Atom TM arbeitet in der Tradition der Avantgarden und nicht an der Erschließung neuer Märkte. Auch wenn sein Liedgut von 2007 am Anfang der großen Technoklassikwelle gestanden haben sollte, die die Musik zu Beginn ihrer ersten großangelegten Historisierungsphase weit über ihre Ursprünge zurückführen wollte und den Synthesizer mit dem Konzertflügel kurzschloss – seinen Veröffentlichungen haftete nie das Odium der kulturindustriellen Nobilitierung subkultureller Zusammenhänge durch Galerien- oder Klassikradiotauglichkeit an. Während andere nachweisen, dass man die Klänge Detroits auch auf der eigenen Pianoklaviatur nachspielen kann, um so in den massentauglichen Genuss der Wiedererkennung zu kommen, generiert Atom TM unter seinen zig Pseudonymen durch Verfremdung immer anders das Neue. Er wird also jetzt nicht die Winterreise nachspielen, einen romantischen Gassenhauer reanimieren, sondern deren Bestandteile zerlegen und selbst neu durchdenken, dann anders ein- und nie wieder zusammensetzen. Und der entscheidende Unterschied zu den Neo-Klassizisten und New-Romantics des Techno besteht dann darin, dass sich sowohl die zwischen gestern und heute liegende (musik-)geschichtliche Differenz artikuliert, als auch der in die Musik eingelassene ideologische Ballast verschwindet: keine ganz großen Gefühle, kein Blitz und kein Donner. Dafür Zartheit, Aufmerksamkeit für das Fragment, den Augenblick. Ein klarer Gang im Eis, ein neuer Tag im Leben. Egal ob in den bayerischen Alpen, im japanischen Schneeland Etchigo oder in Frankfurt am Main. Winterreise ist als Soundtrack zu Fotografien gedacht, die in Frankfurt und Tokyo ausgestellt wurden.
Während der Japanreise ist auch Grand Blue enstanden, in der Lobby des gleichnamigen Hotels auf der Basis einer spontanen Session an zwei Klavieren mit Freund tobias. Das Mikrofon geht an. Der Klavierdeckel wird aufgeklappt, die ersten Tasten angeschlagen. Gespräche wehen von der Rezeption herüber. Die Veröffentlichung hätte ein Witz sein können über das Techno-Bürgertum und seine Klavierstunden. Stattdessen entwickelt sich die Platte zur ortsspezifischen Intervention, die daran erinnert, dass Ambient von Ambitionslosigkeit kommt, nicht nur das ewige Mehr an Intensität endloser Afterhours zählt, sondern auch der Chill-Out und seine (un-)endlichen Unterhaltungen, die Erzählungen der Fertigkeit, die stille Feier des Kaputten und das übermüdete Glücksgefühl der (Aus-)Dauer.