Dass Musik und Politik viel miteinander zu tun haben, ist nicht neu. Nik Nowak macht das Verhältnis von Klang und politischer Auseinandersetzung in imposanten Soundsystem-Skulpturen erlebbar, die aktuell in Dresden zu sehen sind.
In einer visuell geprägten Welt wird der Klang als Medium oft übersehen. Doch Klang kann weit mehr als nur eine ästhetische Erfahrung sein, die Spaß macht: Klänge können Ängste schüren, Menschen unter Druck setzen und sogar als Werkzeug der politischen Auseinandersetzung eingesetzt werden. Um diese Dimension von Klang geht es Nik Nowak. Der Berliner Künstler hat sich intensiv mit den politischen Dimensionen von Klang auseinandergesetzt. In seiner Ausstellung Schizo Sonics: Klang als Waffe im Kalten Krieg, die vom 29. November 2024 bis zum 2. März 2025 im Militärhistorischen Museum in Dresden zu sehen ist, verbindet er akustische Mobilisierung in politischen Kämpfen der Vergangenheit mit den gesellschaftlichen und kulturellen Dynamiken von heute.
Die Ausstellung rückt zwei zentrale Arbeiten in den Fokus: Panzer (2011), ein zum Soundsystem umgerüsteter Muldenkipper mit Stahlketten, ist eine Soundskulptur, die sich mit den politischen Reggae-Soundsystemen der Siebzigerjahre in Jamaika auseinandersetzt. The Mantis (2019) ist eine künstlerische Reflexion auf den Lautsprecherkrieg an der deutsch-deutschen Grenze im Kalten Krieg. Dieser entwickelte sich zwischen 1961 und 1965 zu einem akustischen Duell, bei dem sich leistungsstarke Lautsprecheranlagen gegenseitig zu übertönen versuchten.
Beide Werke treten in einer konfrontativen Installation in Dialog und schaffen ein Klang- und Kunsterlebnis, das die Besucher:innen in die akustischen Ausläufer der geopolitischen Stellvertreterkriege dieser Zeit ebenso eintauchen lässt wie in die synkopierten Grooves der hauseigenen Reggae-Truppe der Workers’ Party of Jamaica, die zum Beispiel eine strandtaugliche Version der Internationalen spielte.
Im Kontext von „Schizo Sonics” wird ein 43-minütiges Audio-Essay vorgestellt, das auf Archivmaterial basiert, unter anderem dem DDR-Marschlied „Unsere Panzerdivision”. Wie diese historischen Fundstücke zusammenkommen, ist eine der Fragen, die Nik Nowak in unserem Interview beantwortet hat.
GROOVE: Welche Bedeutung hat das Thema „Klang als Waffe” in unserer heutigen Zeit? Warum ist es dir gerade jetzt wichtig, diese Thematik in den Mittelpunkt zu rücken?
Wir leben in einer sehr bildbezogenen Gesellschaft. Klang und seine Wirkung werden oft außer Acht gelassen. Strategien der akustischen Kriegsführung werden im Kontext psychologischer Kriegsführung seit der Industrialisierung stetig technisch weiterentwickelt und perfektioniert. Das Gefährliche daran ist, dass Schall flüchtig ist. Insofern ist der Einsatz von Schall, beispielsweise als Folterinstrument wie im Gefängnis von Guantánamo Bay, schwer nachzuweisen. Besonders effektiv funktioniert der Einsatz von Schall als psychologische Waffe, wobei er häufig als antidemokratisch kritisiert wird – zum Beispiel beim Einsatz an den Außengrenzen Europas zur Abschreckung und Vertreibung von Geflüchteten. Doch im Alltag sind wir alle prinzipiell betroffen – durch Propaganda und manipulative Botschaften, die uns überall und jederzeit über unsere Smartphones erreichen können. Wir befinden uns inmitten eines globalen Informationskriegs.
Wie bist du persönlich auf das Thema „Klang als Waffe” gekommen?
Eine traumatische Erfahrung in meiner Jugend hat mein rechtes Ohr nachhaltig verletzt, wovon ich einen bleibenden Hörschaden davongetragen habe. Ich spreche hier nicht von den typischen Folgen von Clubbesuchen, auch wenn diese natürlich auch einen Großteil meiner Jugend prägten. Ursprünglich wollte ich Maler werden und habe mein Studium an der Universität der Künste in Berlin mit Malerei begonnen. Mein geschädigtes Ohr brachte mich dazu, mich zunehmend mit dem Hören und der Wahrnehmung von Klang auseinanderzusetzen. Jenseits dessen inspirierte mich die Idee, Musik als kulturelle Waffe des Widerstands zu verstehen und zu nutzen.
Was hat dich dazu inspiriert, die Soundinstallationen Panzer und The Mantis in Gegenüberstellung zu präsentieren? Welche Bedeutung trägt diese Konfrontation in der Ausstellung, und welche Botschaft möchtest du damit vermitteln?
Bevor ich The Mantis gebaut habe, stieß ich bei meiner Recherche auf eine Abbildung des Studio am Stacheldraht aus den Sechzigerjahren. Dabei handelte es sich um eine mit Lautsprechern ausgestattete Sendeeinheit auf Rädern des RIAS, des Rundfunks im amerikanischen Sektor, die konfrontativ einem weiteren Lautsprecherwagen auf der anderen Seite der Berliner Mauer gegenüberstand.
Zuvor kannte ich Lautsprecherwettbewerbe nur aus dem Kontext von Car-Sound-Clashs oder den Clashs der jamaikanischen Soundsystems. Diese Entdeckung lenkte meinen Fokus auf die Instrumentalisierung von Soundsystemen während des Kalten Krieges. Was zunächst wie ein reiner Zufall erschien, erwies sich als eine spannende Parallele zu den jamaikanischen Soundsystem-Clashs, bei denen auch akustische Auseinandersetzungen eine Rolle spielten. Beide Phänomene – die Berliner Lautsprecherwagen und die Reggae-Soundsysteme – waren in akustische Stellvertreterkriege verwickelt, in denen rivalisierende Großmächte um die globale Durchsetzung ihrer Ideologien kämpften. Diese Geschichte wird in der Installation The Mantis erzählt.
Was war dir bei der Inszenierung der Installation besonders wichtig und wie bist du mit den spezifischen akustischen Gegebenheiten des Raums umgegangen? Gab es Anpassungen am Klang oder an der lokalen Akustik, um die gewünschte Wirkung zu erzielen?
Die Installation wurde bereits zum zweiten Mal aufgebaut. Anders als bei der Premiere im KINDL, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst in Berlin, wo eine Tageslichtsituation herrschte, wollte ich im MHM eine dramatischere Atmosphäre schaffen. Die Objekte befinden sich quasi freigestellt in einem dunklen Raum, in dem die Besucher:innen von der Szene absorbiert werden sollen, um sich vollkommen auf das 43-minütige Hörstück einzulassen. Um einen optimalen Raumklang zu erzielen, haben wir die Ausstellungshalle von rund 670 Quadratmetern mit verschiedenen akustischen Maßnahmen ausgestattet – darunter absorbierende Paneele, Dämmmaterial und fünf Meter hohe Bassfallen.
Welche emotionalen und kreativen Herausforderungen hast du während des künstlerischen Prozesses erlebt?
Die Arbeit besteht aus vielen komplexen Bausteinen, die sich auf verschiedenen Ebenen entwickelten. Panzer und The Mantis sind komplexe Soundsysteme, die vollständig im Eigenbau entstanden sind. Es hat mich drei bis vier Jahre gekostet, um eine dieser Skulpturen zu entwickeln. Neben der Lautsprecherbauweise und dem dezidierten Klangbild mit erweitertem Tiefbassspektrum besitzen die Objekte auch auf rein skulpturaler Ebene eine hohe assoziative Kraft. In gewisser Weise ist es ein Spagat zwischen künstlerischer Arbeit und Ingenieurswesen. Das Hörstück hingegen hat mich auf einer ganz anderen Ebene gefordert – im Sinne von Archivarbeit und Musikproduktion. Das Audio-Essay entstand in enger Zusammenarbeit und in einem sehr komplexen Prozess mit Jessica Edwards alias Ms. Haptic, Backing Vocalist auf Kode9s Album Memories of the Future von 2006 und Stimme des Audint-Projekts Martial Hauntology, die das narrative Element geschrieben und eingesprochen hat. Zusätzlich wurden Freestyles des ehemaligen Big-Dada-Künstlers Infinite Livez integriert. Ein Werk dieser Art entsteht niemals allein.
Deine Installationen können viszeral und mitunter beängstigend wirken – wie bist du mit diesen psychologischen Dimensionen umgegangen?
Ich finde eher die Welt und ihre Feindseligkeit beängstigend. Auch wenn meine Arbeit viele dystopische Elemente beinhaltet, kann man ihr dennoch Hoffnung abgewinnen.
GROOVE präsentiert: Schizo Sonics – Klang als Waffe im Kalten Krieg
29. November bis 2. März 2025
Militärhistorisches Museum Dresden
Der Eintritt ist kostenlos. Weitere Informationen zum Programm sind auf der Webseite des Militärhistorischen Museums verfügbar.