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Quelza: Das Streben nach dem reinen Ausdruck

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Quelza ist Techno-DJ und -Produzent. Neben regelmäßigen Auftritten im Berghain steht sein Name mittlerweile in ganz Europa auf Line-ups von Clubs und Festivals. Sein intuitiver Zugang zur Musik setzt dabei auf persönlichen Ausdruck und nicht auf starre Ausbildung oder konventionelle Strukturen.

Obwohl der Franzose tief in die digitale Werkzeugkiste greift, entfalten sich seine Tracks organisch – genau wie seine DJ-Sets, die stets im Wechselspiel mit Raum und Publikum entstehen. Ein Teil seiner Musik entzieht sich dabei jeglicher Kategorisierung – auch dem Label experimentell.

Mit Releases auf etablierten Techno-Labels wie HAYES oder MORD ist Quelza zu einem der spannendsten jungen Künstler:innen in der Szene aufgestiegen. GROOVE-Autor Julian Fischer hat sich mit ihm getroffen und darüber gesprochen, welches zufällige Cluberlebnis ihn zu Techno geführt hat, wie er im Berghain gelandet ist und warum er empfiehlt, auf Social Media zu sein.

Es ist ein heißer Sommernachmittag. Léo Naït Aïssa, bekannt als Quelza, wartet bereits vor der Alten Münze auf mich. Mit kurzen Hosen und halboffenen Sandalen vermittelt er einen lässigen und offenen Eindruck. Bevor wir uns einen passenden Ort für das Interview suchen, fragt Léo nach dem nächsten Kiosk für eine Packung Zigaretten. „Schlechte Angewohnheit”, sagt er. Dennoch, seit vier Jahren trinke er keinen Alkohol mehr, da sei das Rauchen als einziges Laster noch vertretbar.

Inzwischen wohnt der gebürtige Franzose seit über sechs Jahren in Berlin. Mit der Hand zeigt er in Richtung Fernsehturm – irgendwo dahinter. Wohl nicht nur eine Geste, um der Kommunikation über den Straßenlärm hinwegzuhelfen. Im Laufe unseres Gesprächs bewegt Léo oft Arme und Hände: Sei es das Klopfen auf den Tisch, die raumgreifenden Gesten, die das Gesagte untermauern, oder das nervöse Anzünden seiner Zigaretten. Léo ist expressiv und bezieht den Raum in den Dialog mit ein. Etwas, das sich auch in seinen DJ-Sets niederschlägt.

Was Berlin anders macht

Léo kommt gerade von einem Gig in Paris. Der Auftritt für das Pariser Queer-Kollektiv Spectrum Waves in der Venue La Station sei für ihn besonders gewesen, sagt er. Nicht nur war es sein bisher größter Gig in seiner Heimatstadt, sondern auch sein erster nach einigen Jahren. „Die Clubszene in Paris feiert gerade eine Art Comeback”, so Léo. 

Zuvor hatte sich Léo, der Ende der Neunziger in einem Pariser Vorort geboren wurde, von der dortigen Szene distanziert. Seit 2015 seien viele Clubs in Paris von Off-Location-Events in Warehouses oder anderen Orten verdrängt worden, sagt er. Damit verschwand eine für ihn essenzielle Clubkultur. 2019 verließ er die Stadt und zog – nicht nur wegen der billigeren Mieten – nach Berlin.

Quelza (Foto: Presse)

Sein Verständnis von Clubkultur hat sich hier noch einmal verändert. Der Club sei für ihn ein Ort der Freiheit und Begegnung. An den man wiederkehrt, an dem sich Geschichten ereignen und zu dem man eine Beziehung aufbaut. Es ist ein sozialer Raum, der verschiedene Menschen anzieht. „Manche kommen in den Club, um vor etwas zu fliehen, manche, um etwas zu finden, andere wegen der Musik und wieder andere, um zu tanzen oder sich auszutauschen”, so Léo.

Für ihn steht der soziale Aspekt im Zentrum der Clubkultur. Er selbst begann nicht wegen der Techno-Musik, in Clubs zu gehen, sondern wegen der Atmosphäre und der Menschen. Die Musik ist ihm dabei nicht egal, aber sie war anfangs zweitrangig. Erst später entwickelte sich seine Neugier und die tiefere Auseinandersetzung mit ihr. Für ihn ist Musik nicht nur Klang, sondern ein Medium, das Verbindungen schafft und gemeinsame Erlebnisse ermöglicht.

Raven mit gefälschtem Ausweis

Léos erster Clubbesuch stand ganz in diesem Zeichen und war ein einschneidendes Erlebnis: „Es war, als würde ich meine Welt eingrenzen und sagen: Das ist meine Bestimmung.” Damals war er eigentlich auf dem Weg zu einem Café. Er ging in Paris die Seine entlang, als er am legendären Club Concrete vorbeikam. Neugierig auf Musik und Leute gelangte er mit einem gefälschten Ausweis auf das Boot und war begeistert. 

„Zuerst haben mich die tanzenden alten Leute fasziniert. Es gab keine bestimmte Art zu tanzen – manche haben gevoguet, andere haben Hip-Hop getanzt, manche waren von der Bank, andere aus der Vorstadt. Niemand hat über Alter, Religion oder Arbeit geurteilt – alle tanzten einfach. Es war fantastisch, zu sehen, wie Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammenkamen und frei waren.”

„Auflegen ist mehr als Technik – es geht darum, den Raum zu spüren und den Menschen eine gute Zeit zu ermöglichen.”

Das zufällige Club-Erlebnis hat Léo geprägt. Wenn er auflegt, will er die Energie des Raums spüren und eine Verbindung mit dem Publikum herstellen. Deshalb versucht er beispielsweise, auf Tour auch die Veranstalter:innen kennenzulernen, um herauszufinden, was den Ort ausmacht, an dem er spielt. „Auflegen ist mehr als Technik – es geht darum, den Raum zu spüren und den Menschen eine gute Zeit zu ermöglichen.”

Nach Berlin ist er ursprünglich vor allem wegen der günstigeren Mieten gezogen. In Paris musste er schon mal bis zu 14 Stunden im Café arbeiten, um sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können. Da blieb nicht viel Zeit zum Musikmachen. An der Berliner Clubkultur liebt er besonders, dass sie ein integraler Bestandteil der Stadt ist. „Es gibt viele Leute, die nichts mit Musik zu tun haben und in die Clubs gehen, weil es ein soziales Umfeld ist”, so Léo. Während der Pandemie sei die Bedeutung dieses Umfelds noch deutlicher geworden als zuvor.

Ein Club sei für Léo dabei besonders wichtig. Es ist, nicht überraschend: das Berghain. Er habe dort viele persönliche Bindungen aufgebaut. Er kennt die Leute auf der Tanzfläche, das Personal und fühlt sich als Teil des Ganzen. Nach seinen Sets tanzt Léo oft selbst mit seinen Freund:innen weiter.

Reiner Ausdruck, kontrolliertes Chaos

Auf den Künstlernamen Quelza kam Léo wegen seiner Phonetik und Geschlechtsneutralität. Der Name ist auf die Maya-Gottheit Quetzalcoatl zurückzuführen. Es handelt sich dabei um eine Art Schlange, die weder gut noch böse ist und ein Gleichgewicht repräsentieren soll. Wegen der ungewöhnlichen Aussprache entschied sich Léo, den Namen zu kürzen und etwas abzuändern. Dass der Quetzalcoatl ausgerechnet sein Maya-Sternzeichen ist, fand er erst vor Kurzem heraus.

Léo wollte eigentlich kein Musiker werden. Die Musik war lediglich ein Mittel, um sich auszudrücken. „Manche schreiben, manche malen, und bei mir war es Musik”, sagt er. Ohne sich selbst für besonders talentiert zu halten, begann er mit 15 aus Spaß zu produzieren. Es sei ihm vor allem darum, einen Gedanken oder Ähnliches in eine musikalische Form zu bringen, sagt Léo.

Seine Herangehensweise hat sich seither nicht drastisch verändert. Léo bezeichnet sie als intuitiv, mit einem Hang zu komplexen, technisch inspirierten Klängen. „Es sind oft algorithmische Effekte oder Glitch-Zyklen, die aus den Techniken des IDM kommen.” Er versuche damit, dem Zufall Herr zu werden und Material zu generieren, dem zwar gewisse Strukturen zu Grunde liegen, die beim Hören aber nicht genau erkannt werden. Eine Technik, die Léo als „kontrolliertes Chaos” bezeichnet.

Quelza (Foto: Presse)

Wenn er über das Produzieren spricht, merkt man schnell: Spontaneität und emotionale Resonanz sind für ihn wichtiger als technische Präzision. „Wenn ich zu viel nachdenke, verliere ich die Seele des Tracks”, sagt Léo. Auch deshalb gehe es ihm um den reinen Ausdruck.

Was er damit genau meint, wird deutlich, als er von seiner Inspiration DjRUM erzählt. „Er macht beispielsweise Dinge, die nicht im gleichen Tempo sind, aber er findet immer Wege, sie gut klingen zu lassen”, sagt Léo. „Es ist, als wäre er so entspannt, dass er einfach weiter macht, als hätte er keine Angst vor irgendwas. Dann gibt es keine Fehler mehr. Das ist reiner Ausdruck für mich.”

Dieser Ansatz hat zu einem Klang geführt, der sich nicht einfach kategorisieren lässt und cinematische Texturen, komplexe Polyrhythmen und ein spürbares Gefühl für Narrative miteinander verbindet. „Die Leute sagen immer, ich hätte schon früh meinen Sound gefunden, aber ich weiß immer noch nicht, was mein Sound eigentlich ist”, so Léo. Statt nach einem definierten Stil zu suchen, lasse er sich vielmehr von seinem Gehör und seiner Neugier leiten.

Der Reiz langer DJ-Sets

Mit dem Auflegen begann Léo erst, als er schon in Berlin wohnte. Seinen ersten größeren Gig als Quelza hatte er kurz vor der Pandemie im Tresor für die Newcomer-Reihe New Faces. Mit ihm wollte er das Fundament für eine DJ-Karriere legen, doch der Lockdown kam dazwischen. Trotzdem verlor er das Auflegen nicht aus den Augen und verfeinerte seinen Stil. Gelegenheiten, auf privaten Raves zu spielen, ließ er sich nicht nehmen. Als der Lockdown vorbei war, wurde Léo wegen seiner erfolgreichen Veröffentlichungen und Podcasts zuerst vom Tresor und, etwas später, dem Berghain gebucht.

„Acht Stunden zu spielen, erfordert Geduld und die Fähigkeit, auf das Publikum zu reagieren.”

Beim Auflegen liebt Léo die besondere Dynamik langer DJ-Sets, die ihn herausfordern und inspirieren. „Acht Stunden zu spielen, erfordert Geduld und die Fähigkeit, auf das Publikum zu reagieren”, sagt er, als er über seinen Allnighter im Wuppertaler Club Open Ground spricht. Dabei hilft ihm seine akribisch organisierte Musikbibliothek. Er sortiert Tracks nach Stimmung, Ästhetik und sogar Farben, um intuitiv die passende Atmosphäre zu schaffen. „Ich denke in Bildern und Kategorien wie luftig oder intensiv statt in Genres. So finde ich schnell das Richtige für den Moment.”

Wer vor ihm spielt, beeinflusst ebenfalls Léos Ansatz – vor allem energetische Sets fordern ihn heraus, die Dynamik aufrechtzuerhalten. Bei langen Nächten, wie beispielsweise im Berghain, wenn das Publikum erschöpft ist, braucht es aber Feingefühl. „Man muss die Energie bewahren und das Set so gestalten, dass sich die Leute wohlfühlen und wieder öffnen können”, beschreibt er.

Soziale Medien als Werkzeuge

Heute endet die Verbindung zum Publikum aber nicht auf der Tanzfläche. Für Léo sind soziale Medien ein unverzichtbares Werkzeug in der Musikwelt, besonders für junge Künstler:innen. Plattformen wie Instagram ermöglichen es, mit dem Publikum zu interagieren und Musik ohne Label oder große Ressourcen zu verbreiten. Besonders in einer Zeit, in der traditionelle Medien immer mehr an Bedeutung verlieren.

Dabei ist Léo bewusst, dass soziale Medien auch toxische Aspekte haben können. „Man muss das nicht mögen, aber man muss es akzeptieren”, sagt er und verweist darauf, dass jeder Job auch unangenehme Seiten hat. Es sei nicht notwendig, sich von den sozialen Medien vereinnahmen zu lassen, sondern vielmehr, sie gezielt einzusetzen, um die eigene Botschaft und Kunst zu teilen. „Sobald man die Angst davor überwindet, kann man soziale Medien als ein weiteres kreatives Ausdrucksmittel nutzen.”

Für Léo ist es wichtig, kreativ zu bleiben, auch wenn es nicht immer um Musik geht. In Phasen musikalischer Blockaden wendet er sich anderen künstlerischen Ausdrucksformen zu, etwa Malen oder Schreiben. Oft entstehen aus diesen Momenten neue Ideen für seine Musik. Als Léo sich verabschiedet, hat er keine weiteren Pläne. „Vielleicht setze ich mich jetzt in ein Café”, sagt er. Auch hier schimmert die Intuition durch. Léo scheint im Moment zu leben, ohne dabei naiv zu wirken oder alles dem Zufall zu überlassen. ​​Seine Musik ist immer Ausdruck dieser Balance zwischen Freiheit und bewusster Gestaltung.

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