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Electronica

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Gruppenimprovisation ist in der elektronischen Musik etwas Besonderes. Ihre Kraft bezieht sie aus der ästhetischen Erfahrung einer Kommunikation ohne Konsens, einem Miteinander, in dem jeder Akteur unabhängig bleibt. Die Gefahr die der notwendigen Schnelligkeit solch spontaner Interaktion innewohnt, ist der Rückgriff auf gelernte Muster, die einfach nur abgerufen werden – ein Problem, von dem sich auch die gefeierten Aufgang nicht ganz frei machen konnten. Ein Ausweg ist die Verlangsamung: Konzentration, Ruhe und gegenseitiges Zuhören wie es das japanische Quartett <b>Minamo</b> auf <i>Durée</i> (12k/A-Musik) praktiziert. Behutsam gesetzte einzelne Akkorde von Piano oder Akustikgitarre schweben über einer warmen Orgellinie. Ein kleines Kammerorchester, halb elektronisch und zutiefst harmonisch. Einzig die landestypische Vorliebe Minamos für Feedback im Tinnitus-Frequenzspektrum mischt den perfekten Wohlklang gelegentlich etwas auf, ohne jedoch den zutiefst friedvollen Gesamteindruck des Albums zu zerstören. In einem elektronisch flirrenden Universum bewegen sich die live improvisierten <i>Space Elements Vol. II</i> (Staubgold/Indigo) von <b>Rafael Toral</b>. Ein irritierend fremde Klangwelt, aber doch melodisch ausgeglichen und warm.<br/><br/>

Deutlich kratzbürstiger sind <b>Denseland</b> auf ihrem Debüt <i>Chunk</i> (Mosz/Groove Attack) unterwegs. Das Projekt der Postrock- und Freejazz-Veteranen Davpop Moss, Hanno Leichtmann und Hannes Strobl bewegt sich auf dem Pfad des größten Wpoperstands. Eine zersplitterte Präsenz raschelnder Kleinteiligkeit, versiffte Stimmsamples und elektronische Abfallgeräusche vermischen sich zu einem leisen digitalen Knusperfunk, der sich jeder Abfahrt verweigert und genau darin Intensität findet. Ähnlich verfrickelt, aber mit vorwiegend akustischen Werkzeugen und einem Leim aus nervöser Anspannung, bastelt sich das Deutsch-Schweizer Quartett <b>Ember</b> auf <i>Aurona Arona</i> (Ahornfelder/A-Musik) einen Papierzerknüller-Freejazz feinsten Korns. Vorsicht: Diese unscheinbaren Klänge haben scharfe Kanten.<br/><br/>

Ist Improvisation Komposition in Echtzeit, von der Paarung Aktion und Reaktion belebt, so entwickelt die klassische Musikproduktion mit Papier und Bleistift am Klavier ihre Wirkung aus der langfristigen Beschäftigung mit der Musik, dem kontinuierlichen Ent- und Verwerfen von Einzelaspekten im Verhältnis zum musikalischen Ganzen, zur Form. Einer solchen hörbaren Vertiefung durch Anstrengung hat sich <b>Kazumasa Hashimoto</b> auf seinem sechsten Album <i>Strangeness</i> (Noble/A-Musik) unterzogen. Das titlestück ist eine klare Abkehr von der skizzenhaften Sampleästhetik seiner früheren Alben: eine zwanzigminütige Pianosonate mit milde modernistischen Anklängen, umrahmt von melancholischem J-Pop, wie er von Hashimoto bekannt sein könnte. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Zukunft der elektronischen Musik aus der Vergangenheit in Form einer klassischen Musikerausbildung am Klavier erwachsen kann.<br/><br/>

<b>Laura Gibson & Ethan Rose</b> arbeiten auf ähnlich vertiefende Weise am amerikanischen Singer-Songwriter-Folk. Ihre <i>Brpopge Carols</i> (Baskaru/Drone) verformen und verschieben diese Tradition in eine neogotisch-digitale Geistermusik, ohne jedoch ihren bodenständigen Kern, ihre humanistische Wärme preiszugeben. <i>The Fabric</i> (Mü-nest/A-Musik), das Debüt des kalifornischen Jungspunds Will Wiesenfeld alias <b>[Post-Foetus]</b>, kommt da erst mal konventioneller, aber nicht weniger schön daher: satte Indietronics zwischen Electropop und Easylistening. In den besten Momenten erinnert das an Jörg Follerts erstes großartiges Album <i>Wunder</i>. Ein weiteres Wunder, diesmal eins der Technik, ist <b>Tomas Dvorak</b>s <i>Machinarium</i> (Minority/A-Musik). Als Soundtrack des gleichnamigen Computerspiels ist dieses liebevoll gestaltete Vinylalbum viel mehr als ein Beiprodukt. Die kurzen Klangstudien zwischen Filmscore, ruhiger Elektroakustik und Neoklassik entwickeln, wie die niedlichen Roboter des Spiels, ein wundersames Eigenleben.

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