Byron The Aquarius (Sämtliche Fotos: Presse)
Wenn man mit Byron The Aquarius (Byron Blaylock) spricht, fällt vor allem ein Wort besonders häufig. Organic lautet das Mantra des US-amerikanischen Musikers, das er im Takt seiner Veröffentlichungen predigt. Als klassisch ausgebildeter Jazz-Pianist setzt er sich mit seinem warmen, organischen, teilweise rohen Sound für mehr Soul in der Tanzmusik ein und hat sich so in den letzten Jahren eine Nische im heutigen Deep House geschaffen. Seine Musik ist vielseitig, lebendig und immer der Musikalität verpflichtet; als Hörer*in weiß man nie genau, was man von den neuen Veröffentlichungen des 32-Jährigen zu erwarten hat.
Dabei ist Byron Blaylock eigentlich gar kein Wassermann, sondern ein Fisch als Sternzeichen. Ein Fisch allerdings, der es in den letzten Jahren in die weiten Fahrwasser von House-Legenden geschafft hat und selbst auf dem besten Weg ist, ein großer Name zu werden. Mit Veröffentlichungen auf Theo Parrishs Label Sound Signature oder Kyle Halls Wild Oats hat sich Byron The Aquarius in den letzten Jahren etabliert. Nun hat der aufstrebende Künstler ein Album für Jeff Mills’ Axis Records produziert. GROOVE-Autor Johann Florin sprach mit Byron Blaylock über seine Jazz- und Hip-Hop-Vergangenheit, die Zusammenarbeit mit Mills und warum Blaylock in Corona auch eine Chance für die Tanzmusik sieht.
An einem Donnerstagnachmittag sitzt Blaylock im Keller des Hauses seiner Eltern in Birmingham, Alabama. Wegen des Virus musste er aus Atlanta wieder in seine Heimatstadt ziehen. Doch auch zuvor war Blaylock oft zwischen beiden Städten gependelt. Dort bleibt er der Familie wegen, nach Atlanta fährt er für die Musik. So sei es auch schon damals gewesen, erzählt Blaylock via Skype. Die Autofahrt nach Atlanta ist mit etwas über zweieinhalb Stunden kurz für US-amerikanische Verhältnisse. Deshalb ist Blaylock früher oft mit Freunden zum Feiern hin gefahren. „Atlanta hat eben im Gegensatz zu Birmingham eine Musikszene“, sagt Blaylock und lacht. Dort habe er auch die ersten Begegnungen mit House-Musik gemacht.
„Damals hat Kai Alcé in Atlanta regelmäßig Partys geschmissen”, erzählt er. „Und Leute wie Theo Parrish oder Omar-S eingeladen. Ich bin mit meinen Freunden oft hingefahren. In der Zeit habe ich noch Hip-Hop produziert, mochte aber damals schon, wie House-Musik es schafft, Menschen mit den verschiedensten Hintergründen zusammenzubringen, um gemeinsam Spaß zu haben.”
Auf einer dieser Partys lernte er Alcé kennen. Die beiden verstanden sich sofort. Kurze Zeit später trafen sie sich im Studio, und Alcé führte ihn in Detroits House- und Techno-Musik ein. Dabei habe er sich vor allem in Deep-House und die „Mischung aus warmen, organischen und maschinellen, harten Sounds” verliebt, verrät Blaylock. Nach der Einführung fingen sie an, gemeinsam Musik zu machen. Alcé setzte sich an die Drums und Blaylock spielte dazu die Keys. Mit der Zeit sei es für ihn ganz natürlich gewesen, House zu produzieren, erklärt Blaylock. Als Hip-Hop-Produzent und Jazz-Pianist hatte er das Rüstzeug: „House war dann super easy.”
Blaylock hat schon früh angefangen, Musik zu machen. 2007, als er 19 Jahre alt war, erschien sein erstes Album in Kollaboration mit dem französischen Hip-Hop-Produzenten Onra. Auf The Big Payback sei er heute besonders stolz, erzählt Byron gedankenverloren. Damals hat er sein musikalisches Schaffen noch dem Hip-Hop gewidmet. Eben erst als er Alcé kennenlernte, wandte er sich der Tanzmusik zu.
”Als ich ein Teenager war, gab es in Birmingham eine Gruppe von Musikern, die bei Sun Ra gelernt hatten und kostenlose Musikstunden anboten. Meine Freunde und ich gingen damals regelmäßig hin und bekamen umsonst Unterricht. Dort haben sie uns beigebracht, verschiedene Instrumente zu spielen, und vor allem, uns auf Musik einzulassen und die Klänge zu erforschen.”
Byron The Aquarius
„House, Techno, Hip-Hop, Jazz und Blues, alle diese Genres sind durch die afroamerikanische Geschichte verbunden”, betont Blaylock. Sie bauten quasi aufeinander auf. Sich da von einem zum anderen Genre zu bewegen, wäre ihm irgendwie natürlich und leicht vorgekommen, auch wenn das bei House-Producern heute eher ungewöhnlich ist. Diese Sichtweise vermittelt Blaylock auch in einem seiner technoideren Tracks. „Techno Is Black (Respeck)” zollt den US-amerikanischen Städten, in denen Techno geboren wurde, Tribut. „Detroit, ATL [für Atlanta, d.Red.], Chicago”, lautet die Catchphrase des Titels, die immer wieder mit dem Mantra „Techno is black” auf den Punkt gebracht wird.
Auch wenn Birmingham, im Gegensatz zu Detroit oder Chicago, nicht gerade als Nabel der elektronischen Musik gilt – laut Blaylock ist die Musikszene in Alabama praktisch nicht vorhanden – hat der Staat im Süden der USA eine reiche musikgeschichtliche Vergangenheit vorzuweisen. Gerade afro-amerikanische Musikstile wie Gospel, Blues und Jazz wurden in Alabama von heimischen Größen wie Nat „King” Cole, Sun Ra oder W.C. Hardy entscheidend geprägt und entwickelt. Im Schatten dieser legendären Künstler*innen hat Blaylock zur Musik gefunden.
Als Kind wurde er unter die finanziellen Fittiche seiner Großeltern genommen und fing, auf das Wirken seines Großvaters hin, schon im Alter von fünf Jahren an, Klavier zu spielen. „Mein Opa war in der Armee und notorischer Plattensammler – vor allem Jazz. Deshalb war ich schon immer viel von Musik umgeben.” Am Klavier lernte er zuerst klassische Werke kennen, später ging er über zu Jazz, Funk und Soul. Nach der Schule studierte er Jazz und Komposition an der Alabama State University und daraufhin Jazz Studies und Klassische Musik. Auf seinem Weg zum Musiker sei aber besonders seine Jugendzeit prägend gewesen, verrät Blaylock.
„Als ich ein Teenager war, gab es in Birmingham eine Gruppe von Musikern, die vor Ewigkeiten bei Sun Ra gelernt hatten und kostenlose Musikstunden anboten. Meine Freunde und ich gingen damals regelmäßig hin und bekamen umsonst Unterricht. Dort haben sie uns beigebracht, verschiedene Instrumente zu spielen, und vor allem, uns auf Musik einzulassen, Klänge zu erforschen und frei mit ihnen zu experimentieren.”
Diesen freien Zugang zur Musik hört man heute stark in Blaylocks Veröffentlichungen. Immer versuche er, sich unbeschwert von stilistischen Zwängen dem musikalischen Prozess zu nähern, um dadurch Neues zu kreieren. Das will er so auch kommunizieren. Er hat sich nämlich nicht weniger vorgenommen, als ein Pionier zu sein. „Ich will ein Vorbild für junge aufstrebende Produzent*innen sein, das ihnen vermittelt, dass es egal ist, was der Mainstream macht, solange sie ihre Visionen verfolgen”, erklärt er. Auch bei den Titeln seiner Veröffentlichungen ist der Einfluss der Jazz-Avantgarde nachzuspüren. Astral Traveling heißt etwa sein 2019 erschienenes Album – in Anlehnung an Pharoah Sanders’ legendären Free-Jazz-Klassiker.
„Ich war schon immer ein eher introvertierter Typ, der es mag, Zeit für sich zu haben. Für mich war das ein bisschen wie in Dragon Ball Z. Ich hab mich einfach in meine Trainings-Baracke zurückgezogen und trainiert.“
Byron The Aquarius
Privat hört Blaylock neben Hip-Hop, Jazz und Krautrock vor allem älteren House und Techno. Gerade der Detroiter Sound hat es ihm angetan. Als Pioniere der elektronischen Tanzmusik im Schatten der Stahl- und Betonruinen den Klang ihrer einsamen Impressionen einfingen, in dieser Zeit sei der Bezug zwischen Erlebtem und Musik noch greifbar gewesen.
Heute, findet Blaylock, sei die elektronische Musik nicht mehr so musikalisch. Für Blaylock fehlt es der House-Musik heute an Live-Frequenzen, an Ungenauigkeiten. Deshalb, überlegt er, falle seine Musik vielleicht auch auf so fruchtbaren Boden. „Die Leute wollen wieder organische Musik hören” – und gerade dort berühre er sie.
Abgeflacht durch Mainstream und finanzielle Anreize habe sich die Musik in weiten Teilen des Pioniergeists entledigt und einem pragmatischeren Produzieren Platz gemacht. Doch gerade jetzt, da die Corona-Krise bestehende, zuvor unverrückbare Sicherheiten aufgelöst und in den USA eine fühlbare Destabilisierung der Gesellschaft eingesetzt hat, erkennt Blaylock, zumindest für die elektronische Musik, einen Funken Licht in der Zeitenwende.
„Ich denke, Erfahrungen und die daraus entstehenden Emotionen formen die Musik der Künstler*innen. Heute, mit Corona und den vielen anderen schockierenden Ereignissen, leben wir – so erschreckend die Dinge auch sein mögen – in sehr inspirierenden Zeiten für Musik- und Kunstschaffende. Nach allem, was ich im Internet in den letzten Monaten gesehen habe, bin ich ziemlich optimistisch, dass die Leute mit guter neuer Musik aus der Krise kommen.”
Er zumindest hat die Zeit genutzt. „Normalerweise wäre ich das ganze Jahr wie verrückt herumgetourt. Da das mit Corona aber nicht möglich war, konnte ich glücklicherweise so viel Zeit wie lange nicht mehr auf das Produzieren verwenden.” Dabei sei für ihn die Situation sowieso nicht so schlimm gewesen. „Ich war schon immer ein eher introvertierter Typ, der es mag, Zeit für sich zu haben. Für mich war das ein bisschen wie in Dragon Ball Z. Ich hab mich einfach in meine Trainings-Baracke zurückgezogen und trainiert.“ Blaylock ist übrigens ein großer Anime-Fan. Den Hang zur japanischen Zeichentrickfilm-Kunst kann man auch auf seiner EP What Up Doe? bewundern; auf dem Artwork ist Blaylock im Anime-Stil abgebildet. „Eines meiner Lieblings-Cover”, nennt er es.
„Ambrosia” heißt das neue Album in Anlehnung an die altgriechische Speise, die den Göttern des Olymps vorbehalten war. Das Rezept für Ambrosia meint Blaylock in einer Mischung aus Soulful-House, Jazz und Blues entdeckt zu haben. Ob es ihn allerdings, wie im Falle der griechischen Mythologie, unsterblich macht, bleibt fürs Erste noch offen.
Einen ähnlichen Gedanken hatte auch Jeff Mills, als er im Frühling dieses Jahres ankündigte, sein Label Axis Records in Zukunft für Genres wie Jazz, Klassische Musik und Filmmusik zu öffnen. Im Zuge dessen habe er Byron The Aquarius entdeckt, erklärt Mills in einem angehängten Statement zu Blaylocks Album. Er wolle mit seinem Label auch gealterte Tanzmusik-Liebhaber*innen bedienen, die vielleicht nicht mehr tanzen gehen, die Musik allerdings immer noch gerne hören. Dafür habe er nach Künstler*innen gesucht, die Jazz-Komponenten in ihre Musik einfließen lassen, und sei auf Byron The Aquarius gestoßen. Nach einer zweijährigen, stillen Observation seiner Veröffentlichungen habe er letztes Jahr entschieden, dass Byron der perfekte Kandidat sei, den Auftakt des neuen Kurses mit Axis Records zu produzieren.
Für Byron ist damit eines seiner großen Ziele verwirklicht worden, verrät er: „Um ehrlich zu sein, war es einer meiner Wünsche, mich einmal mit Jeff zu treffen. Wie gesagt, bin ich ein großer Fan älterer House- und Techno-Produktionen, deshalb wollte ich schon immer mal eine der Legenden kennenlernen. Dass Jeff dann auf mich via Facebook zugekommen ist, war crazy.”
Nachdem er in seinem Heimstudio die Ideen entwickelt hatte und das Skelett des neuen Albums stand, habe er sich Anfang des Jahres mit Mills und einigen anderen Instrumentalmusiker*innen in Atlanta getroffen. In Outkasts legendärem Patchwerk Studio wurde dann gemeinsam das Album ausgearbeitet. Vor allem die Arbeit mit den anderen Musiker*innen habe ihm sehr gefallen. „Jeder hat seine eigenen Erfahrungen mitgebracht, und daraus haben wir dann kollektiv etwas entstehen lassen. Das bekommt einfach einen ganz anderen Flavour, wenn man gemeinsam an etwas arbeitet”, findet Blaylock. In diesem Fall sogar einen Göttlichen.
Ambrosia heißt das neue Album in Anlehnung an die altgriechische Speise, das den Göttern des Olymps vorbehalten war. Das Rezept für Ambrosia meint Blaylock in einer Mischung aus Soulful-House, Jazz und Blues entdeckt zu haben. Ob es ihn allerdings, wie im Falle der griechischen Mythologie, unsterblich macht, bleibt fürs Erste noch offen.
Den Daoismus hat Byron Blaylock ein Freund nähergebracht. Im Zentrum dieser chinesischen Philosophie steht das Tao, das ständig im Begriff ist, sich und die Welt zu ändern, ohne selbst tätig zu werden.
„Wundervoll, aber auch herausfordernd”, sei die Arbeit mit Mills gewesen, sagt Blaylock, fügt dann jedoch schnell noch hinzu: „Wenn ich herausfordernd sage, meine ich das aber im guten Sinne.” Trotzdem muss sich Blaylock nun erstmal von dem ereignisreichen Jahr erholen. Ein Album hat er produziert und drei EPs auf Apron, Shall Not Fade und Second Hand Records veröffentlicht. Sich da mal wieder eine Zeit lang zurückzulehnen, erscheint verdient.
Seine produktionsfreie Zeit nutzt er, um in der Natur wandern zu gehen, am Klavier zu üben, oder sich YouTube-Videos über neues Equipment anzuschauen. „Ich glaube, es ist einfach sehr wichtig, von Zeit zu Zeit mal eine Pause von der Musik zu nehmen, um sich inspirieren zu lassen und sich vielleicht auch als Musiker neu erfinden zu können.” Darin sei er sowieso Spezialist, meint Blaylock, und muss ein bisschen lachen. „Ich habe schon oft versucht, mich neu zu erfinden. Jetzt, im Lockdown, dachte ich mir, dass es mal wieder an der Zeit wäre.” Passend dazu hat er kürzlich zu einer Philosophie gefunden.
Den Daoismus hat ihm ein Freund nähergebracht. Im Zentrum dieser chinesischen Philosophie steht das Tao, das ständig im Begriff ist, sich und die Welt zu ändern, ohne selbst tätig zu werden. So steht im Mittelpunkt des Daoismus paradoxerweise, als unveränderliche Konstante, die stetige Veränderung der Dinge. Für Blaylock ein schöner Weg, in der turbulenten, ungewissen Stimmung der letzten Monate Halt zu suchen – und letztlich Trost im Umbruch zu finden.