Kaum ein Techno-Act konnte sich in den letzten Jahren so nachhaltig durchsetzen wie Hadone. Das mag damit zu tun haben, dass sein kompromisslos harter Sound ungewöhnlich lebendig klingt. Oder damit, dass der Franzose keine Scheu vor drastischen Pop-Zitaten zeigt.
GROOVE-Autorin Pia Senkel hat mit Hadone gesprochen – über gescheiterte Karriereentwürfe, die Entstehung seines existenziell aufgeladenen Sounds und darüber, dass Techno nicht immer schwarz, düster und ernst sein muss.
Ein irritierter Blick in die Kamera, eine frisch angezündete Zigarette in der linken Hand – das Video-Interview kann beginnen. Jeremy Bonnet alias Hadone sitzt in seiner Altbauwohnung in Brüssel, hinter ihm ist eine cremeweiße Wand mit dem Relief einer Stuckatur zu sehen. Mit seinem schwarzen T-Shirt, den vielen Tätowierungen auf Händen und Hals und den verwuschelten Haaren sticht der französische Producer aus dem gediegenen Setting heraus. Inzwischen wohne er mit seiner Freundin seit fast einem Jahr hier, die Wohnung diene gleichzeitig als Tonstudio und Künstleratelier für das Pärchen. Während Hadone davon erzählt, wischt er mit seiner Hand den Zigarettenrauch aus seinem Gesicht und reibt sich mit beiden Händen die Augen, als müsse er erst mal wach werden.
„Du wirst niemals in der Lage sein, in der Musikbranche zu arbeiten.”
Bonnet zündet sich eine zweite Zigarette an und erzählt von seinem schulischen und beruflichen Werdegang. Sein Englischstudium habe er nach zwei Jahren abgebrochen. Die Unabhängigkeit während des Studiums hätte ihm nicht gutgetan, gibt er unumwunden zu. Weil er in der Zeit viel malte und zeichnete, wollte er es an einer Kunstschule versuchen, doch: Hadone scheiterte am Vorbereitungskurs. Er habe schon damals lieber Musik machen wollen.
Auch bei seinem letzten Ausbildungsversuch für Sound Engineering machte Bonnet keinen Abschluss, sondern flog von der Schule. Er lacht herzlich auf, als er von seiner gescheiterten Schullaufbahn berichtet, und erinnert sich an einen Typen von der Sound-Engineering-Schule, der ihm erklärte: „Du wirst niemals in der Lage sein, in der Musikbranche zu arbeiten.”
Für Hadone habe es keinen Plan B gegeben, als er sich für die Musikproduktion entschied. Seinen Eltern sagte er: „Lasst mich versuchen, meinen eigenen Weg zu finden, gebt mir ein oder zwei Jahre. Wenn ich es nicht schaffe, werde ich einen regulären Job finden.” Dass er wirklich davon leben könnte, habe er nicht erwartet. Vor acht Jahren lud sich der damals 23-Jährige schließlich die Musiksoftware Ableton herunter – zum Weihnachtsfest mit seiner Familie. Fortan habe er sich die Produktion elektronischer Musik selbst beigebracht.
„Als ich anfing zu produzieren, bewegte ich mich zwischen Electronica, 2-Step, Future Garage und verwandten Stilen. Anschließend wollte ich mehr in Richtung Techno gehen und diesen dunklen, düsteren Techno spielen”, so Hadone. Was sich der Producer darunter vorstellte, kann man auf seinem Debüt How To Fake Success hören. Die Platte erschien auf Taapion und war der Start seiner Karriere.
Shlømo entdeckte ihn auf Instagram
How To Fake Success hätte ursprünglich auf einem anderen Label erscheinen sollen, aufgrund persönlicher Differenzen mit den Besitzer:innen sei daraus aber nichts geworden, so Hadone. Bonnet hatte Glück im Unglück, denn zuvor hatte der französische DJ Shlømo über Instagram Kontakt zu ihm aufgenommen. Shlømo gehört zu den wenigen französischen Techno-DJs seiner Generation, die in der Szene über die Landesgrenzen hinaus erfolgreich unterwegs sind. „Er hatte mich auf Instagram angeschrieben, weil er ein paar Tracks von mir gehört hatte und interessiert an mir war. Als ich ihm erzählte, dass meine EP doch nicht auf dem anderen Label erscheinen würde, schlug er vor, sie auf seinem zu veröffentlichen.”
Wenige Wochen später erschien der Track. Plötzlich schenkten ihm auch andere Labelmacher:innen und DJs Aufmerksamkeit. „Sobald man die Bestätigung durch einen großen Namen der Szene hat – wie bei mir durch die Veröffentlichung auf dem Label von Shlømo – fangen die anderen an, sich mit einem zu beschäftigen und auf einen zuzugehen. Das ist eine Art soziale Bestätigung. Mein Sound hatte sich zu dem Zeitpunkt nicht verändert, ich habe immer noch die gleiche Musik gemacht. Aber die Leute waren der Meinung, dass sie jetzt – nach der Veröffentlichung – anfangen könnten, mit mir zu sprechen.”
Nach dem ersten Solo-Release startete Shlømo mit Hadone ein gemeinsames Projekt. Die Idee für Viper Diva sei ihnen in einer Hotelbar eingefallen, so Bonnet. Vor einer Taapion-Labelnacht nahmen sie in diesem Hotel ihren bekanntesten Track „Born to Be Slytherin” auf, dessen Titel ihm im Gespräch entfallen ist. Daraufhin starteten sie zusammen ein Label: Saike.
„Ich hatte Glück, dass ich überhaupt noch zurückfliegen konnte.”
Hadone zündet die dritte Zigarette an. Nach seinem ersten Erfolgshit habe Bonnet angefangen, mit einem Agenten zu arbeiten und die ersten Live-Auftritte zu spielen, bis die Pandemie die gesamte Branche lahmlegte. „Es war seltsam. Zwei Jahre lang veröffentlichte ich Tracks, steigerte meinen Bekanntheitsgrad und etablierte mich in der Szene. Als der erste Lockdown kam, hätte ich zum ersten Mal in Südamerika spielen sollen und war schon in Argentinien. Ich hatte Glück, dass ich überhaupt noch zurückfliegen konnte”, erzählt Bonnet und meint: „In dem Jahr hätte ich auch auf meinem ersten Festival auftreten sollen. Ich war super frustriert und hatte Angst, dass der Hype und alles, was ich mir die Jahre zuvor aufgebaut hatte, durch die Pandemie zerstört werden würde.”
Rückblickend habe die Lockdown-Zeit aber auch etwas Positives ausgelöst. Während Hadone vor der Pandemie verstehen wollte, was das Publikum von ihm erwartet, habe ihn die Zeit der Veranstaltungsverbote zum Nachdenken angeregt. Dadurch habe der Producer begriffen, welche Musik er machen will, ohne auf Trends oder die Wünsche der Fans eingehen zu müssen. Sein Sound habe sich aber schon früher von düsterem Bunker-Techno wegbewegt. Deshalb haben sich Shaun, so Shlømos Vorname, und er auch für das Ende ihres gemeinsamen Projektes Viper Diva entschieden. „Shaun ist musikalisch in eine andere Richtung gegangen, seine Musik wurde härter und schneller als meine. Während manchen Sets habe ich mein eigenes Zeug und Shauns aufgelegt. Das hat für einen komischen Vibe gesorgt”. Viper Diva führt Shaun mittlerweile alleine weiter.
„Ich will kein DJ sein, der 20 Gigs pro Monat spielt.”
Die vierte Zigarette ist angezündet. Bonnet zieht den Rauch tief in die Lunge, bevor er anfängt, von seinen Erfahrungen in diesem Jahr zu erzählen. Es war sein erster Sommer mit regelmäßigen Bookings, eine ebenso erfüllende wie herausfordernde Zeit: „Mir wurde klar: Ich will kein DJ sein, der 20 Gigs pro Monat spielt, wie beispielsweise Shlømo. Ich glaube nicht, dass ich das könnte, weil ich eher Produzent als DJ bin. Das sind zwei verschiedene Jobs”, so Hadone. Heute wisse er mehr über sich und wie er seine Karriere gestalten möchte. „Ich ziehe es vor, weniger Auftritte zu absolvieren und weniger Geld zu verdienen, dafür aber eine bessere Lebensqualität zu haben.”
Hadone nimmt sein Handy zur Hand und überschlägt bei einem Blick in den Kalender, wie viele Gigs er 2022 gespielt hat. Ungefähr 100 seien es gewesen, also zwei bis drei pro Woche. Anschließend zieht er eine schwarze Kuscheldecke, die über seinen Beinen liegt, etwas höher, sodass seine tätowierten Unterarme zugedeckt sind. Er lehnt sich zurück und fährt sich mit seiner rechten Hand über den Hinterkopf, als müsse er sich in dem Moment von der Anstrengung des Jahres erholen.
Bonnet wolle sich selbst herausfordern, aber die Erwartungen nicht zu hoch setzen. Deshalb lege er ein Ziel nach dem anderen fest. Sein Erstes sei ein Release auf einem Label gewesen. Er habe sich gezielt Labels ausgesucht, mit denen er zusammenarbeiten wollte. Alle paar Monate setzt er sich jetzt mit seinem Agenten zusammen und definiert immer wieder neue Ziele: ein neuer Track, ein neues Label, ein neuer Club oder ein neues Festival. Auch das Berghain, in dem er mittlerweile zweimal auflegte, und das Awakenings in den Niederlanden, auf dem er dieses Jahr sein Debüt feierte, standen auf seiner Wunschliste.
Ein Best-of der letzten eineinhalb Jahre
Mittlerweile qualmt die fünfte Zigarette. Zeit, um über seine neue LP zu sprechen. „Ich habe die Tracks auf What I Was Running From nicht alle mit demselben Mindset produziert, wie es bei einem Album vielleicht üblich ist”, sagt Hadone. „Trotzdem habe ich versucht, die Tracklist logisch anzuordnen und einem Pfad zu folgen.” Er sehe die LP deshalb wie ein Best-of dessen, was er die letzten zwei Jahre gemacht habe, als Demonstration der Evolution seines eigenen Sounds, erklärt Bonnet.
Diese Evolution kann man auf What I Was Running From in jedem Track nachempfinden. Auf der LP sind nicht nur reine Technotracks zu hören. Bonnet hat in den letzten Monaten seinen persönlichen Sound entdeckt und weiterentwickelt. Das spiegelt sich auf der LP wieder: „Ich habe versucht, verschiedene BPM-Zahlen und verschiedene Energien zusammenzuführen”, so der Producer.
„Ich glaube, ich habe einen Namen gefunden.”
Anders als bei seinem letzten Album wechseln sich die Genres abrupt ab. Auf das Industrial-Stück „Sonar” folgt eine Deep-Melodic-Techno-Nummer wie „Nobodies Oscillation”. Als ich ihn frage, wie er die Titel der Songs auswählt, ascht er in den Aschenbecher neben sich, beobachtet dabei seine eigene Handbewegung und beginnt zu grinsen. Seine Tracknamen hätten manchmal eine tiefgründige Bedeutung, so Bonnet. Manchmal wähle er sie aber nur zufällig – zum Beispiel nach Gegenständen, die er gerade auf seinem Tisch sehe, oder Begriffen, die ihm gerade in den Kopf kämen.
Eine persönliche Geschichte verbirgt sich hinter Was Max A Character From Jojo, dem letzten Track auf der LP. „Max ist der Typ, der den Namen für mein Label erfunden hat, mein alter Agent aus der RAW-Agency”, so Bonnet. „Wir waren auf einer Party, als er mir erzählte, dass er gerade den Song ‚Things We Never Did’ entdeckt hatte, ein Song von einer Indie-Pop-Band. In der Zeit habe ich wirklich intensiv nach einem Namen für mein Label gesucht. Als er mir den Namen sagte, meinte ich direkt: ‚Ich glaube, ich habe einen Namen gefunden.’ Also sagte ich ihm, dass ich seinen Namen in einem der ersten Releases erwähnen werde, um ihn als Namensgeber zu ehren.”
Weil Hadone die Streicher im Track aus einem japanischen Anime namens Jojo Bizarre Adventure samplet, taucht der Name Jojo ebenfalls im Titel auf. Ein Schema, das sich durch die Namensgebung weiterer Tracks von Hadone zieht: Den Song „Katy In Your Eyes” habe Hadone zum Beispiel so benannt, weil die Vocals von Katy Perry kommen.
„Techno muss nicht immer düster und ernst sein.”
Bonnet zündet sich seine sechste Zigarette an. Passend zu seinem Song mit den Katy-Perry-Vocals kommen wir auf Trance- und Techno-Remixe von bekannten Popsongs zu sprechen. Er veröffentlichte bereits vor zwei Jahren mit „Miles Away” einen Madonna-Remix. Den Song mochte er schon früher sehr: „Als ich ein Teenager war, hörte ich viel Mainstream-Musik, vor allem R’n’B. Ich bin immer noch ein großer Fan von Justin Timberlake, Timbaland, Madonna und Co. Früher war das für mich eine Art guilty pleasure, heute stehe ich dazu. Wieso soll ich nicht hören, was ich gut finde?”
Derartige Remixe seien eine Möglichkeit, Spaß und Abwechslung in die Musik zu bringen, so Bonnet. Das sehen aber nicht alle so. Als er den Track veröffentlichte, wurde er von vielen DJs kritisiert. Das sei kein Techno, sondern EDM, habe man ihm vorgeworfen. Dabei geht es ihm gar nicht darum, einem bestimmten Genre zu entsprechen. Er möchte einfach das hören und produzieren, was ihm Spaß mache. Deshalb tauche in seinen Sets seit einiger Zeit immer wieder der Song „Satisfaction” von Benny Benassi auf.
„Mir gefallen die Songs und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie jede:r kennt und vielleicht sogar etwas mit ihnen verbindet”, so Hadone. „Wenn man weiß, wie man die Songs in einem guten Moment in sein Set einbaut, kann das magisch sein – alle werfen ihre Hände in die Luft und fangen an zu jubeln und mitzusingen. Das macht einfach Spaß! In der Technoszene nehmen sich viele Leute viel zu ernst. Sie denken, alles muss düster sein und alle müssen Schwarz tragen – das sehe ich nicht so.”
Mittlerweile wisse Hadone, dass er stark von den Anfängen seiner musikalischen Karriere beeinflusst ist. Er bezeichne seinen Sound deshalb als Electronica, „weil ich viele verschiedene Stile und Künstler:innen von überall höre und mich von verschiedenen Szenen inspirieren lasse. Allerdings versuche Hadone, dem Sound eine eigene Signatur zu geben. „Ich möchte, dass die Leute einen neu veröffentlichten Track von mir hören und sofort erkennen, dass er von mir ist.”
Bonnet drückt seine letzte Zigarette aus. Sein Vorsatz für 2023: Nach 15 Jahren Raucherdasein damit aufzuhören. Ein Vorsatz, den er mit seiner Freundin teilt: „Vielleicht wird es zusammen einfacher. Vielleicht machen wir deswegen auch Schluss”, lacht er, streicht sich ein letztes Mal durch die Haare und lehnt sich entspannt zurück.