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Benjamin Röder (CHARLIE) – GROOVE Resident Podcast 60

Wie könnte man die 60. Ausgabe unseres GROOVE Resident Podcasts besser zelebrieren als mit einem (Social) Club aus dem Münchner Stadtteil Giesing? Benjamin Röder betreibt das kleine House-Refugium CHARLIE seit bald 15 Jahren und hat gemeinsam mit seinem Team ein gallisches Dorf – clubkulturell – im gallischen Dorf – stadtstrukturell – erschaffen, das sich den großen Zusammenhängen des Nachtlebens in der bayerischen Landeshauptstadt geschmeidig entzieht und trotzdem Acts wie Kléo, Prosumer oder Steven Julien an die Decks bringt.

Wie das funktioniert, wie sich das CHARLIE seit 2010 entwickelt hat und wie es sich anfühlt, mit seinem eigenen Club zu altern, lest ihr im Interview mit Benjamin Röder, das seinen geschmackssicheren wie traditionsbewussten House-Mix begleitet.

GROOVE: Das CHARLIE gibt es inzwischen seit Ende 2010, Anfang 2011. Wie kam es damals zur Gründung?

Benjamin Röder: Im Jahr 2009 hatte ich gerade mein Kunststudium abgeschlossen, meine Mitbewohnerin Sandra wollte ein Restaurant eröffnen, und zur Immobilie gehörte eine Kegelbahn. „Benny, magst du dort nicht mal ’ne Party machen?”, fragte mich Sandra am Küchentisch, und dann ging es los.

Im GROOVE-Clubsteckbrief zum CHARLIE von 2018 meintest du, dass ihr euch nicht als Club, sondern als Bar definiert. Wie würdest du euer Konzept umreißen? Habt ihr beim Booking noch immer den Anspruch, die Münchner Szene stark zu repräsentieren?

Seit der ersten Nacht wird jeder Abend von Resident-DJs begleitet. So haben wir ein paar Residents der ersten Stunde und viele neue Münchner Talente, die bei uns spielen. 

Wir betreiben regelmäßige DJ- und Nightlife-Workshops, um die Barrieren niedrig zu halten und gemeinsam besser zu werden. Wir sind Münchner:innen und wollen für unsere Leute das Programm gestalten. Für die Inspiration und den Austausch bringen wir wöchentlich internationale Gast-Künstler:innen in die Stadt. Das ist schon ein besonderer Kraftakt, weil München in der Regel keine Destination für Nachtkultur ist.

Wir haben uns immer als Bar definiert, weil wir viele Abläufe eines kommerziellen Nachtclubs nicht übernehmen wollten. Die Definition eines Clubs wirkte auf uns immer zu exklusiv. Heute sehen wir uns vielleicht mehr als eine Art Social Club. Wir haben ja nur samstags geöffnet, um als Betreiber:innen noch an jedem Abend selbst anwesend sein zu können. Grundsätzlich ist unser Ziel, auf dem Dancefloor gemeinsam alt zu werden. Und wir sind uns bewusst darüber, dass wir in einer bidirektionalen Abhängigkeit zu München stehen. Wir fühlen uns verantwortlich, und ja, wir haben das Gefühl, ein echtes München zu repräsentieren.

Der Clubsteckbrief zum CHARLIE aus der letzten regulären GROOVE von 2018

Wo verortest du dich mit dem CHARLIE in der aktuellen Münchner Clublandschaft?

Wir sind immer wieder überrascht, Menschen aus unserem Umfeld zu treffen, die noch nie im CHARLIE waren oder es überhaupt nicht kennen. Weil das aber regelmäßig passiert, denken wir, dass wir vielleicht doch noch underground sind.

Jetzt sind wir auch noch plötzlich alt geworden. Trotzdem denke ich nicht, dass wir verstaubt sind. Wir pflegen unseren dust sehr gewissenhaft. Zudem haben wir immer wenig mit der Industrie gearbeitet, sodass wir nie eine kommerzielle Aura aufgebaut haben. Die ersten zwei Jahre haben wir noch nicht einmal unser Programm angekündigt. Außerdem haben wir immer nur solide DJs gebucht, und keine Acts. Ich vermute, dass wir es geschafft haben, in München nach 13 Jahren Beständigkeit und Vertrauen aufzubauen. Wir haben uns inhaltlich nie groß verändert, und über die lange Zeit wurde ausschließlich justiert und optimiert. Für uns ist das CHARLIE einfach ein echter House-Laden. Und unsere Tagline ist immer noch „Happiest Bar In Town”.

Wie hat dich das CHARLIE musikalisch geprägt?

Ich kann sagen, dass das CHARLIE für mich als DJ ein Synonym geworden ist. Ich war an den meisten Abenden der letzten Jahre dabei und stand meistens mit all den inspirierenden Künstler:innen in der Booth. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Ich höre auch auf meinem linken Ohr nicht mehr ganz so gut, weil ich immer so nah an der linken Monitorbox gestanden habe – die Prägung ist mittlerweile sogar physisch geworden. (lacht)

Der Blick aus der Booth auf den Floor des CHARLIE (Foto: Benjamin Röder)

Im Interview sprachen wir damals auch über das CHARLIE als „Zielscheibe der Gentrifizierungsgegner” im Arbeiterviertel Untergiesing. Wie hat sich das Viertel in den über sechs Jahren seither entwickelt und wie werdet ihr heute gesehen?

Was für ein witziges Missverständnis. Ich denke, dass dieser Geist aus dem CHARLIE vertrieben wurde. Glücklicherweise haben jetzt viele Menschen ein Auge dafür entwickelt, die wirklichen Täter des Artwashing, Greenwashing und der Gentrifizierung zu erkennen. Es ist nicht schwer, das alles in München in echt zu finden. Die Stadtentwickler in München sind fleißig. Wir hoffen und tun alles dafür, dass Giesing dieses kleine gallische Dorf bleibt.

Die Jahre nach Pandemiebeginn waren von einem enormen clubkulturellen Aderlass geprägt. Befand sich auch das CHARLIE in der Krise? Und wie ist es um die derzeitige Situation des Betriebs bestellt?

Die Restriktionen hier in Bayern waren auch noch von ekelhaften, zynischen Sprüchen der Politik begleitet. Das hat uns natürlich in eine tiefe existenzielle Krise gestürzt, die bis heute anhält. All die gut gemeinten Förderungen waren leider ein finanzieller Bumerang und fallen uns heute auf die Füße. Wir mussten unendlich viel zusätzliche Arbeit leisten, um diese Idee der sozialen Zusammenkunft und des kulturellen Austausches wiederzubeleben.

Aber wir sind es auch gehörig leid, weiterzujammern. Gleichzeitig ist unsere Bereitschaft zu Kompromissen auf jeden Fall nicht mehr existent. Deswegen haben wir unsere Sinne geschärft, um das CHARLIE einfach noch besser zu machen: Now more than ever!

Tracklist:

Belle Epoque – Miss Broadway
Scott Z. – Glass Traps Bonus Beats
Soulphiction – Regrets
GU – For the Love of Money
Dj Sprinkles – Brendas 20$ Dilemma
Cloud City – THC
Union Camp – Fresh Melody
Underground Evolution – Soul Searcher (Dub)
Fred Everything – It’s A Baddoo Thang (12“ Dub)
Rush De-luxe – Dream In Rhythm (Dub 1 Mix)
Braxton Holmes – The Climax
Reggie Dokes – Silence Is Golden
Douglas Sound – Do Right
Triangle Orchestra – At 137 (Cloudy Version)
Rick Wilhite & Calvin Morgan – Deep Horizons
Luna Project – I Wanna Be Free (Original Factory Mix)
Tiago – Merda Cagada Não Volta Ao Cú
DaRand Land – Jazz Intent
Kings Of Tomorrow – Organic Warfare (Main Pass)
Kuumba Project – Black Thoughts (Tribal Mix)
Ron Trent – Subculture
Florist – Marine Drive
Garcia (the Latin rogue) – let’s do it
Secret Squirrel – Inferno Dub A
Jovonn – Next Session
Kerri Chandler – The World Is Yours (Broken Jazz Mix)

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Chlär: „Es ist einfach, das verrückteste Zeug zu machen!”

Chlär ist als Techno-DJ weltweit unterwegs. Mit uns hat er über illegale Raves in der Schweiz, seine Arbeitssucht und die Grundpfeiler des Techno gesprochen.

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