Eine Art Dialogplatte ist diese zweite Kollaboration zwischen Ryuichi Sakamoto und Carsten Nicolai, ein Tagebuch, wie sie es selbst beschreiben. Sakamoto liefert die akustischen Pianoparts, Trauben von Tönen, die frei in der Luft zu schweben scheinen. Nicolai füllt die Lücken mit sanften digitalen Interferenzen, schwingenden Sinustönen und rhythmischen Störtönen, wie der sanfte Hauch eines Morgenwinds, der durchs wiegende Gras streicht. Ohnehin eine Morgenplatte, meditativ, ohne esoterisch zu sein, beruhigend wie ein Sonnenaufgang.
Dabei arbeitet Nicolai – im Gegensatz zum Vorgängeralbum „Vrioon“ – diesmal direkt mit Sakamotos Pianosamples, taucht bis ins Quantenspektrum tief in die Töne ein, lässt sie fließend nachklingen, zum kaum merkbaren Rhythmus sich aufbauen und anschwellen, bevor neue perlende Klänge aus Sakamotos Flügel darüber wehen. Leicht, kaum fassbar scheint diese Musik, und dennoch hinterlässt sie einen tiefen Eindruck beim Hörer. Organisch entsteht so ein unfassbar schönes Flechtwerk aus Aktion und Reaktion, Ton und Resonanz, dass man die kaum wahrnehmbaren Nanostrukturen erst beim mehrmaligen, tieferen Hören wahrzunehmen vermag.
Ähnlich wie bei Nicolais Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst, die ja gerade mit zwei Ausstellungen in der Frankfurter Schirn Kunsthalle und in der Berliner Neuen Nationalgalerie gewürdigt wurden, geht es mehr um das, was dazwischen entsteht, zwischen Bild und korrespondierendem Ton, zwischen Strich und Leere auf der Leinwand, zwischen Musik und Ohr des Zuhörers, und in diesem Falle zwischen Sakamotos Beiträgen aus Japan und dem, was Nicolai während der zumeist in der kalifornischen „Villa Aurora“, Lion Feuchtwangers ehemaliger Exilheimat, entstandenen Postproduktion dazuaddierte, herauskristallisierte. Einzig das Stück „Berlin“ schufen die bepopen gemeinsam in Nicolais Berliner Studio, als Referenz dazu hört man entfernt eine Vogelschar zwitschern, die sich vorm örtlichen Fenster tummelte. Auch das natürlich wieder ein Verweis auf die Luftigkeit des Albums, Organisches und Digitales, das sich ohnehin über die ganze Länge des Albums immer mehr annähert, zu einer neuen Sorte von Naturklängen fusioniert – denn letztendlich ist ja auch Elektrizität ein Teil der irdischen Natur. All das löst sich dann im letzten Track „Avaol“ auf, in welchem das Klavier kaum mehr hörbar im Hintergrund schwingt, in ein subatomares Partikelrauschen übergeht, diese organitale Symbiose zu einem kaum mehr zu überbietenden Abschluss bringt. Viel weiter kann man kaum gehen, viel tiefer kaum eindringen in die Struktur der Klänge, um dabei eine neue, noch nicht gehörte Schönheit zu entdecken.
Insen
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