In Krisenzeiten haben neben anderen vor allem zwei Dinge Hochkonjunktur: Kapitalismuskritik und Drogen aller Art. Alkohol entspannt am Feierabend, Valium dämpft die Angst vor dem Jobverlust, Kokain lässt die dümmste Werberleistung wie einen Geniestreich erscheinen, und auch der Riot der Empörten findet mit Crystal Meth zwei Stunden länger statt. Ritalin gibt’s für die Kids, Angstzustände müssen gelöst und natürlich auch noch Transzendenz erfahren werden. Trotzdem gilt der Rausch nicht erst seit den Worten Helmut Kohls, nach denen das Ziel eine Gesellschaft sein müsse, die den Rausch einmal genauso ächtet wie den Kannibalismus, als das Andere, als die irrationale Schattenseite einer sich so rational gebenden Welt.
Den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Verwertungslogik und dem Rausch an sich, seinen gesellschaftlichen Funktionen, den Gefahren und seinem Nutzen, nähert sich der in Berlin lebende und auch als Produzent breaklastiger Agit-Pop-Tracks, Blogger und Politaktivist bekannte Autor Daniel Kulla auf einem ungewöhnlichen Weg. Fragen will er aufwerfen, erklären, wie der Rausch für Herrschaftszwecke verwendet wurde und wie er zur Entfaltung des Kapitalismus beitrug; selbstverständlich – Kulla bezeichnet sich als diskordischen Kommunisten – mit Hinblick auf die Möglichkeiten seiner Überwindung. Dabei bedient er sich vor allem der Gedanken zweier Menschen, die auf den ersten Blick nicht viel, nach Lektüre des Buches aber doch ein wenig mehr miteinander zu tun zu haben scheinen: Karl Marx und Timothy Leary. Wollte der Ahnherr der Revolution noch die Verhältnisse umwerfen, empfahl der andere, mithilfe hoher Dosen psychedelischer Drogen doch einfach aus diesen auszusteigen. Die Folgen sind bekannt: Der Kommunismus ist scheinbar auf ewig diskreditiert, und die mittlerweile wohl fünfte Generation von kaputten Drop-Outs bevölkert auch heute noch Abrisshäuser und Psychiatrien.
Kenntnisreich, unterhaltsam und auf vielen mit popkulturellen Verweisen gepflasterten Nebenpfaden nähert sich das Buch der Frage, ob und inwieweit der Rausch und Revolte Händchen haltend das Liedchen vom besseren Morgen trällern sollten. Wer jemals auf einem versehentlich eingenommenen LSD-Trip das Gefühl hatte, die Welt an sich verstanden zu haben, dürfte an Leben im Rausch Gefallen finden. Alle anderen können ja einfach so weitermachen wie bisher.
Daniel Kulla: Leben im Rausch – Evolution, Geschichte, Aufstand (Der Grüne Zweig 285, Werner Pieper & The Grüne Kraft, Löhrbach 2012, 296 Seiten, 19,80 Euro