Heute kennt man den Würfler besonders aus dem Weißen Hasen oder dem KitKatClub. Dabei ist der DJ, der bürgerlich Peter Michael Strube heißt, seit 50 Jahren ein Fixpunkt des Berliner Nachtlebens. In seiner Karriere kommt deshalb so einiges zusammen. Hier soll es um seine vielleicht glorreichste Zeit als Mitbetreiber, Resident-DJ und Booker im Walfisch gehen, einem der legendären Berliner Clubs der frühen Neunziger.
Zum einen war der zwischen 1991 und 1993 aktive Afterhour-Club eine der ersten Gelegenheiten in der Stadt, um die damals neuartige Techno-Musik in ihrer Sturm-und-Drang-Phase zu erleben, in der elektronische Klänge mit wüsten Pop-Takes kombiniert wurden. Zum anderen kamen in dem Club in der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Straße in Mitte Nachtschwärmer unterschiedlichster Couleur zusammen, die sonst kaum Seite an Seite auf einer Tanzfläche anzutreffen waren.
Dazu gehörten ebenso Techno-Trendsetter, die eben noch im Tresor zu Jeff Mills oder DJ Rok getanzt hatten. Schöneberger Gays, die auf den schicken Partys von Bob Young zu opulentem Disco-House Longdrinks geschlürft hatten, aber auch Prostituierte und deren Zuhälter von der Oranienburger Straße – und die berüchtigten ostdeutschen Hooligans.
Der Strippenzieher dieser Nächte, mittlerweile in seinen Sechzigern, damals Anfang dreißig, konnte schon damals auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Mit 14 verließ er sein Elternhaus, das er mit acht Schwestern teilte. Er glitt in die Obdachlosigkeit und ins Drogenmilieu ab, aus dem ihn persönliche Begegnungen mit ikonischen Figuren des Siebzigerjahre-Berlins wie Iggy Pop, David Bowie oder Nina Hagen retteten. 1975, mit 16, begann er aufzulegen. Das war aber nur eine seiner beiden Karrieren. Gleichzeitig war er als Showtänzer aktiv – unter anderem für Liza Minelli, Udo Jürgens und die Muppets, im Studio 54 in New York und im Caesars Palace in Las Vegas mit Diana Ross. Wir haben ihn insbesondere zu seiner Zeit im Walfisch interviewt, Der Würfler hat einen Mix für unsere Resident-Podcast-Reihe aufgenommen, der den Sound des Clubs in 15 Tracks abbildet.
GROOVE: Wie ist der Walfisch entstanden?
Der Würfler: Den Walfisch gab es schon in der DDR. Da war das eine Kneipe, sie hieß Zum Walfisch. Nach der Wende wurde er ein Café, dann gab es ab und zu Geburtstagspartys mit Zappa und Jauche – zwei DJs aus Ostberlin.

Wie bist du dazugestoßen?
Zappa und Jauche haben mich eingeladen, dort aufzulegen. Zunächst habe ich keine Chance gesehen, dort etwas Größeres auf die Beine zu stellen. Irgendjemand meinte dann: „Warum machst du daraus nicht einen Afterhour-Club?” Ich habe dann mit meiner Mitveranstalterin Jacqueline einen Afterhour-Club ins Leben gerufen. Jacqueline ist leider später bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Wann habt ihr angefangen?
Mitte 1991. Zwar war unser Club günstig gelegen: Der Tresor befand sich damals in der Leipziger Straße, in der Wilhelmstraße nebenan war das E-Werk, in der Köpenicker Straße Praxis Dr. McCoy und in der Wiener Straße die Turbine. Allerdings hatten wir mit dem Mauerfall Zugang zu absolut geilen Locations – dreckige, kaputte Fabriken, die das Image von Techno prägten. „Diese Stimmung werden wir nicht in den Walfisch reinbekommen”, sagte ich. Der hatte eher die Atmosphäre von einem Café. Wir müssen Vorhänge aufhängen, da muss eine vernünftige Anlage rein, schlug ich vor. Es war schwer, die vier Jungs zu überzeugen, die das Café betrieben. Damals nannte man uns die Besserwessis. Denn die Westdeutschen standen im Ruf, den Ostdeutschen zu erklären, wie die Dinge zu laufen haben. „Na, ihr immer aus dem Westen!”, haben die gesagt.
Der Dancefloor war gleich an der Heinrich-Heine-Straße?
Der Dancefloor war eine freie Fläche in dem Café direkt an der Straßenecke. Mittelpunkt war die große, lange Bar, die L-förmig durch den Raum ging. Links standen ein paar Tische, oben gab es ein Foyer. Das war’s. Hinter den Tresen haben wir ein Vestax-Mischpult hingestellt und zwei Plattenspieler. Eine Monitorbox gab es auch nicht, wir mussten in den Raum reinhören. Als ich gesagt hab‘, dass wir eine Monitorbox brauchen, hieß es wieder: „Der Wessi will mir was erzählen.” Da hatten wir immer ein bisschen Schwierigkeiten.

Wann habt ihr dann angefangen?
Ich hab‘ gesagt: Macht ihr eure Geburtstagspartys, ich fange dann Samstag morgen um 5 Uhr an. Dann haben die gesagt: „Was soll das werden?” „Warte doch erst mal ab, das muss sich rumsprechen”, habe ich gesagt. Am Anfang war es tatsächlich schwierig. Aber die Leute, die im Tresor oder E-Werk auf Pille, Speed oder Koks waren, die wollten nicht nach Hause. Die hatten den Drang, weiterzumachen, denn der ganze Körper wippt und zappelt noch. „Hast Du schon gehört, da an der Ecke gibt es einen Club, die machen jetzt erst auf, da gibt es Afterhour-Party.” „Was ist Afterhour-Party?”, kam dann zurück. Das Konzept war noch nicht so verbreitet.
Wie lang habt ihr dann gemacht?
Von 5 bis 15 Uhr, Sonntagmorgen bis Sonntagnachmittag dasselbe. Irgendwann hat es eingeschlagen, dann ging es immer länger. Alle waren da, alle wollten spielen, Westbam, Dr. Motte, weil der Laden dann Kult war. Wir mussten mit dem Elektroschocker durch den Raum gehen, damit die Leute um 16 Uhr endlich den Laden verließen.

Warum habt ihr nicht einfach länger gemacht?
Sonntags musste ich dann vom 19 bis 0 Uhr im Gay Tea Dance im Quartier, jetzt Wintergarten, in der Potsdamer Straße auflegen. Um 1 Uhr ging es dann ins 90 Grad in der Dennewitzstraße, bis Montag um 12 Uhr. Ich hab‘ von Donnerstag bis Montag fast ununterbrochen aufgelegt, donnerstags in der Turbine, freitags im Globus, Samstagfrüh Walfisch, Samstagnacht Bunker, Sonntagfrüh Walfisch. Heute frage ich mich, wie ich das gemacht habe. (grinst)
Heute befindet sich in den Räumen des Walfisch zum Teil der KitKatClub.
Der Eingang direkt an der Ecke ist zu, das ist jetzt nur noch ein Notausgang. Später hieß es, dass es neben dem Café noch eine flache Baracke gibt, da könnten wir einen Durchbruch machen. „Warum nicht?”, sagte ich. Im Fußboden steckten noch so dicke Schrauben, wo Maschinen standen, da sind die Leute immer gestolpert. Eine hat alte Theatervorhänge mitgebracht und aufgehängt, das sah dann so mystisch aus.

Wie viele Leute haben da reingepasst?
In dem Raum vom Café gut 300, mit der Halle dann 700 Leute.
Was ist aus den Räumen geworden?
Der erste Raum ist jetzt der Dragon Floor des KitKat, die Bar wurde allerdings umgebaut. Die steht jetzt da, wo früher der DJ war. Da war die Haupttanzfläche. Damals hat sich die Bar durch den Raum geschlängelt, die Mädels haben drauf getanzt und mit ihren Brüsten gewackelt, auf dem Tresen lagen weiße Bahnen. Die Stimmung war einfach nur grandios.

Wie klang der Walfisch?
Im Tresor lief puristischer Techno, sowas wie Underground Resistance, im E-Werk ein Chicago-lastiger, hypnotischer Sound, im Bunker unten Hardtrance, oben Gabber. Im Walfisch ließen wir die Sau raus. Bei den Vocals von „Te Quiero Puta” [von New Guinea Sound, Anm.d.Red.], „Terapia” [von Ramirez] oder „James Brown Is Dead” [von L.A. Style] sind die Leute durchgedreht.
Ihr hattet keine Angst vor dem Hit.
Wir hatten den Freiraum für Spaß. Wir haben die Leute aus dem monotonen Techno, der ja auch wirklich schön ist, mit Feiermucke mit Melodie und Gesang herausgeholt. Das war schon so ein gewisser Walfisch-Sound.

Da konnte man sich dann auch mal von dem entfernen, für was man als DJ eigentlich stand?
Genau, sogar Tanith hat bei uns aufgelegt. Woanders konnte ich das nicht spielen, im Globus habe ich ernsthaften House gespielt, im 90 Grad Freitag Soul, Funk, Disco, am Sonntag leichten Techno und House, in der Turbine House, später Technohouse und dann irgendwann auch Trance.
Wer waren die anderen Residents neben dir im Walfisch?
Das waren Zappa und ich. Einmal war Zappa im Tresor hängengeblieben, da habe ich dann 16 Stunden gespielt, dann kam Rolf vorbei, der hatte seine Platten glücklicherweise im Auto, man konnte im Osten ja niemanden anrufen. DJ Rok und Roland 138 BPM haben auch öfter gespielt. Rok hab‘ ich entdeckt, der hat damals noch Madonna in einem Laden in der Motzstraße gespielt.

Wer ging in den Walfisch?
Wirklich alle. Auch Hooligans, Queers, Zuhälter. Es ist als DJ aber nicht meine Aufgabe zu kontrollieren, was für Politiken da laufen. Als DJ ist man froh, dass man gebucht ist, dass es ein geiler Laden ist, dass die Leute tanzen. Ich könnte viele verrückte Geschichten erzählen, aber ich will niemanden bloßstellen.
Erzähl‘ bitte eine verrückte Geschichte.
Einer ist auf allen Vieren durch den Laden gekrochen. „Was machst du da?”, meinte ich. „Ich suche meine Kontaktlinsen.” „Du hast doch gar keine!”, sagte ich dem. Das war Jürgen Laarmann.

Wie ging es mit dem Walfisch zu Ende?
Irgendwann war die Luft raus, da haben die vier Besitzer, die Betreiber des Cafés, den Laden verkauft. Dann kam das Boogaloo, dann der Sage Club, dann das KitKat mit seinen sechs Dancefloors. Dass noch eine große Razzia stattgefunden hat, kann ich nicht sagen, da war ich mehr im Bunker und hab‘ meinen Club Time Limited gemacht. [schaut mir tief in die Augen] Am Ende haben wir eine Woche durchgemacht. Wer alle Stempel hatte, bekam ein gelbes T-Shirt wie bei der Tour de France.
Was ist im Walfisch passiert, was man sich heute nicht mehr vorstellen kann?
Keiner kannte einen im Osten, und wir kannten die auch nicht. Wir hatten aber dieselben Interessen, Technomusik, neue Mode, verrückt sein, Drogen konsumieren. Das Tollste war aber, dass alle zusammengekommen sind, egal ob sie links, rechts, lesbisch, schwul, hetero, hip, Normalo oder Hooligan waren. Die Mischung von Leuten hat nicht zusammengepasst, die war kurios. Trotzdem haben wir gemeinsam gefeiert. Das ging so weit, dass Hools im E-Werk auf schwul gemacht haben, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Heute regieren der Hass, die Egomanie und die Beklopptheit der Handys. Das hatten wir nicht. Wir waren eine Familie.
Tracklist:
M:N:O – God of Abraham (Trance Mission)
Digital Domian – I Need Relief (Rabbit City)
L.A. Style – James Brown is Dead (Bounce/ ZYX)
Holy Noise Featuring The Global Insert Project – James Brown Is Still Alive!! (Hithouse/ ARS)
Quadrophonia – The Man With The Masterplan (ARS)
T99 – Anasthasia (Who’s That Beat?)
Praga Khan feat. Jade 4U – Free Your Body (Beat Box)
Cubic 22 – Night In Motion (XL Recordings)
The Prodigy – Everybody In The Place (XL Recordings)
Decktition – Love Rush / Bring The Noise (self-released)
The Ultimate Seduction – House Nation (Interdance)
Moby – Next Is The E. (Instinct)
C*Y*B – Snake Bit (Remix) (UMM)
The Gateway Experience – Twin Freaks (Stealth)
A.M. Star – U.F.O. (House)