Text: Daniel Fersch, Foto: Will Bankhead
Erstmals erschienen in GROOVE 129 (März/April 2011)
Seit dem Produktionsstopp für die legendären Technics-Plattenspieler vor wenigen Monaten schien eines sicher: Die digitale Revolution am DJ-Pult hat gewonnen, das Vinylzeitalter gehört endgültig der Vergangenheit an. Doch ausgerechnet eine Generation junger DJs, die wie selbstverständlich mit der digitalen Vielfalt aufwuchs, ist gerade dabei, die schwarzen Scheiben für sich wiederzuentdecken. Mit Ramadanman, Joy Orbison und Floating Points gehören zu diesen neuen Vinyl-Junkies drei der innovativsten und einflussreichsten Newcomer der vergangenen zwei Jahre.
Es klang wie eine Kapitulation, als der japanische Elektronikkonzern Panasonic Ende Oktober 2010 das endgültige Aus für die Herstellung seiner Technics-Plattenspieler bestätigte. Die Mitteilung der Konzern-Manager bestand zum größten Teil aus trockenen Verweisen auf gesunkene Absatzzahlen und Probleme mit Zulieferern, doch sie enthielt auch einen entscheidenden Satz, der deutlich machte, dass die legendären wheels of steel nach Meinung von Panasonic schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß sind. „Wir sind davon überzeugt“, hieß es in der Stellungnahme, „dass unsere Produktpalette die sich beschleunigende Transformation des gesamten Audiomarkts von analog zu digital widerspiegeln muss.“ Wenn der Hersteller der Ikone unter den Plattenspielern, die für Generationen von DJs zum Standardinstrument wurde, öffentlich verkündet, dass sein Produkt überflüssig geworden ist, dann ist es durchaus gerechtfertigt, von einer Zeitenwende zu sprechen. 2010 könnte demnach als jenes Jahr in die Geschichtsschreibung der elektronischen Tanzmusik eingehen, in dem der Abschied von Plattenspieler und Schallplatte als DJ-Werkzeuge endgültig eingeläutet wurde.
Umso erstaunlicher ist es, dass gerade jetzt eine Reihe sehr junger DJs, Produzenten und Label-Macher in den Vordergrund drängt, die den analogen Tonträgern weiterhin treu bleibt. In einer Zeit, in der es schon aus praktischen Gründen naheliegender wäre, auf schwere Plattenkoffer zu verzichten und stattdessen mit einem Etui selbst gebrannter CDs oder einem Laptop voll mit Musikdateien sowie einem Controller von Club zu Club zu reisen, veranstalten sie Partys, bei denen nur Vinyl gespielt werden darf, gründen Labels, die keine digitalen Downloads oder CDs anbieten und begeistern sich für altmodische Mischpulte mit Drehknöpfen anstelle von linearen Fadern.
ÜBERSCHREITUNG DER DIGITALEN GRENZEN
Einer dieser jungen Vinylenthusiasten aus der Generation, die in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren geboren wurde und die wie selbstverständlich mit den Möglichkeiten der digitalen Technologie aufgewachsen ist, ist der 22-jährige Engländer David Kennedy. Besser bekannt ist Kennedy unter seinen Künstlernamen Ramadanman und Pearson Sound sowie als Gründer und Mitbetreiber des Labels Hessle Audio, das seit seiner Gründung 2007 zum Synonym für die Überschreitung der Grenzen zwischen Dubstep, House und Techno geworden ist. Kennedy lebt in Leeds, wo er Englisch und Französisch studiert hat und auch nach seinem Abschluss im Juni 2010 geblieben ist. In der nordenglischen Großstadt hat er vor wenigen Monaten eine Partyreihe mit dem Namen Acetate ins Leben gerufen. Das Konzept: Die gebuchten DJs dürfen spielen, was sie wollen – unter der Voraussetzung, dass sie ausschließlich Schallplatten verwenden.
„Die Idee für Acetate ist zum Teil dadurch entstanden, dass ich und meine Freunde das Gefühl hatten, in vielen Clubs – in England und auch anderswo – nicht mehr ohne Probleme mit Platten auflegen zu können“, erklärt Kennedy. „Oft sind die Plattenteller falsch eingestellt und schlecht isoliert oder die Nadeln sind mies. Clubs sind heute leider nicht mehr wirklich auf Vinyl-DJs ausgerichtet.“ Bei seiner eigenen Party wollte er diese Probleme aus dem Weg schaffen und eine stressfreie Umgebung garantieren, um mit befreundeten DJs bei idealen Bedingungen ohne Feedback oder andauernd springende Nadeln das zu tun, was ihnen am meisten Spaß mache: Schallplatten zu spielen. Vinyl, betont Kennedy, sei für ihn das ideale Audioformat. „Ich mag keine CDs“, sagt er, „zu Hause höre ich zwar Promos und unveröffentlichte Stücke auf meinem Computer an, am liebsten lege ich aber eine Schallplatte auf. Es macht mir einfach mehr Spaß und es klingt auch besser!“
Wenn Kennedy über die Vorzüge des Mediums Vinyl spricht, dann tut er das manchmal mit der Ernsthaftigkeit eines überzeugten Audiofanatikers, dem höchste Klangqualität über alles geht. Dennoch zeigt er keine Anzeichen von missionarischem Eifer. Mit der Digitalisierung geht er pragmatisch um. „Ich bin kein Purist“, sagt er, „ich möchte niemandem vorschreiben, wie er Musik hören sollte.“ Bei den meisten Gigs benutze er aus praktischen Gründen die DJ-Software Serato, immer jedoch in Verbindung mit Kontakt-Vinylplatten und qualitativ hochwertigen Musikdateien. „Ich finde digitales Auflegen mit Controllern oder Ableton ein wenig trocken und langweilig“, sagt er. „Alles klingt so perfekt synchronisiert und klinisch. Wenn du aber die DJ-Software mit dem Timecode-Vinyl ansteuerst, musst du immer noch arbeiten, und es ist nicht alles auf Knopfdruck erledigt.“