burger
burger

Jamaica: Lee „Scratch” Perry ist tot

- Advertisement -
- Advertisement -

Lee „Scratch” Perry (Foto: Fufoo Film GmbH)

Nahezu ein ganzes Jahrhundert weilte Rainford Hugh Perry, auch genannt The Upsetter, auf dieser Welt. Nun ist der Reggae-Pionier und Erfinder des Dub 85-jährig in seinem Heimatland Jamaica verschieden.

Irgendwann um 1936 formierte sich im diesseitigen Äther die Gestalt des Lee „Scratch” Perry und sollte fortan für einige der wichtigsten musikalischen Erfindungen verantwortlich gemacht werden. Seine Karriere begann in Kingston, wo er im Plattenladen eines Soundsystems jobbte. Soundsystems waren organische Gebilde, in denen DJs die damals noch teuren Platten vor Publikum spielten; Vorteil: Generatoren, Boxen und Turntables waren oft auf Wagen montiert und mobil einsatzbereit. Partys waren also leicht überall möglich, ähnlich einem modernen Rave. Anfangs spielte man dort Rhythm ‘n’ Blues, später Rocksteady. Den Ende der 1960er Jahre in Jamaica populären Rocksteady und den seit den 1950er grassierenden Ska verwandelte unter anderem Perry in eine gezügeltere Variante, den langsameren Reggae. Und daraus entwickelte er selbst dann den Dub.

Wer schonmal eine Vinyl-Single ab den 1970ern in der Hand hatte, hat sich vielleicht über die seltsamen B-Seiten gewundert, die mit „Dub Mix” betitelt waren. Das ist u.a. auf die Experimentiererei von Perry, aber auch auf Weggefährten wie Keith Hudson oder King Tubby zurückzuführen. Auf den Dub-Seiten war also Platz für Experimente, Versionen der A-Seite, bei denen vor allem der Rhythmus betont, das Reverb voll aufgedreht und zutiefst in die Sound-Effekt-Kiste gegriffen wurde. Die Ergebnisse wurden dann von DJs weiterverarbeitet. Und Perry war eben einer derjenigen, dessen Mixes den Dub-Style maßgeblich beeinflussten.

Aus dem Dub entwickelte sich der Dancehall, das intensive Remixen hat die elektronische Musik maßgeblich beeinflusst. Im Sound vom Dubstep, Ambient Dub und Dub Techno sind die jamaikanischen Wurzeln gut zu spüren. Perry kann als diejenige Person gelten, die das Klauen von Sounds zur Kunst und das Mischpult zum Instrument machte. Und in seinem Fall wurde das Pult eben auch zum Cockpit seines eigenen Raumschiffes.

Maßgeblichen Erfolg hatte er mit seiner Band The Upsetters und als Produzent solcher Größen wie Bob Marley & the Wailers oder Max Romeo. Sein Black Ark-Studio, das 1973 errichtet wurde, war Brutstätte all jener Geniestreiche und erlangte Bekanntheit unter anderem auch deswegen, weil er es nach eigenen Angaben selbst 1983 in Brand setzte. Nicht nur die genannten Marley und Romeo nahmen dort auf, auch Pop-Größen wie Paul McCartney und seine Wings oder die stark vom Dub beeinflussten Giganten von The Clash ließen sich von der magischen Atmosphäre verzaubern.

Lee Perry zog bald nach London und dann in die Schweiz. Dort eröffnete er sein zweites Studio, das sich ebenfalls – unter mehr oder weniger mysteriösen Umständen – 2015 in Rauch auflöste. Viele Künstler*innen ließen sich von ihm inspirieren. Doch auch er scheute sich nicht, quasi mit seinen eigenen Kindern, Künstler*innen jedweder Art aus dem Bereich der elektronischen Musik, zu arbeiten. Zu seinen langjährigen Begleitern zählten u.a. der Produzent Adrian Sherwood und Mad Professor. 2009 erschien der von Benicio de Toro kommentierte Film The Upsetter, 2015 unter der Regie von Volker Schaner Lee Scratch Perry’s Vision of Paradise.

Lee Perry lebte mit seiner Frau und einigen seiner Kinder in der Schweiz. Kurz vor seinem Tod wurde der Song „Life Is An Experiment” seines bald erscheinenden Albums Lee ‘Scratch’ Perry’s Guide to the Universe veröffentlicht.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Felix Leibelt über Mark Spoon: „Das war kein gewöhnlicher Typ”

Wir wollten wissen, wie sich der Autor des Podcasts dem Mensch nähert, der wie kein anderer für die Ekstase und Exzesse Neunziger steht.

Zehn Jahre Institut fuer Zukunft: „Wir hatten keinen Bock drauf, dass uns alte Leute sagen, wie wir Spaß haben sollen”

Groove+ Zum zehnten Geburtstag zeichnet das Team des IfZ ein ambivalentes Bild des Clubs – und blickt der Zukunft trotzdem optimistisch entgegen.

Der Club Macadam in Nantes: „DJs sollen bei uns am Können gemessen werden”

Groove+ Der französische Club zeigt, dass man für anständiges Feiern am Sonntag keineswegs zwingend nach Berlin fahren muss. Was ihn sonst ausmacht, lest ihr im Porträt.