachsen ist, das Schlagzeug übernommen. Die Tochter ist wiederum mit einem sehr guten Freund von mir verheiratet. Sie ist ein ganz toller Mensch – und geht jetzt regelmäßig mit Los Jaivas auf Tour. Außer ihr sind das inzwischen natürlich alles alte Männer. Los Sueños De América ist vielleicht ihr wichtigstes Album.“
Hector Lavoe – De Ti Depende (Fania, 1976)
„Hector Lavoe war einer der größten Stars auf Fania. Man nannte ihn den Sänger der Sänger. Er hatte dieses spezielle Kleinjungen-Timbre in seiner Stimme, vielleicht mit Michael Jackson vergleichbar. Im Prinzip macht er traditionelle Salsa-Musik, lässt darüber aber noch ein ganzes Orchester spielen – und zwar auf atemberaubende Weise! Lavoe war zwar auch sehr populär bei der ganzen älteren Latin-Community, wenn man sich aber Dokumentationen anschaut, sieht man, welche Freaks das damals gewesen sind. Die haben ständig versucht, musikalische Grenzen zu verschieben. Für mich ist das eines der schönsten Alben aller Zeiten. Er war auch der Onkel von Little Louie Vega. Was erklärt, warum Masters At Work Zugriff auf den ganzen Fania-Katalog hatten.“
Yiorgos Mangas – New Urban Greek Folkmusic (Globestyle, 1987)
„Yiorgos Mangas ist ein Klarinettenspieler aus Griechenland. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber er entlockt diesem Instrument eine Klangfülle, die einzigartig ist. Man erkennt erst mal gar nicht, dass all diese Töne von einer Klarinette stammen sollen. Er ist wirklich ein Genie. Ich hatte auch das Glück, ihn zu treffen. Zwei Jahre habe ich versucht, ihn nach Ibiza zu buchen. Ich wollte mit ihm eine Jamsession im Pacha machen: Ich lege auf, er improvisiert auf seiner Klarinette. Vergangenes Jahr kam er dann mit seiner Familie. Er ist Mitte siebzig, spricht kein Englisch und tritt normalerweise nur im kleinen Kreis für befreundete Gypsies auf. Das Pacha war ein Kulturschock für ihn, er konnte nicht spielen. Dafür wird er auf meinem kommenden Album zu hören sein.“
Gescom – Key Nell (Skam, 1996)
„Diese Platte hat mir Ricardo (Villalobos, Anm. d. A.) gezeigt, als wir Ende der Neunziger gemeinsam in Chile waren. Sie hat meine Sichtweise auf Musik komplett verändert. Gescom beziehungsweise Autechre können mit ihren vertrackten Rhythmen ja ganz schön herausfordernd sein, aber die Art und Weise, wie sie hier mit Melodien umgehen, hat mir gezeigt, wie elektronische Musik klingen kann. Es ist immer noch Tanzmusik, spricht dabei aber ganz andere Regionen im Gehirn an. Ich verbinde ein ganz bestimmtes Erlebnis mit der Platte: Ich war im Auto mit Ricardo und ein paar Freunden auf dem Weg zu einer Party, bei der wir auflegen sollten. Wir hörten gerade das lange A-Seitenstück, als wir einen schweren Unfall hatten. Das Auto landete auf dem Dach und das Einzige, was noch lief, war die Musik. Zur Party sind wir dann zu Fuß gegangen.“
LB – Pop Artificielle (Form & Function, 1999)
„Meine Frau Francisca hat hierfür das Cover-Foto geschossen. Wir haben noch in Chile gelebt und waren überglücklich, als dieses Ufo namens Uwe Schmidt dort gelandet ist. Dieser Typ ist einfach nicht von dieser Welt! Seine musikalische Vision, seine umfassende Diskografie, die konzeptionelle Art, mit der er produziert: Er ist einfach eine unglaubliche Inspiration. Als Pop Artificielle herauskam, war ich wirklich wie weggeblasen. Es ist sehr schwer, Songs wie John Lennons „Jealous Guy“ oder Rolling Stones’ „Angie“ in eine elektronische Formsprache zu übersetzen. Er hat das auf fabelhafte Weise getan und mich gleichzeitig auf diesen ganzen Clicks & Cuts-Sound gebracht, der eine Zeit lang auch für meine eigenen Produktionen sehr wichtig war.“
Lucianos Mix-CD Vagabundos ist bei Cadenza erschienen. Die Saisoneröffnung seiner Partyreihe “Cadenza Vagabundos” wird am 27. Mai 2012 im Pacha auf Ibiza gefeiert.