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Matthew Herbert: „Was würde das Pferd wollen?”

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Er war in seiner Vergangenheit bereits House-Erneuerer, Big-Band-Innovator und schließlich Konzeptkünstler. Der 1972 geborene Matthew Herbert begann in den Neunzigern seine große Zeit mit puristisch klackerndem House, der wie im prominenten Fall von „It’s Only” aus dem Jahr 2001 auch DJ Koze zu fantastischen Remixen anregte. Wir erinnern uns an die groteske Niedlichkeit eines verschmusten Bienenkindes, in die Koze die Stimme von Sängerin Dani Siciliano verwandelte.

Mit Goodbye Swingtime begann schließlich die Big-Band-Ära, die der inzwischen auf einem Bauernhof in Kent im Osten Englands lebende Künstler mit dem Album The State Between Us wieder aufleben ließ. Letztgenannte Stück-Sammlung spiegelt gleichzeitig Herberts längst begonnene konzeptuelle Phase: Manifeste, Themen-Alben, deren Legitimierung im Hinterfragen des menschlichen Alltagslebens liegt, die künstlerisch nur sehr wenig mit Pop zu tun haben und dennoch immer wieder verspielt klingen.

Eine Performern hält bei Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober den Pferdeschädel. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)
Eine Performern hält bei Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober den Pferdeschädel. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)

Für sein Album The Horse knüpft Matthew Herbert an seine konzeptionellen Aufnahmen an. Im Zentrum steht die Vertonung eines Pferdeskeletts. Dafür suchte sich der Musiker online eines aus. Er nahm das London Contemporary Orchestra mit in den Schaffensprozess, das unter der Leitung von Robert Ames vor allem für seine Arbeiten zeitgenössischer, klassischer Musik bekannt ist, ebenso jedoch mit John Cale, Frank Ocean, William Basinski oder Radiohead zusammengearbeitet hat.

Herbert im April 2023 bei Proben für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. (Foto: Presse)

Herbert lud dazu mehrere Instrumentenbauer ein – und einige großartige Jazz- und JazzNotJazz-Leute wie Edward Wakili-Hick von Kokoroko, Seb Rochford von Polar Bear, Theon Cross und Shabaka Hutchings von den Sons Of Kemet oder den Pianisten Danilo Pérez, der regelmäßig mit dem jüngst verstorbenen Wayne Shorter spielte.

Mit dem Album betreten der Künstler und seine Mitstreiter:innen das Terrain der spekulativen Archäologie, also jener Wissenschaft, die aus spärlichen Funden zu ermitteln versucht, wie die Menschen zu bestimmten Epochen lebten. Hier: wie sie Musik machten. Und wie die Musik überhaupt entstanden sein könnte.

GROOVE: Hallo Matthew. 

Matthew Herbert: Hi Christoph, wie geht’s? 

Danke, gut. Wie geht es dem Pferdeskelett?

(lacht) Dazu habe ich eine komplizierte Beziehung. Es bedeutet mir sehr viel. Doch es ist ein Problem. Wie ich es unterbringe, wie es riecht.

Wie riecht es denn? 

Ein bisschen wie ein Fleischmarkt am Ende des Tages.

Das Pferdeskelett während der Aufnahmen (Foto: Presse)
Das Pferdeskelett während der Aufnahmen (Foto: Herbert)

Stechend?

Ja, ich habe mich jetzt allerdings daran gewöhnt. Inzwischen mag ich den Geruch sogar. Doch das hat gedauert. Wir hatten kürzlich unsere erste Probe. Deshalb ist das Skelett jetzt in Flight-Cases untergebracht. Das sind 205 oder 206 Knochen, manche sehr, sehr klein, wie zum Beispiel die Schweifknochen. Ich hatte schon Angst, ein paar davon zu verlieren. Gleichzeitig weiß ich noch nicht, ob ich mir einen Experten leisten kann, der die Knochen zu einem Skelett zusammenbauen kann.

Das Pferd ist eine Provokation, wenn ich es als meinen Besitz ansehe. Müsste ich es beerdigen? Ist es mein Pferd? Gehört das Pferd sich selbst? Wo sollte es verweilen?

Aus dem Becken des Pferdes wird ein Saiteninstrument (Foto: Presse)
Aus dem Becken des Pferdes wird ein Saiteninstrument (Foto: Herbert)

Ich habe viel Respekt gegenüber dem Pferd aus dem Album herausgehört. Du machst zwar Musik aus der menschlichen Perspektive; wie das Pferd sich mit der menschlichen Evolution entwickelt hat, wie aus einem Skelett Musikinstrumente gebaut werden, wie Pferderennen veranstaltet werden, wie die Tiere zum Militär- und Polizei-Einsatz herangezogen werden. Und doch steht auf The Horse nicht der Prozess der Zivilisation und damit einhergehend jener der Dressur im Vordergrund, sondern der Respekt vor dem Mitwesen.

Danke, das ist mir sehr wichtig. Denn „Was würde das Pferd wollen?” ist meine wichtigste ethische Fragestellung im Prozess gewesen. Das Pferd möchte doch respektiert werden; möchte, dass man sich an es erinnert.

Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)
Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)

Ich habe sogar einen Betonmischer gekauft, um die Knochen reinzuwerfen und aufzunehmen, wie rotierende Pferdeknochen in einem Betonmischer klingen. Beim Reinwerfen verletzte ich mir jedoch das Fußgelenk und war gezwungen, eine Pause einzulegen. Das war ein Wink des Schicksals. Ich ließ das mit den Knochen bleiben und warf dann Pokale und Medaillen von Pferderennen rein. Wir könnten jetzt also sechs Stunden lang über Ausbeutung reden. Denn darüber habe ich im Zuge der Aufnahmen viel gelernt. Ich lebe auf einer Farm und sehe Ausbeutung überall und zu jeder Zeit: Die Hühner essen die Baby-Mäuse, der Fuchs isst die Hühner. Die Menschen haben diese Idee übernommen und beschleunigt. Ich reflektiere das, dennoch will ich etwas machen – ich möchte diese Knochen in Musik verwandeln.

Matthew Herbert mit Pferd (Foto: Eva Vermandel)
Ein Pferd (nicht DAS Pferd) atmet Mathew Herbert an (Foto: Eva Vermandel)

„Musik ist heute so etwas wie Müll: über 100.000 Tracks werden an einem Tag bei Spotify hochgeladen, es würde über ein Jahr dauern, sie ohne Pause zu hören”

Matthew Herbert

Was mir dabei klar wurde: Wir hätten keine Musik, hätten wir die Tiere nicht. Felle für Trommeln werden aus Tierhaut gemacht und Streichbögen aus Tierhaaren. Wir haben diesen Dialog mit dem Reich der Tiere. Es ist traurig, dass wir dieses Opfer bringen müssen, aber auch ein interessanter Reiz. Gerade, wo Musik heute so etwas ist wie Müll: über 100.000 Tracks werden an einem Tag bei Spotify hochgeladen, es würde über ein Jahr dauern, sie ohne Pause zu hören. Und wenn ich wollte, könnte ich eine AI eine Million Pianostücke schreiben lassen, damit es im Restaurant angenehm klimpert. Es geht also um Verantwortung.

Auch auf diesem Pferderennen hat Mathew Herbert Aufnahmen für sein Album gemacht (Foto: Presse)
Auch auf diesem Pferderennen hat Mathew Herbert Aufnahmen für sein Album gemacht (Foto: Herbert)

The Horse ist nicht dein erstes Themenalbum. Du hast schon eins über den Brexit gemacht und über ein Schwein. Doch was mir an The Horse im Unterschied zu diesen Alben gefällt: es erzeugt keine vorgefertigten Bilder. Wie hast du entschieden, die Aufnahmen um das Skelett eines Pferdes herum anzusetzen?

Gute Frage. Das weiß ich nicht. Das Brexit-Album [Anm. des Autors: The Matthew Herbert Brexit Big Band – The State Between Us] stürzte mich ich in eine kleine Krise. Es waren über 1000 Menschen aus ganz Europa involviert. Und doch war das Medieninteresse gering, so wie das Interesse der Musikindustrie zuvor. Das führte dazu, dass ich mich verloren fühlte. Der Brexit war eine große Herausforderung, mit all den Kack-Mythologien über das, was britisch ist. Es ist schwierig, wenn du drei Jahre Zeit mit etwas verbringst, das dann niemanden interessiert. Dann kam Corona, und ich machte Film- und Serien-Musik. Das war wichtig, um mein Geld zu verdienen. Doch im Zuge der Auftragsarbeiten verspürte ich nach und nach das Gefühl, meine künstlerische Identität zu verlieren.

Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)
Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. (Foto: Presse)

So sprach ich Christian Kellersmann an, auf dessen Label Modern Recordings bei BMG The Horse nun erscheint. „Ich möchte etwas machen, das die Leute zusammenbringt, nachdem der Brexit so ein spalterisches Thema war”, sagte ich ihm. Rhythmus ist ein super Werkzeug dafür, Leute zu vereinen. Ich wollte aber auch ein Orchester, und eines Morgens wachte ich auf und hatte die zusätzliche Idee, ein Tierskelett vertonen zu wollen. Drei Tage später habe ich dieses Pferdeskelett auf eBay bestellt.

Das Pferdeskelett auf Ebay (Foto: unbekannt)
Das Pferdeskelett auf eBay (Foto: Unbekannt)

(Zeigt das Foto): Das war das Foto auf eBay. Als ich es sah, dachte ich: Das sieht ja aus wie Musik! Ich legte einfach los, Arbeitete mit vielen Kollaborateur:innen. Ich buchte eine Session mit Shabaka Hutchings und sagte ihm, ich hätte vier Flöten, die aus den Beinen gemacht worden waren.

Matthew Herbert und Sam Underwood befestigen Knochen und andere Körperteile des Pferdes an der Mammoth Beat Organ, um mechanische Rhythmen zu erzeugen (Foto: Presse)

Das ist eine wichtige Frage: Ihr habt also tatsächlich Instrumente aus diesem Skelett bauen lassen?

Ja. Henry Dagg wohnt bei mir in der Nachbarschaft, er hatte mir bereits Instrumente für das Pig-Album gebaut. Für The Horse hatte er zunächst Probleme und meldete sich schon mit einem „Ich kriege es einfach nicht hin, Matthew”. Doch dann nutzte er Bienenwachs, und es klappte. Genauso ging es Shabaka, als ich ihm die Flöten brachte. Auch er wollte schon aufgeben. Doch er gab sich nochmal zehn Minuten Zeit, und nach vielem Ausprobieren klang es fantastisch. Ich sagte ihm: „Stell’ dir vor, du bist der erste Mensch, der vor 53.000 Jahren die Idee hat, diesem Knochen Klänge abzugewinnen. Wie würde sich das anfühlen?” Ich machte dasselbe mit dem Orchester und gab vier Spieler:innen vier Flöten. Sie begannen damit, die Zungen im Mund rotieren zu lassen, und das leuchtete mir sofort ein. Natürlich würde ich das machen, als erster Musiker vor 53.000 Jahren! Ich sah eine Szene vor mir: Diese Menschen haben diese Knochen gefunden und riefen die anderen: „Kommt herbei!”

Eine Performern hält bei Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober den Pferdeschädel. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)
Eine Performern bei Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. (Foto: Presse)

Diese Szene bauten wir aus. Bewusst nichts zu wissen, den Moment festzuhalten, das wurde zu unserem Leitbild. Das war für mich die Alternative zu diesem kolonialistischen Komponisten-Scheiß, etwas zu schreiben und es dann von einem Orchester aufführen zu lassen. Es ist ja auch schwierig, an das Pferd zu denken und nicht gleichzeitig an die Monarchie. Jemand hat mich in diesem Zusammenhang gefragt, ob ich dem Pferd einen Namen gegeben habe. Doch ich denke, das ist nicht meine Sache.

Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)
Foto: Presse

Neben Shabaka Hutchings hast du mit weiteren Leuten, die zur Zeit Momentum haben, zusammengearbeitet. Doch sie machen ganz andere Dinge als die, für die man sie kennt. Wie hast du sie vorbereitet?

Ganz unterschiedlich. Du brauchst jedes Mal einen anderen Prozess. Es gibt auf The Horse eine Dimension der Stücke, die die Evolution der Musik aufzeigt; von Knochenflöten zur Elektronik. Und damit einhergehend demonstrieren wir die Geschichte der Entwicklung von Instrumenten. Genauso ist es aber auch eine Geschichte der musikalischen Techniken.

In der zweiten Orchester-Session nutzte ich Ableton und bat um ein Geräusch, ein Pizzicato. Daraus entstanden 100 Loops, Layer über Layer. Das war nicht meine Entscheidung. Sie entstand aus dem, was die Percussionist:innen und das gesamte Orchester taten. Diese Evolution war mir genauso wichtig wie die der Instrumente. Fast jedes Stück wurde anders komponiert. Nur bei der Aufnahme von Danilo Pérez, dem Pianisten von Wayne Shorter und anderen einflußreichen Jazz-Musiker:innen, war ich nicht dabei. Ich bat ihn darum, zu zeigen, wie er mit einem Pferd interagieren würde. Und gab ihm ein paar Akkorde. Er machte zwei Takes, und das war’s. Das ist das letzte Stück auf der Platte,The Horse Is Here”.

Matthew Herbert bläst Luft durch die Knochen, um Geräusche zu erzeugen (Foto: Presse)
Matthew Herbert bläst Luft durch die Knochen, um Geräusche zu erzeugen (Foto: Herbert)

Bei der Sounddesignerin Rana Eid aus Beirut bat ich um einen Safe Space für das Pferd – Gras, Wasser, einen kleinen Fluss. Ich legte nur eine Beschreibung vor, und sie entwarf das Ganze. Der Prozess sollte so experimentell sein wie die Komposition. Sie muss immer in Bewegung sein. Und wenn etwas schief läuft, dann kann das ebenso seine Berechtigung haben. In „The Rider (Not the Horse)” ist fast alles perfekt, und zwar deshalb, weil wir das Pferd außer Acht ließen. Wir hatten es in diesem Prozess vergessen und landeten genau dort, wo wir niemals landen wollten, bei einer Art Humans first!. Und deshalb klingt das so anders. Dennoch blieb es auf dem Album.

Aus dem Becken des Pferdes wird ein Saiteninstrument (Foto: Presse)
Aus dem Becken des Pferdes wird ein Saiteninstrument (Foto: Herbert)

Zu Anfang heißt es in einem Tracktitel, das Becken des Pferdes sei eine Leier. Hat der Instrumentenbauer etwa auch eine Leier aus dem Skelett gebaut?

(holt die Leier und zeigt sie mit stolzem Lächeln) Ich sah das Becken des Pferdes und dachte, es sieht aus wie eine Leier. Das hier sind Saiten aus Ziegenhaaren. Jali Bakary nahm sich ihrer an, er ist ein Kora-Spieler und hat das wunderbar gemacht. Auch bei ihm hört man, wie er sich langsam mit dem Instrument vertraut machen muss. Skills, Schönheit, Kontrolle, Resonanz, wie er die bei der Aufnahme hingekriegt hat!

Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. Mit dabei sind ein Orchester, Percussionist:innen, elektronische Musiker:innen und Schauspieler:innen. Konzert, Ritual und Theater werden vermischt. (Foto: Presse)
Proben im April 2023 für Live-Veranstaltungen im August und Oktober. (Foto: Presse)

Die besondere Schönheit deines Albums erinnert mich an eine Schlüsselszene der Menschheit. An die Höhlenzeichnungen, für die Entwicklung der Künste ebenso relevant wie für die anderen grundlegenden Bedürfnisse, etwa Jagen, damit ich etwas zu essen bekomme. Das Album ist damit auch so etwas wie ein Neuanfang.

Ich habe einige paläolithische Höhlen besucht, um dort Klänge aufzunehmen, und dort mehrere lebensverändernde Erfahrungen gemacht. Unsere Reiseführerin sagte nach meinem Besuch in El Castillo, einer der Höhlen in der Region Bilbao, etwas Großartiges:  „Wir wissen immer noch nicht mehr, als diese Leute wussten.” Besonders ging es in ihrer Aussage um das Leben nach dem Tod. Das war für mich eine tiefgreifende Offenbarung.

In diesen neolithischen Höhlen im Norden Spaniens wurden die ältesten Pferdedarstellungen entdeckt (Foto: unbekannt)
In diesen paläolithischen Höhlen im Norden Spaniens wurden die ältesten Pferdedarstellungen entdeckt. (Foto: Unbekannt)

Was aber meinen Blick auf die Kunst komplett veränderte: Dort in der Höhle gibt es einen Pferdekörper ohne Kopf. Doch wenn man eine Kerze unter den Pferdekörper hält, erscheint er. Die Stellen in der Höhle, die für die Bilder ausgewählt wurden, wirken im ersten Moment merkwürdig. Das sind ja keine Kunstgalerien. Ein Pferd etwa hatte ein perfektes Bein. Und die Farben waren schon da, von der Höhle vorgegeben: Die Höhle zeigte ihnen, wo zu malen war. Die Menschen suchten sich also nicht aus, wo sie malten, was schon wieder kolonialistisch gewesen wäre. Es war ein Dialog mit der Höhle, und in diesem Prozess entstand die Kunst. Die Menschen antworteten auf die Form- und Farbvorgaben. Ein Teil davon ist auch im Prozess der Albumaufnahmen zu hören. Da sind die Knochen, die Technologie, der Umgang mit Zeit involviert. Das bedeutet auch, sich dem Göttlichen, dem Schamanistischen, dem Heidnischen, auf jeden Fall einer Spiritualität zu unterwerfen. Diese Trommel hier (zeigt eine Felltrommel) wurde von einem Schamanen gefertigt, und ihr Klang geht durch Mark und Bein, durch den ganzen Körper und zeigt die Verbundenheit mit der Erde und der Zukunft und der Vergangenheit.

Mathew Herbert mit einem anderen, lebendigen Pferd (Foto: Eva Vermandel)
Matthew Herbert mit einem anderen, lebendigen Pferd. (Foto: Eva Vermandel)

(hält ein kleines Objekt in die Kamera) Siehst du dieses kleine Pferd? Es wurde quasi direkt vor meiner Haustür [Herbert lebt in Herne Bay in der englischen Grafschaft Kent, die nächstgelegene Stadt ist Canterbury, d.Aut.] von Archäolog:innen gefunden, da war das Album fast fertig. Es wurde wahrscheinlich als Dank an die Gött:innen gefertigt. Also nutzte ich es als Cover-Motiv. Ich habe mich noch nie so verbunden gefühlt mit meiner Umgebung wie nach den Aufnahmen zu The Horse. Das macht das Album wohl zur realistischsten Platte, die ich je gemacht habe. Und dennoch ist sie fiktional in ihrer spiritualistischen Anlage und in ihren ausgedachten Szenerien. Es macht mich traurig, den Aufnahmeprozess zu beenden.

Erwähnte Proben im April 2023 (Foto: Presse)
Erwähnte Proben im April 2023. (Foto: Presse)

Ich bin gespannt, wie ihr das für eine Bühne umsetzt.

Wir werden im Oktober voraussichtlich in Berlin im Theater des Westens spielen und in Hamburg in der Elbphilharmonie.

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