Black Merlin – Transmigration Mixtape 01 (Transmigration)
Gonzo Goa – Party Music ’87 – ’94 ist zweifelsohne eine der prägenden Compilations des bisherigen Jahres. Auf ihr findet sich Musik, die zwischen den Jahren im Titel entstand, an den Stränden Indiens Openairs beschallte und das mitbegründete, was später als Goa zu einem prägenden Genre der elektronischen Tanzmusik werden sollte. Wer jetzt hochgeschwindiges Gedüdel erwartet, das an formvollendeten Psytrance erinnert, wird glücklicherweise eines Besseren belehrt. Führt man sich den aktuellen Zustand von House mit all seinen psychedelischen Einschlägen vor Augen, klingt die Compilation vielmehr ungemein kontemporär und für jeden Rave abseits der ganz großen Festivalbühnen geeignet.
Selbiges gilt für Black Merlins Set, das auf der Release-Party der Compilation mitgeschnitten wurde und deren Tracks und einen noch größeren Fundus an frühem Goa-Fundament in die Gegenwart überführt. Über 93 Minuten hinweg betören einfache, aber effektive Synths, unter denen sich zumeist Basslines finden, die erst auf dem Floor ihr zwingendes Potenzial entfalten. Das bedeutet aber nicht, dass George Thompson, wie Black Merlin bürgerlich heißt, auf dem ersten Mixtape des ebenfalls der Bewusstseinserweiterung verpflichteten Labels Transmigration hyperaktiv Trance- und Prog-Granaten aneinanderreiht: Die Urgewalt dieses Sets generiert sich aus einem konstanten Fluss, eben ganz dem Goa-Erbe verpflichtet – sofern man Country & Westerns Wahnsinnsnummer „Reincarnation” nach etwas über 20 Minuten mal ausklammert. Maximilian Fritz
CCL – Primavera Sound Barcelona x Cupra (Boiler Room)
Im Rahmen der diesjährigen Ausgabe des Primavera Sound präsentiert CCL ein zauberhaft buntes Set aus breakigen Garage-Trance-Stücken, kombiniert mit modernen Bass-Tracks im Batu-Stil, antreibenden Tribal-Grooves und alten Rave-Hymnen wie DJ Irenes „Do Both Jay and Jane”. Die besonderen Momente entstehen immer dann, wenn CCL mit bewusstem Risiko mutig und schnell den nächsten Track reinmixt und so ein magischer, flüchtiger Moment entsteht.
So lässt dieser Boiler Room immer wieder durchschimmern, mit welcher Brillanz und welchem Feingefühl CCL stilsicher und routiniert auflegt. Sie jongliert mit Genres, Rhythmen und Harmonien, als gäbe es keine Genregrenzen. Herauskommt ein erfrischender Boiler Room für DJ-Nerds, dem das Kunststück gelingt, auch für Tänzer:innen und alle anderen Musikliebenden spannend zu sein. Vincent Frisch
Käthe & Haes – The Zissou Show 010 (Zissou Records)
In der zehnten Ausgabe der Zissou Show bekommen die Hamburger Labelmacher David Bay & DJ Dreams Verstärkung aus München. Ein Nord-Süd-Gefälle gibt es nicht, liegen doch Käthe & Haes musikalisch mit ihrem Sound aus Disco und House auf einer Linie mit den Betreibern von Zissou Records. Entsprechend schickt das Münchner DJ-Duo sonnig warme Grooves aus der nördlichsten Stadt Italiens in die regnerische Hansestadt, die mit Altona die vormals südlichste Stadt Dänemarks eingemeindet hat.
Zu Beginn knistert es schön, und „Bootman” von Ross From Friends erklingt verträumt. Ab jetzt ist der All-Vinyl-Mix angelaufen. Eine gute Stunde servieren Käthe & Haes Grooves wie „Show Me The Way” von HDSN, „Diving Into Minds” von Soichi Terada & Masalo oder „Won’t U Take Me” von Cinthie. Mit den lässigen House-Beats passt das Set auf Isar-Terrassen und alle anderen Sonnendecks. Es treffen sich Wesens- und Musikverwandte: Das einsilbig-norddeutsche Gemüt bekommt etwas vom Münchner Savoir-vivre, das in Schwaben sein maulfaules Pendant kennt. Als in Pinneberg geborener Holsteiner sage ich: „Mhh, doch!” – im wortkargen Regiolekt eine ausgesprochene Wertschätzung. Fabian Starting
Miss Melera – Colourizon 130 (Colourizon)
„Like the sun colours the sea, music colours life” – Mit dieser Weisheit betreibt Miss Melera seit 2012 die Radioshow Colourizon. Zu hören gibt es hier atmosphärischen bis progressiven House zum Augenverdrehen. Dass dies nicht im negativen Sinne gemeint ist, beweist der Mix eindrucksvoll, wenn man die Augen schließt und versucht, sich mit seinem dritten in Verbindung zu setzen – so etwas wie ein Meditationsorgasmus für die Seele.
Die Tracklist ist so aktuell, wie sie nur sein kann. So finden sich brandneue Veröffentlichungen von Stratoverb, Sascha Braemer oder Mitch de Klein im Mix und untermauern den zeitgemäßen Anspruch der niederländischen DJ. Die episch anmutenden Sounds und Übergänge funktionieren gar wie ein Filter, der selbst schlechtes Wetter überspielt und die innere Sonne strahlen lässt. Anfang des Monats krachte noch das Sturmtief Poly über Norddeutschland und sorgte für Verwüstung. Miss Melera beruhigt dagegen mit Polyphonie und serviert ein Stimmungshoch für schlechte wie für gute Tage. Johannes Hartmann
Sisi & Gero – H.A.N.D. Mix 043 (Sound Metaphors)
Ganze 43 Liveaufnahmen der Partyreihe H.A.N.D. wurden mittlerweile veröffentlicht. Die Party wird vom Berliner Plattenladen Sound Metaphors veranstaltet und gilt als Geheimtipp. H.A.N.D. ist ein Kosmos, in dem DJs immer wieder beweisen, wie tanzbar obskure Disco-Platten, Lovers Rock und Italo Disco sein können.
Der neueste Mix von Sisi & Gero ist dabei keine Ausnahme. Er besteht aus nicht identifizierbaren Raritäten, die gute Laune verbreiten und gerne auch mal ein Grinsen hervorrufen können, denn die Lyrics auf den skurrilen Disco-Tracks sind oft unernst und trashy – „Ich will die U-Bahn kaufen, das wäre schön / den Bahnhof aus Kristall, ihr werdet schon sehen / mit dem Kindergeld, mit dem Kindergeld.” Bei allem Humor gehen die schönen und berührenden Momente, die Disco auslösen kann, nicht verloren. Immer wieder finden sich wunderbare Harmonien, die das so überraschende, abwechslungsreiche Set eben zu dem machen, was es ist – ein perfekter Sommer-Mix. Stephan Gilgenreiner