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VISIONQUEST Die Jungsbande im Partykeller (Teil zwei)

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Text: Todd L. Burns, Fotos: Michael Mann
Erstmals erschienen in GROOVE 131 (Juli/August 2011)

Teil eins | Teil zwei | Teil drei

GESPICKT MIT KÖRPERGERÄUSCHEN

Unser Interview ist gespickt mit der Art von Körpergeräuschen, für die man sich in der Öffentlichkeit schämen würde. Als ich mein Aufnahmegerät einschalte, fragt Crosson mich, was für ein Modell ich benutze. Troxler furzt laut. Crosson redet weiter, als ob nichts passiert wäre. Reeves fragt: „Hast du das aufgenommen?“ Troxler hustet noch lauter. Dann sagt Curtiss: „Mic check, 1, 2, 3, 4. Visionquest noises. These are Visionquest noises.“ Nach der Visionquest-Dynamik befragt, sagt Reeves, dass der passendste Vergleich wohl die vier Freunde aus South Park wären. Nur enge Freunde haben dermaßen ineinander verwobene persönliche Hintergründe. Und nur enge Freunde wissen, warum es für Seth Haftbefehle in den USA gibt. Öffentlich will er dazu nichts sagen.

„In drei Staaten. Zwei. Nein … tatsächlich ist es jetzt nur einer.“
„Ich kann nicht nach Kanada“, sagt Curtiss.
„Willst du ihm davon erzählen?“, fordert ihn Troxler heraus.
„Ich war 22, ein Typ schrie meine Freundin an. Und dann tat er ihr weh. Tut mir leid, aber ich drehe durch, wenn so was passiert.“
„Nein, nein, erzähl’s wie eine lustige Geschichte!“, fordert Troxler.
„Was ist daran lustig? Ich wurde abgestochen!“
„Aber du hast den Kampf gewonnen!“
Curtiss fährt mit dem Finger die Narbe ab und sinniert: „Mein Anwalt sagte, zu meinem Unglück steht galantes Verhalten nicht mehr hoch im Kurs.”

Irgendwie kommt all das sehr charmant rüber. Ein großer Teil des Reizes von Visionquest liegt in der Kameradschaft der Macher untereinander, einer undefinierbaren, ansteckenden Qualität, die sie zu ihren Partys mitbringen und in ihre Musik stecken. Sie haben Persönlichkeit. Grob gesagt ist Troxler der Charmeur, Reeves der Ruhige, Crosson der (irgendwie) Ernste und Curtiss (links im Bild, d. Red.) derjenige, der scheinbar immer Ärger hat. Troxler lockt Reeves aus seinem Schneckenhaus, Curtiss bringt Crosson in Schwierigkeiten. Und so weiter und so fort. Sie sind das perfekte Gegengift für eine Szene, die sich nach der größtenteils gesichtslosen Herrschaft des Minimaltechnos Mitte des vergangenen Jahrzehnts nach Haltung und Leidenschaft sehnt. Auch wenn etwa Troy Pierce’ Tracks mal „Smack The Black Off Of Ya” nannte, konnte man doch selten Humor (oder Herzblut) in der Musik hören. Liest man Interviews mit egal welchem Visionquest-Mitglied, fällt dagegen am häufigsten das Wort „Seele“.

Curtiss fand diese Seele vor allem, als er Anfang 2000 nach Detroit zog. Er ist heute das einzige Visionquest-Mitglied, das immer noch dort lebt. Zwar ging er 2007 mit Crosson und Troxler nach Berlin zu Reeves, aber hielt es nicht lange dort aus. „Ich war zu der Zeit mit dieser Frau zusammen, die mir meine Seele gestohlen hat“, erklärt er auf die Frage nach seinem kurzen Aufenthalt in Berlin. „Also ging ich zurück in die USA und dort auf Tour. Das überzeugte mich davon, dort zu bleiben. In Deutschland war ich irgendwie deprimiert. Wir hatten keine Auftritte, weil unser Agent scheiße war. Ich war in diesem Zimmer. Alles, was ich hatte, war eine Matratze. Ich hatte kein Geld und nicht mal Internet.“

„Nach zwei Wochen hat er das Weite gesucht“, frotzelt Troxler.
„Zwei Wochen! Bei. Jedem. Interview. Wird’s. Weniger! Es war viel mehr als das!“
Und jetzt?
„Ist er verheiratet mit …“, beginnt Troxler.
„Shhhhbababdadop! Shemalalalalaltop! Heb’s dir für’s Buch auf, motherfucker!”

Auch wenn Curtiss nicht in Berlin lebt, hält ihn das Leben eines reisenden DJs doch in ständigem Kontakt zu seiner Crew. Die Wohnung der anderen ist Curtiss’ Zuhause, wenn er in Europa tourt. Und der gemeinsame Terminkalender wird immer voller, seit die vier beschlossen haben, ihr Label zu starten und zusammen unter dem Namen Visionquest auch zu touren. Davor hatte sich jeder von ihnen mit unterschiedlichem Erfolg als Solokünstler etabliert. Troxler ist eindeutig der größte Name des Quartetts, einer der wenigen House-DJs, die dieses Jahr beim Mannheimer Time Warp gebucht wurden, nachdem er für seine Resident-Sets im DC10 auf Ibiza im vergangenen Jahr mit Lob überschüttet worden war.

Diesen Sommer werden alle vier regulär bei der berühmten Montagsparty im DC10 spielen. Und Visionquest tun es Richie Hawtins Minus-label oder ihren Landsmännern von Wolf+Lamb gleich, indem sie den nächsten Level ansteuern und ihre gemeinsamen Dienste für ganze Abende in Clubs weltweit anbieten. Was das von Gig zu Gig bedeutet, darüber lässt sich nur spekulieren. „Es ist ein Konzept, das sich noch entwickelt“, sagt Reeves (im Bild rechts, d. Red.). „Im Moment spielen Lee und Ryan live, Seth und ich legen nur auf. Aber wir versuchen ebenfalls, das Liveding anzugehen. Wenn sich das entsprechend entwickelt, werden wir alle zusammen mit eigenem Material live auftreten.“

„GROSSARTIG“ FÄLLT IMMER WIEDER

Die vier Visionquest-Macher reden zudem aufgeregt über ihre Kollaborationspläne mit dem Künstler Blake Shaw. Seth bezeichnet dessen Arbeiten als „dreidimensionale interaktive Umgebungen“. Genaueres kann mir dazu aber niemand sagen. Nur das Wort „großartig“ fällt immer wieder. Das Ziel sei es letztlich, „einen Ort, an den du vielleicht jeden Freitagabend in deiner Heimatstadt gehst, zu einer völlig anderen Erfahrung als je zuvor zu machen“, so Curtiss. Was an das erinnert, was das New Yorker Duo Wolf+Lamb während des vergangenen Jahres in europäischen Clubs getan hat, als es die Atmosphäre seines berüchtigten Marcy Hotels dorthin übertrug. Aber das Visionquest-Quartett distanziert sich umgehend von den Aktivitäten seiner Freunde. Als ich die beiden Gruppen vergleiche, stimmt Reeves zu, hebt aber hervor, dass der eigene Stil „viel vielfältiger“ sei. „In der Schweiz haben wir letztens mit Ambient angefangen zu spielen, dann lief es eine Weile mit Pop weiter, und wir gingen mehr zu Dance über, bevor es dann technolastiger wurde“, erinnert sich Troxler. „Es ist nicht so, als würde man um vier Uhr morgens ‚I Will Survive‘ wie eine neue Platte spielen. Nicht mal, wenn es ein guter Klassiker ist. Es geht um Geschichte, das Wissen um die Geschichte der Dancemusic, wenn man versucht, sich Konzepte auszudenken.“ Und Reeves fügt hinzu: „Die Veranstaltungen sind ein großer Teil davon. In eine Stadt zu kommen und nicht notwendigerweise in einem oder für einen Club zu spielen, sondern tatsächlich etwas Eigenes zu kreieren und die Party und den Vibe. Das ist der nächste Level, darauf zielen wir ab.“

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