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Mixe des Monats: Mai 2023

Dirlasion – #3 (Post-Radical Bandit Top-Notch)

Wer bei der Google-Suche nur drei Seiten zu dem Suchbegriff ausgespuckt bekommt, hat sich entweder vertippt oder womöglich einen Schatz gefunden. Mihail Stamboulis alias Dirlasion könnte wohl Letzteres sein. Zumindest klingt dieser Mix wie eine spirituelle Reise durch lange verborgene Klänge – sowas würde nur jemand sagen, der westlich geprägte Ohren hat.

Nach kurzer Zeit des Einlassens schwindet plötzlich jegliche Erwartung. Dirlasion bietet einen träumerischen Mix, der vor allem anfangs recht minimalistisch und atmosphärisch wirkt. Für alle, die schon nach dem Aufstehen ihre Existenz hinterfragen, genau der richtige Einstieg. Wer noch etwas länger bleibt, bekommt spätestens nach 20 Minuten die Magie der ethnischen Rhythmen und Klänge zu spüren. Gepaart mit einer groovy Bassline verziehen sich die Gesichtsmuskeln sogar zu einem sehenswerten Stankface.

Synthie-Arpeggios, die von einem Ohr ins andere wandern, Vocoder-Gesang oder verzerrte E-Gitarren: Die musikalische Verspieltheit und Offenheit sorgen für Überraschungen. So auch das Ende, das den Eindruck hinterlässt, als sei es das Warm-up für den nächsten Act. Für mich bedeutet das: Der Tag kann losgehen! Johannes Hartmann

FLUCC Radio w/ Sandro aka BYDL (Callshop Radio)

Munter werden. Auch so eine Sache. Wer morgens nicht in den zweiten Gang kommt, ohne sich Espresso-Kanülen in den Oberarm zu rammen: I feel you! Manchmal treibt einen nur das schlechte Gefühl aus den Federn. Oder die Blase. Oder beides. Damit ist jetzt Schluss, Ende, Frühstücksmilch! Der Wiener DJ-Producer BYDL, den manche auch Sändy nennen, schmeißt elf Scheiben auf zwei Plattenteller. Lauter knistern nur die Fruity Loops, die man sich dazu in den Rachen schaufelt.

Wer den allergrößten Mundart-Rapper aus dem Schnitzelparadies mit japanischem Guten-Morgen-Geklimper kombiniert, bei einer Auswahl an Wiener Drahtwarenhändler:innen einkehrt und im Bureau B an Spulen kurbelt, trällert anschließend voller Inbrunst: Der Frühling, der dringt bis ins innerste Mark –  beim Tauben-Vergiften im Park! Christoph Benkeser

Ryan Elliott und Ogazón – Faith Beat Presents Ryan Elliott B2B Ogazón (HÖR)

Gruppenarbeit ist eins der Dinge, die man durch die Schule entweder lieben oder hassen lernt. Sie führt Personen mit unterschiedlichem Wissensstand oftmals willkürlich zusammen, die sich dann meist nur aus dem Klassenverband kennen. Freundschaft ist dabei kein Garant dafür, Arbeit gleichmäßig zu verteilen und sie dann auch noch zu erbringen. Am besten läuft es, wenn man ähnliche Interessen hat. So geschehen beim Label-Showcase von Faith Beat mit Ryan Elliott und Ogazón für HÖR. Dort wechselten sich der Faith-Beat-Labelboss und die luxemburgische DJ mit spanischen Wurzeln an den Decks ab – und setzten in Berlins bekanntestem Badezimmer fast eine Stunde zielsicher die Nadeln auf ihre House-Platten.

Bei nicht ganz 56 Minuten Showcase bleiben rechnerisch rund 30 Minuten oder circa sechs Tracks pro DJ. Das heißt: Jede Platte muss sitzen. Entsprechend gibt Elliott die Marschrichtung mit „Galactic Alignment” von Jump ‘Chico‘ Slamm vor. Zum Einstieg gibt es eine knackige Hi-Hat und Four-to-the-floor-Drums. Diese spinnt Ogazón mit dem perkussiven „I’ve Seen You Do It” von Peace Division weiter. Wer die Muße hat, sich das ganze B2B-Set anzusehen, erlebt, wie sich beide mit sichtlicher Freude immer weiter antreiben. Am Peak gibt Ryan Elliott seinen Track „Stepmode” zum Besten. Es obliegt Ogazón, das Gemeinschaftsprojekt mit O-WellsLiquid Sun abzuschließen.

Am Ende steht eine produktive und ungemein funkige Gruppenarbeit, wie geschaffen als Warm-up für die ersten Festivals der Saison. Fabian Starting

Eluize – EPM Podcast 165 (EPM)

Das Kribbeln wird intensiver: An der Schwelle von Mai und Juni lugt die Festivalsaison schon mit mehr als einem Auge um die Ecke. Vielen Club-Veteran:innen ein Dorn im Auge, funktioniert sie für ein jüngeres, manchmal grünschnäbligeres Publikum als idealer wie – immer höhere finanzielle Hürden mal außer Acht gelassen – niedrigschwelliger Zugang zu elektronischer Musik. Mehrtägige Open Airs sind aber freilich nicht nur was für Jung-Raver:innen, sondern versprühen trotz fragwürdiger Hygiene und kritischer Schlafsituation eine ganz eigene Magie.

Genau diese fängt Eluize für die 165. Ausgabe der EPM-Podcastreihe ein. Das knapp einstündige Set klingt, als hätte es die Australierin mit Wohnsitz in Berlin ganz bewusst als Auftakt für die warmen Monate aufgenommen. Acid-Lines, die entweder zum Sonnenuntergang die lange Nacht einläuten oder während des Sonnenaufgangs über verschwitzte, sonnenbebrillte Gesichter hinwegmäandern, und die exakt richtig dosierte Menge an Trance- und Prog-Einschlägen erlauben Extrovertiertheit und Introspektion, ziellose Unbeschwertheit oder das Fokussieren auf die kommenden Stunden. Im Grunde House, intensiviert Eluize die Gangart punktuell und erreicht so die Unkompliziertheit, nach der man sich unter freiem Himmel sehnt. So wird der Sommer gut – insbesondere mit den grazilen Melodien der noch unveröffentlichten Eigenproduktionen der Künstlerin. Maximilian Fritz

Eluize – EPM Podcast 165

NYJAH – Gutterring W/Nyjah (NTS Radio)

Schon mal gehört, wie technoider Poststrukturalismus klingt? Fast kein anderes Projekt beschäftigte die Menschheit in den vergangenen Jahren so sehr wie die Dekonstruktion alteingefahrener gesellschaftlicher Strukturen, Verhaltens- und Denkweisen. Nun, abgeschnippelt, durchnässt und zerrissen, stehen wir vor dem Fransensalat – und jetzt? Die queere vietnamesische DJ-Szene liefert die Antwort: „If I enjoy the world, it will not hurt me”.

Beim Londoner NTS Radio war im Mai Nyjah aus Saigon zu Gast und schmetterte den Hörer:innen das dekonstruierte Chaos um die Ohren. Spiritueller Post-Club-Sound, der seine Hände dem Himmel entgegengestreckt und nach Erleuchtung bittet. Nyjah zeigt, dass Hyperpop langsam von den kommerziellen Selbstinszenierungen des Pop perlt und durch die Fugen in das unterirdische Gewölbe der Clubmusik sickert. Damit wird offenbart, dass Hyper nicht nur sehr gut ohne zentrales, selbstreferenzielles Subjekt auskommt, sondern dass das Ganze auch noch unglaublich Spaß machen kann. Vom Fokus auf das kreative Individuum losgelöst und neu auf dem Dancefloor lokalisiert, entwirren sich hier vielleicht die letzten Fäden des Strukturalismus: phá phách, tiến hoá và học hỏi. Sarah Neumann

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