Amon Tobin ist ein König: Er herrscht über ein Reich, das sich vom Süden, wo mächtige subsonische Bassmonster die Erde beben lassen und deren kleinstes Grollen uns Bewohner von Mittelerde bereits angstvoll-wohlig schaudern lässt, bis in den hohen Norden erstreckt, wo Elfen schon seit Äonen in filigranen Kristalltürmen ihre klandestinen Lieder singen. Dabei regnet es im ganzen Land fortwährend silbrig glänzende Chrom-Vanadium-Partikel, die mit leisem Flirren zu Boden schweben und sich dort augenblicklich in zahllose biomechanische Kreaturen verwandeln, wovon manche summend, andere knacksend, wiederum andere raschelnd in alle Richtungen stoben. In der Mitte thront Tobin in einem Palast aus sich fortwährend neu organisierenden Steinstrukturen und schlägt Trommeln aus extraterrestrischen Werkstoffen, die einen Schalldruck entwickeln, der ganze Heerscharen augenblicklich pulverisieren kann.
Und wie im Märchen enthält auch die Geschichte von ISAM, dem neuen Album von Tobin, ein Fünkchen Wahrheit, denn tatsächlich entstammen die hierauf versammelten Klangobjekte allesamt der uns bekannten Welt: In aufwändiger Resynthese hat er nämlich die Klangspektren alltäglicher Gegenstände wie knarrender Stühle, aneinander geschlagener Glühbirnen oder gezupfter Metallfedern in spielbare Instrumente verwandelt – wohlgemerkt: nicht gesamplet, sondern deren spezifische Obertonspektren im Rechner analysiert und dann mit dem Continuum Fingerboard der Firma Haken (für Laien: eine Art druckempfindliche Gummitastatur) eingespielt. Das macht man nicht an einem Nachmittag, folglich hat sich die Arbeit, unterbrochen von einer Auftragskomposition zur Theaterperformance „Vollmond“ von Pina Bausch, über drei Jahre hingezogen.
Im Ergebnis ist ISAM die schließende Klammer des bisherigen Schaffens des Neununddreißigjährigen: Waren seine Frühwerke Bricolage (1997) und Supermodified (2000) vornehmlich der Suche nach den kleinsten musikalischen Fragmenten in bestehenden Aufnahmen und deren Umstrukturierung gewidmet, ging Tobin mit seinem letzten Album Foley Room (2007) dazu über, Feldaufnahmen als Klangquellen zu nutzen. Nun atomisiert er diese im letzten Schritt wieder in ihre Frequenzbereiche und spielt dabei seine ganze Erfahrung als Sound-Designer (unter anderem für das Spiel Splinter Cell 3 von 2005) aus: Wuchtiger und präziser lässt sich Audiomaterial mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten nicht produzieren. Das vielleicht Erstaunlichste an ISAM ist aber, dass die zwölf versammelten Stücke trotz ihres sensationellen Klangs nicht wie eine Werkschau perfekten Sound-Designs wirken, sondern tatsächlich den einen oder anderen Ohrwurm bereithalten, den man auch dann noch summt, wenn das fünfzig Minuten lange Epos schon lange verklungen ist.