Illustration: Super Quiet. Mehr Rückblicke findet ihr hier.

Ist Blockchain die Rettung der Musikindustrie? Oder liegt das Potenzial der Technologie, auf der Kryptowährungen wie Bitcoin aufbauen, eher darin, die alte Musikindustrie überflüssig zu machen? Ein Gespräch mit dem Musiker Mat Dryhurst.

2017 stieg das öffentliche Interesse an etwas, das vorher eher ein Nerd-Ding war: Blockchain. Vor allem Bitcoin, eine digitale Währung, die seit 2009 existiert, zog Aufmerksamkeit auf sich, weil ihr Wert im Lauf des Jahres von 1000 auf 9000 Dollar stieg. Seitdem wird das Potenzial von Kryptowährungen ausgelotet – nicht nur in der Finanzwelt. In Musikindustriekreisen bekommen Bitcoin und Co. den Schein der möglichen Rettung vor Geld- und Machtverlust. Mat Dryhurst konzentriert sich als Musikproduzent, unter anderem zusammen mit Holly Herndon, und als Künstler auf das Zusammenspiel von Tech, Kunst und Gesellschaft und berät unter anderem die kooperativ organisierte Streaming-Plattform Resonate, die auf Blockchain-Technologie aufbaut.

 


 

Das eigentlich Interessante an Kryptowährungen wie Bitcoin ist das Prinzip dahinter: die Blockchain-Technologie. Wie funktioniert sie?
Blockchain ist buchhalterisch gesprochen wie ein Hauptbuch, auf das alle Zugriff haben. In manchen Fällen ist es auf verschiedene Orte verteilt, existiert mithilfe von Knotenpunkten also dezentralisiert. Interaktionen, im Fall von Kryptowährung Transaktionen, sind in dieser Blockchain eingeschrieben und können rückwirkend nicht verändert werden, wenn das nicht den Informationen der Mehrzahl der Versionen des Hauptbuches entspricht. Das kann ein kraftvolles Werkzeug sein, weil es grenzenlose Koordinierung ermöglicht, die im Vergleich zu zentralisierten Systemen geschützter vor Eingriffen von außen ist. Im Fall einer Bank als Gegenbeispiel muss man nur
dieses eine Ziel angreifen, um an das ganze Geld und alle Informationen zu kommen. Der finanzielle Rahmen ist aber nur ein Beispiel für den Einsatz von Blockchains. Es gibt viele verschiedene: die Bitcoin-Blockchain, Ethereum-Blockchain oder auch private. Alle haben unterschiedliche Potenziale und Probleme.

Welches Potenzial hat Blockchain noch?
Eigentlich brauchen wir keine neuen Bezahlmöglichkeiten. PayPal oder Banküberweisungen funktionieren gut. Für mich ist Blockchain viel eher ein mächtiges Verfahren zur Koordinierung, das uns ermöglicht, Ideologie in ein Netzwerk einzuspeisen. Und die Frage ist: Was für eine Ideologie wollen wir verbreiten? Blockchain gibt uns mehr Werkzeuge, künstlerische und geschäftliche Praxen auszubilden. Es geht dabei auch um neue Wege, sich mit Menschen auszutauschen.

Wie könnte die Blockchain-Technologie die Elektronikmusikszene beeinflussen?
Ein Beispiel: Im Moment gibt es in der DJ-Szene Leute ganz oben, die eine Menge Geld damit verdienen, die Musik anderer Leute zu spielen. Diese ProduzentInnen weiter unten in der Nahrungskette haben davon immer weniger. Das Geld fließt nach oben, nicht nach unten – so funktioniert die Musikindustrie seit Jahren. Jetzt haben wir diese neue Koordinierungsmöglichkeit mit Blockchain. Wie wäre es also, wenn wir ein System hätten, in dem dieser DJ eine Show spielt, 100.000 Euro verdient und ein gewisser Prozentsatz, den er oder sie festlegt, wird nach der Show an diejenigen verteilt, deren Musik in dem Set benutzt wurde. Es könnte außerdem ein politisches Statement sein, einen DJ zu sehen, der dieses System unterstützt. Ich würde in dem Fall sogar hoffen, dass DJs mehr Geld verdienen, weil dann alle mehr bekämen!

Blockchain könnte in diesem Fall helfen, dass KünstlerInnen mehr Kontrolle darüber haben, was mit ihrer Musik passiert. Das trifft einen Kritikpunkt an Spotify, YouTube & Co. Diese Plattformen haben zusammen mit großen Labels ein hohes Maß an Kontrolle, nicht die Gestaltenden.
Spotify, YouTube, Google, Facebook und so weiter strahlten am Anfang einen vielversprechenden Glanz des Neuen aus. Heute sind sie die Supermächte. Ich für meinen Teil finde es nicht gut, dass sie so viel Macht in einer Kultur haben, an der mir so viel liegt. Die Lage von Musik und Handel könnte kaum schlechter sein, folglich gibt es wenig zu verlieren. Wenn ich also davon spreche, im Musikbereich mit Blockchain-Technologie zu experimentieren, meine ich nicht, dass man alle Sicherheiten, vor allem in finanzieller Sicht, aufgeben soll. Es könnte ja auch sein, dass die wichtigsten Blockchain-Anwendungen in Bereichen entstehen werden, die nichts mit Handel zu tun haben. Für mich stehen meist kulturelle Aspekte von Entwicklungen im Zentrum. Ich frage mich, ob es dabei am Ende nur darum geht, wie wir verkaufen, was wir tun oder ob wir wirklich glauben, dass wir alternative Ordnungen aufbauen und dabei eine utopische Idee von der Gesellschaft haben.

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