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RÜCKSCHAU Roskilde Festival (04.-07.07.13)

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Fotos: Klaus Nauber

Dass Disclosure, die Titelhelden der Groove-Ausgabe 142, bei einer Veranstaltung mit der Metal-Band Slipknot um Aufmerksamkeit des Publikums ringen, kommt nicht häufig vor. Bei der diesjährigen Ausgabe des Roskilde Festivals spielten die beiden zur gleichen Zeit, was stellvertretend für die Genremischung steht, die das dänische Festival bei seiner 43. Ausgabe präsentierte. Für dieses Programm zwischen HipHop, Rock und Pop ist das Festival in der Nähe von Kopenhagen bekannt. Elektronische Musik fand bisher dagegen eher vereinzelt auf verschiedenen Bühnen statt. Das soll sich mit einer siebten Bühne eigens für elektronische Musik ändern. Die Apollo Stage gab es dieses Jahr zum zweiten Mal und darauf zu sehen waren unter anderem Disclosure, Thomas Barfod, Jam City, Simian Mobile Disco, Laurel Halo oder das Numbers-Kollektiv um Jackmaster und Rustie.

Auch wenn das Festival in diesem Jahr wieder mit großen Namen aus der Popwelt wie Rihanna, Metallica, Kraftwerk, James Blake, Kendrick Lamar oder Animal Collective aufwartete, geht es den Organisatoren um mehr. So gibt es alljährlich neben Musik und obligatorischer Festivalverpflegung auch Kunst zu genießen. Über hundert Projekte fanden dieses Jahr ihren Platz auf dem 1,5 Millionen Quadratmeter großen Festivalgelände. So gestaltete der US-amerikanische Künstler Ron English eine neunzig Meter lange Wand mit surrealen Bildern, bei denen er Werbeikonen mit Superheldenmotiven verband. Außerdem konnte man bei einem Spaziergang über die verschiedenen Campingplätze zahlreiche Installationen und architektonische Gebilde entdecken. Eine Kombination aus Bühne, Installation und Abenteuerspielplatz mit Selbsterfahrungstrip bot die Velvet Stage, eine Holzkonstruktion, die aus miteinander verbundenen Räumen bestand. Darin konnten Besucher mit Mitgliedern von Performance-Kollektiven in Interaktion treten, was großen Andrang fand, sodass vor dem Eingang immer eine längere Warteschlange zu sehen war.

Neben Kunst und Musik hat sich das Roskilde Festival seit seiner ersten Ausgabe 1971 auch gesellschaftlichen und politischen Themen verschrieben. Ein zentrales Anliegen dabei ist Nachhaltigkeit, der mit der Sustainable Zone ein eigenes Experimentierfeld gewidmet ist. Neben verschiedenen Urban-Gardening-Projekten, die dort ihren Platz finden, können Besucher ihre Mobiltelefone dort auf fixierten Fahrrädern mit Hilfe von Muskelkraft aufladen.

Eine weitere Besonderheit des Festivals ist, dass es als Non-Profit-Organisation den gesamten Gewinn an gemeinnützige Organisationen wie Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen, aber auch an kulturelle Projekte spendet. Das ist vor allem dadurch möglich, dass das Festival zum größten Teil auf ehrenamtlicher Basis organisiert und aufgebaut wird. Von den knapp 130.000 Besuchern übernahmen dieses Jahr knapp 30.000 Menschen Aufgaben bei Einlasskontrollen, Toilettenservices, aber auch für das Stage-Management, Presse-Betreuung oder als Booker.

Viele Besucher reisten schon am Samstag (29. Juni) vor dem eigentlichen Beginn des Musikprogramms am Donnerstag an, um ihre Campingplätze zu gestalten, sich einzugewöhnen oder Einstimmungskonzerte dänischer Künstler zu besuchen. Zugegebenermaßen wirkte das Gelände und viele der Besucher am Mittwochabend schon dementsprechend verlebt. Zudem fiel die große Zahl an Pfandsammlern auf, die durch die Masse hedonistischer Besucher liefen, um Becher und Dosen aufzusammeln, um sie anschließend an einer der vielen Pfandstellen abzugeben. Diese Sammler kaufen ihre Tickets selbst, ziehen über das Gelände und werden nicht immer freundlich von den Festivalgästen behandelt. So bleibt die Festival-Atmosphäre und die Umsetzung des Anspruchs, progressiv, nachhaltig und demokratisch zu Handeln, nur so gut umgesetzt wie die Gäste es mitmachen.

Im Großen und Ganzen herrschte aber eine freundliche Atmosphäre beim Roskilde Festival und vor den sieben Bühnen eine gute Stimmung, insbesondere bei dänischen Acts wie When Saints Go Machine oder Thomas Barfod. Auch die Apollo Stage kam in diesem Jahr gut an, was umso erfreulicher war, führte die Bühne im vergangenen Jahr ein wenig beachtetes Dasein weitab des eigentlichen Festival-Geländes. Zugegebenermaßen war es von Vorteil, eine Neigung zu beatlastiger elektronischer Musik wie Trap oder Entwicklungen aus dem UK-Hardcore Continuum zu haben. Den ersten Tag eröffnete der dänische Trap-Produzent Eloq, auf den gleich noch Baauer folgte, um dessen „Harlem Shake“ auch auf dem Roskilde Festival kein Vorbeikommen war. Ein wenig überraschend war es in diesem Zusammenhang, dass sich zahlreiche Menschen zum Live-Set von Disclosure vor der UFO-artigen Bühne einfanden. Die beiden Brüder, die mit ihrem Debüt-Album Settle die Charts stürmten, lieferten ein souveränes Set und hatten sichtlich Spaß, was sich auch auf das Publikum übertrug. Klassische House- oder Techno-Acts bekam man aber nur wenige zu sehen. Dabei gehörte das Set von Andy Stott am Freitag Nachmittag auf der einzigen komplett überdachten Bühne, der Gloria, zu den Höhepunkten des Festivals. Seine körnigen, technoiden Produktionen passten hervorragend zur Atmosphäre in der 1.000 Menschen fassenden, düsteren Scheune und brachte die geschätzten 500 Anwesenden zum Tanzen. Auch auf der größten Bühne, der Orange Stage, fand elektronische Musik am Ende noch ihren Platz. Das letzte Konzert des Festivals übernahmen dort Kraftwerk mit ihrer 3D-Show, die die erwartungsvollen Besucher aber nicht so recht überzeugen konnten. So bewegten sich nach nicht allzu langer Zeit einige Zuschauer etwas enttäuscht zu ihren Zeltplätzen oder dem nächsten Bierstand.

Die Apollo Stage prägten Produzenten und DJs aus Großbritannien wie Om Unit, Jam City oder das Numbers-Kollektiv aus Glasgow, das mit Jackmaster, Spencer, Redinho, Oneman, Deadboy, Sophie und Rustie anreiste und den kompletten Samstagabend füllte. Neben Thomas Barfod, Disclosure und Rustie konnte auch Daedaelus mit seiner Archimedes-Spiegel-Licht-Show und Simian Mobile Disco bei den Besuchern punkten. Und auch Flume, der im vergangenen Jahr mit seinem selbstbetitelten Debütalbum viel Lob erntete, konnte am Sonntagnachmittag ein gut gelauntes Publikum begeistern. So blieb der Eindruck, dass vor allem elektronische Musik, die sich mit HipHop verbrüdert, auf dem Roskilde Festival in diesem Jahr besonders gut ankam, wohingegen eher verschrobene Musik von Vatican Shadow oder Laurel Halo leider nicht so viel Resonanz erzeugen konnte. Vielleicht liegt das an dem musikalischen Spagat des Festivals, der eine große Herausforderung an das Publikum darstellt. Das Roskilde Festival bleibt ein Festival für Nicht-Puristen, die für die verhältnismäßig kleine, wenn auch qualitativ gute Auswahl an elektronischer Musik und eine große musikalische Vielfalt gleichermaßen zu begeistern sind. Zudem gab es dieses Jahr jede Menge neben den Bühnen zu entdecken. Ob Installationen, Bio-Essen oder Filme im Open-Air-Kino – langweilig wurde es zu keinem Zeitpunkt.

 


 

Interview: Elektronische Musik auf dem Roskilde Festival

Unter den ca. 30.000 Freiwilligen, die dieses Jahr halfen, das Roskilde Festival aufzubauen und zu organisieren, sind auch einige der verantwortlichen Booker für die unterschiedlichen Musikgenres. Von den sieben Mitgliedern kümmern sich drei auf ehrenamtlicher Basis um das Programm. Eines davon ist Thomas Jepsen, der hauptberuflich als Booker für das Rust, einen Club in Kopenhagen, arbeitet. Zum elften Mal war der Dreißigjährige dieses Jahr bei dem Festival, zum zweiten Mal als verantwortlicher Booker für elektronische Musik. Damit war er unter anderem für die Gestaltung des Programms auf der Apollo Stage zuständig, auf der ausschließlich elektronische Musik ihren Platz findet. Wir sprachen mit ihm über die Bühne und wie elektronische Musik in Dänemark gesehen wird.

 

Thomas, die Apollo Stage gibt es in diesem Jahr zum zweiten Mal. Wie zufrieden bist du mit der Entwicklung?

Letztes Jahr war die Bühne an einem anderen Platz, etwas weit weg von den restlichen Bühnen. Das war schade, weil nicht viele Besucher dort hingegangen sind. Dieses Jahr war Apollo näher an den anderen Bühnen und auch an einem der Campingplätze, so dass auch Leute, die eher durch Zufall an der Bühne vorbei kamen, von den Visuals und der Musik dort gehalten wurden. Ich denke, dass die Bühne jetzt wirklich wahrgenommen wurde, was an einem guten ersten Tag mit Shows von Eloq, Baauer und Disclosure schon sichtbar war.

Was steckt hinter der Entscheidung, eine Bühne nur für elektronische Musik anzubieten?

Wir wollten zum Einen mehr elektronische Musik anbieten und diesen Acts, die meistens allein oder zu zweit auftreten, außerdem eine passende Bühne geben. Die anderen sechs Bühnen sind etwas zu groß, um die Aufmerksamkeit auf die Künstler zu lenken.

Mit UZ, Baauer und Eloq spielten dieses Jahr gleich drei Produzenten, die ihren Schwerpunkt auf Trap gelegt haben, auf der Apollo Stage. Dagegen gibt es sehr wenige „klassische“ House- und Techno-Acts.

Ich hoffe wirklich, dass wir bald mehr House- und Techno-Acts präsentieren können, auch wenn in Dänemark gerade nicht mehr viele Leute House hören. HipHop ist hier sehr beliebt und Trap kann als Brücke zu elektronischer Musik dienen und die Leute vielleicht dazu bringen, wieder mehr House zu hören. Im Endeffekt sind wir es aber nicht allein, die entscheiden, es kommt ja auch immer darauf an, was an neuer Musik raus kommt und was die Leute gerade hören wollen. Trotzdem versuchen wir natürlich, auch ProduzentInnen zu buchen, die die Leute noch nicht kennen.

Experimentierfreudige Musik, wie von Andy Stott oder Vatican Shadow, gab es auf einer anderen Bühne, der Gloria, zu hören.

Die Musik, die dieses Jahr vor der Apollo Stage zu hören war, ist einfacher zu verstehen. Ich denke, dass viele Besucher dorthin und zu den anderen Bühnen gehen, um zu feiern. Gloria ist einzigartig, weil dort eher die Musiknerds wie du und ich hingehen. Aber auch auf der Apollo Stage ist was für Nerds dabei, die zum Beispiel bei Simian Mobile Disco näher hinhören können.

Wie sieht die Musikszene in Dänemark aus?

Gerade sind hier besonders Punk und Trap groß. Ich denke, dass es hier jedes Jahr für die verschiedenen Genres auf und ab geht. „Urban Music“ wie HipHop ist hier immer sehr beliebt, was man auch an den Headliners der anderen Festivals sieht. Viele Rock- und Indiebands können auch große Bühnen bespielen, was nicht viele Elektronikmusik-ProduzentInnen können. Hoffentlich können Acts mit Energie wie Disclosure in ein paar Jahren auf größeren Bühnen spielen. Wenn man nicht nur einen DJ sieht, sondern auch Live-Instrumente, und die Acts eine vergleichbare Energie entwickeln wie Rockbands, dann würden sich vielleicht wieder mehr Leute hier für elektronische Musik interessieren.

Es gibt inzwischen sehr viele Festivals, die ihren Schwerpunkt auf elektronische Musik legen. Siehst du das Roskilde Festival als Konkurrenz dazu?

Man kann sie nicht wirklich mit unserem Festival vergleichen. Vielmehr finden wir durch Festivals wie Outlook Acts, die auch wir buchen können – Konkurrenten sind wir nicht wirklich. Wir arbeiten eher mit ihnen zusammen und fragen direkt, welche ProduzentInnen wir buchen könnten. Insbesondere mit dem SXSW arbeiten wir immer wieder zusammen, weil sie musikalisch ähnlich breit aufgestellt sind. Das Besondere am Roskilde Festival ist, dass von uns sieben, die die Musiker buchen, drei ehrenamtlich arbeiten. Ich bin eigentlich Booker von einem Club, einer arbeitet in einer Bank und der andere in einem Krankenhaus. Wir kommen aus verschiedenen Welten und suchen zusammen die Musik aus. Das können die Besucher hier bei Roskilde spüren, denke ich – dass die Acts mit Leidenschaft ausgewählt werden.

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