Text: Patrick Schütz, Foto: Ragnar Schmuck
Erstmals erschienen in Groove 138 (September/Oktober 2012)
Wer seit seinem elften Lebensjahr Platten kauft, kommt im Laufe der Jahre auf eine zahlenmäßig und stilistisch beachtliche Sammlung. Steve Bug hat seine nie gezählt, aber sie füllt meterhohe Regale in seinem Studio und heimischen Keller. Für uns hat er ganz bewusst auf typische DJ-Platten verzichtet und vor allem solche ausgewählt, die ihm in verschiedenen Lebenslagen ein ständiger Begleiter waren. Im Gespräch über Musik gelangt er immer wieder zu einem Problem: Zeitmangel. Der sorgt nämlich dafür, dass er kaum noch Platten zum Auflegen digitalisiert. Auch die Beschäftigung mit elektronischer Tanzmusik gestaltet sich angesichts der hohen Zahl an Veröffentlichungen immer schwieriger. Dennoch ist der wöchentliche Besuch im Plattenladen ein Ritual. Denn für Steve Bug gibt es Musik, die er einfach auf Platte haben muss.
Ennio Morricone – Spiel mir das Lied vom Tod (Ariola, 1978)
„Ich habe keine Ahnung, warum dieser Soundtrack es mir so angetan hat. Und ich weiß auch bis heute nicht, weshalb ich als kleiner Junge meiner Mutter ausgerechnet diese Platte geklaut habe. Vielleicht wegen der extrem unterschiedlichen Emotionen: Hier wechseln sich lustige mit düsteren und traurigen Momenten ab. Ich wusste auch überhaupt nicht, dass es die Musik zu einem Film ist. Erst als ich diesen wesentlich später zum ersten Mal gesehen habe, fiel mir auf, dass das ja der Soundtrack meiner Kindheit ist. Morricone ist ohnehin ein begnadeter Filmmusikschreiber. Vor einiger Zeit hat er in Venedig ein Orchester dirigiert, das seine Musik spielte. Ich bin kein Konzertgänger und schon gar kein Klassikfan. Aber das hätte ich zu gern gesehen.“
Visage – Visage (Polydor, 1980)
„Als ich diese Platte kaufte, war ich gerade mal elf und irgendwas hat mich an diesem Sound fasziniert. Wenn ich diese Musik über Kopfhörer hörte, hatte ich das Gefühl, mich von allem anderen abkapseln zu können. Ich konnte mich ganz mit mir und der Musik oder dem, was in meinem Kopf vorging, beschäftigen. Das war wohl auch einer der Gründe für meine Begeisterung für House und Techno. Man konnte ganz für sich in einem dunklen Club tanzen, ohne allein zu sein. Man hat seine Zeit mit sich genossen. Rückblickend fällt mir auch auf, wie experimentell die Popmusik der Achtziger war. Da gab es immer irgendwelche gewagten Sounds. Heute ist das ja alles sehr gefällig, aber damals hatte Popmusik tatsächlich etwas Verrücktes.“
Diverse – Wild Style (Animal Records, 1983)
„Wild Style ist eine Soundtrack-Compilation mit ganz frühem Hiphop. Dass es dazu einen Film gab, wusste ich auch nicht. Aus heutiger Sicht ist die Musik vielleicht nicht so beeindruckend, aber damals dachte ich: „Was passiert hier gerade?“ Wenn man vom Synthie Pop kam, war das hier etwas völlig anderes. Diese einfache, raue Musik mit ein paar Samples und diesem Sprechgesang. Interessanterweise wurde mir dadurch klar, dass Musik nicht gleich Musik ist, dass es so etwas wie Genres gibt. Gleichzeitig war es der Beginn meiner Tanzkarriere. Wir standen mit einem Kassettenrecorder und weißen Handschuhen in Bremen und haben ganz schlechte Roboter-Moves gemacht. Zum Glück gab es da noch kein Youtube.“
Rhythm & Sound – w/ The Artists (Burial Mix, 2003)
„Das ist eines der Alben, die ich in meinem Leben am meisten gehört habe. Auch wenn House mein Ding ist, hab ich andere Sachen immer mitverfolgt. So auch die Dub-Veröffentlichungen aus dem Hard Wax-Umfeld. Wegen der Vocals ist diese hier meine Lieblingsplatte von Rhythm & Sound. Man denkt ja, dass sei ziemlich einfache Musik. Nur Loops, bei denen ab und zu die Effekt-Kanäle aufgehen. Aber einen Loop, der sich so lange trägt, muss man erst mal bauen. Außerdem ist es wahnsinnig gut gemischt. Man merkt die analogen Quellen und es ist tight und weich zugleich. Würde man solche Musik nur am Rechner produzieren, könnte sie auch gut sein, aber sie hätte nicht diese Tiefe.“
Owusu & Hannibal – Living With… (Ubiquity, 2006)
„Owusu & Hannibal sind zwei Typen aus New York. Eigentlich hätte mir ihre Platte schon früher auffallen müssen. Denn Morgan Geist hat eins der Stücke geremixt und seine Version habe ich für die Compilation Skin Is In auf Dessous verwendet. Ein oder zwei Jahre später war ich in Australien und wurde von einem Freund abgeholt, in dessen Auto das Album lief. Das wurde dann der Soundtrack meiner Reise. Wir haben das immer verglichen mit Prince und Michael Jackson, die auf Acid im Studio abhängen und Musik machen. Zurück in Deutschland habe ich ein paar Exemplare gekauft und an Freunde verteilt. Einige haben erst Jahre später verstanden, was an dieser Musik so toll ist.“
Stan Getz – Body And Soul (Verve, 2006)
„Ich habe ich mich nie groß mit Jazz beschäftigt. Diese Compilation hatte ein Freund in den Skiurlaub mitgebracht. Da wollten wir eigentlich als große Gruppe hin, doch kurz zuvor sagten fast alle ab. Also saßen wir zu viert in unserem Chalet, tranken jeden Abend Wein und hörten die Stücke. Seitdem ist das für mich die perfekte Musik zu Abendessen und Rotwein. Ich habe später versucht, mich mehr mit Stan Getz auseinanderzusetzen, aber gerade Saxofonisten gehen ja manchmal in äußerst unangenehme Tonlagen. Das hier ist eher so Easy-Listening-Jazz und funktioniert für mich einfach besser. Davon habe ich auch einige Exemplare nachgekauft und an Freunde verteilt. Weil ich der Meinung bin, dass man gute Musik weitergeben sollte.“
Steve Bugs neues Album Noir ist bei Poker Flat erschienen.