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Tim Forster von der Freien Kulturkarawane Weimar: „Die Zusammenarbeit mit der freien Kulturszene kann sich noch verbessern”

Tanzdemonstrationen sind ein vielbenutztes Mittel, um auf die prekäre Lage kultureller Akteur:innen aufmerksam zu machen – spätestens seit der Loveparade. Jahr für Jahr ziehen zahllose LKW mit Soundsystemen durch deutsche Innenstädte – sei es beim Zug der Liebe in Berlin, bei der Krachparade in München oder den Freien Kulturkarawanen (FKK) in thüringischen Großstädten. In diesem Jahr ist die Kulturkarawane das erste Mal durch Weimar gezogen – und hat erst mal Unmut in der Goethe-Stadt ausgelöst. Wir haben Tim Forster, Head of Orga, nach seinem Fazit für die erste Ausgabe, seiner Reaktion auf den Unmut und die Forderungen hinter der Demo gefragt.

GROOVE: Eure Freie Kulturkarawane hat in diesem Jahr das erste Mal stattgefunden, wie ist es dazu gekommen?

Tim Forster: Ich bin Teil des kleinen Kollektivs Lütze aus Weimar. Wir stehen im regen Austausch mit anderen Akteuren der freien Kulturszene: Man kennt sich und trifft sich auf Veranstaltungen. So haben wir die Gründer der FKK-Bewegung in Erfurt kennengelernt. Aus dem Gespräch entstand die Idee, die Kulturkarawane auch nach Weimar zu übertragen. Die Entscheidung war sehr spontan, wir wollten nicht noch ein Jahr warten und haben dann innerhalb von knapp drei Monaten die Tanzdemonstration geplant. Die Idee dahinter war auch, die Kulturkarawane auf die Thüringer Städtekette Erfurt – Weimar – Jena zu erweitern, um die politische Wirkung zu vergrößern.

Die Karawane ist am 30. August durch Weimar gezogen. Wie fällt euer Fazit nach der ersten Ausgabe aus?

Der Weg zu dieser Demo war sehr steinig, wir hatten mit vielen Rückschritten zu kämpfen und mussten viel Energie investieren. Aber wir haben es geschafft! Wir haben viel aus der Organisation und Durchführung dieses Jahr gelernt und werden uns im nächsten Jahr an dieser Stelle sicher verbessern können.

Der rechtliche Status von Tanzdemos als Demonstration ist bis heute umstritten, trotz der Etablierung dieser Demo-Form seit der Loveparade. In Aachen wurde der Krachparade dieser Status als Demonstration aberkannt. Wie sah da die Zusammenarbeit mit den Behörden in Weimar aus?

Wir hatten eine sehr gute Zusammenarbeit, die Kommunikation verlief konfliktarm und auf Augenhöhe. In ihrem Bescheid hat die Ordnungsbehörde keine zusätzlichen Auflagen für unsere Demo benannt. Am Tag der FKK selbst war die Polizei sehr kooperativ, es gab eine reibungslose Zusammenarbeit. Wir haben sogar Tipps und Verbesserungsvorschläge fürs nächste Jahr von der Polizei bekommen.

Vier LKW und Helfer:innen auf der Kulturkarawane 2025 (Foto: Tim Forster)

Wie sah das Feedback der Besuchenden und Anwohnenden aus?

Die Besucher:innen waren sehr begeistert, es gab fast ausschließlich positives Feedback. Eine ältere Frau kam auf mich zu und hat gefragt, ob wir die Kulturkarawane ab jetzt nicht monatlich machen könnten. Die Anwohner:innen der geplanten Route wurden vorab per Post über unsere Demo und die damit einhergehende Lärmbelästigung informiert. Als wir dann mit der Karawane an Wohnhäusern vorbeigezogen sind, konnten wir viele freudige Gesichter jedes Alters an vielen Fenstern erblicken.

Eure Tanzdemo hat aufgrund der Lautstärke bei einigen Unmut ausgelöst – was ist da der Stand?

Das Feedback war, wie gesagt, größtenteils positiv. Fürs nächste Jahr müssen wir darauf achten, dass nicht immer alle Wagen gleichzeitig spielen, vor allem wenn die Karawane steht und es Kundgebungen gibt. Ein ähnlicher Vorschlag kam von der Polizei. Eine direkte Beschwerde über die Lautstärke wurde aber nicht an uns herangetragen.

Das Theater im Gewölbe, von dessen Beschwerden wir im Nachhinein mitbekommen haben, möchten wir herzlich um Verständnis bitten und uns für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Für uns kam es zu einer kurzfristigen Änderung: Wir mussten unsere Abschlusskundgebung und das Konzert auf dem Marktplatz machen. Da wurden wir kurzfristig von der Ordnungsbehörde umgeleitet.

Der große Spaß an der ganzen Sache ist, dass hier die Hochkultur in Konflikt mit der Freien Kulturszene gerät, obwohl unser Anliegen und unsere Forderungen für jeden Kulturschaffenden gelten, egal ob professionell oder frei.

Welche sind eure Forderungen?

In Weimar fordern wir mehr Anerkennung und eine verbesserte Wahrnehmung für freie Kulturakteure beziehungsweise -arbeit, den Zugriff auf öffentliche Gelder für die freie Kulturarbeit, Freiflächen im öffentlichen Raum und allgemeine Erleichterungen für freie Veranstaltungen und mehr nachhaltige Kulturförderung.

Die Tanzdemo in der Goethe-Stadt (Foto: Tim Forster)

Weimar ist die Heimat von Goethe und Schiller und hat ein hohes kulturelles Potenzial – gilt das auch für Subkultur?

Ich komme selbst aus der illegalen Kulturszene und habe mit illegalen Veranstaltungen im Raum Weimar und Jena angefangen. Da haben wir beides erlebt, Zustimmung und Ablehnung. Eine generelle Regelung gibt es leider nicht. In Weimar gibt es aber trotzdem einen Platz, an dem Veranstaltungen geduldet werden. Einzelne produktive Kollektive schaffen es, hier gute subkulturelle Angebote und Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Eine generelle Regelung, ein freier Veranstaltungsort und Fördermöglichkeiten würden unsere Arbeit erleichtern und die Zugangsbarrieren abbauen. Die Stadt Weimar kann sich da in der Zusammenarbeit mit der freien Kulturszene noch verbessern. Wir sehen die Demonstration als Beginn einer solchen Entwicklung, hoffen auf ein offenes Ohr und eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt Weimar.

Räume für progressive Subkultur in diesem politischen Klima zu schaffen oder offen zu halten ist schwierig – wie sind da eure Erfahrungen?

Bei vielen Veranstaltungen treffen wir auf Widerstand und Bürger:innen, die sich über Lärmbelästigung beschweren. Da hoffen wir innerhalb des politischen Raums Weimar auf eine Verbesserung. Ich kann leider nicht sagen, dass die Stadt Weimar hier aktiv gegenarbeitet. Es ist deutlich spürbar, dass die Förderung und die Entwicklung von Kultur in Weimar auf Hochkultur fokussiert ist.

Wie wollt ihr weiter auf eure Ziele aufmerksam machen? 

Wir werden kleinere Infoveranstaltungen im öffentlichen Raum machen und auch dort unsere Forderungen und Wünsche benennen. Damit möchten wir auf der einen Seite die Unterstützung der Freien Kulturszene stärken, auf der anderen Seite die Akzeptanz unter den Weimarer Bürger:innen verbessern. Daneben werden wir in direkten Kontakt zur Stadt Weimar und zum Oberbürgermeister treten. Die FKK-Bewegung möchte sich außerdem vergrößern: Im nächsten Jahr wird es vermutlich Kulturkarawanen in Eisenach und Gera geben. Momentan bieten wir außerdem weiteren interessierten Städten ein Coaching an, Diese können sich gerne via Insta an uns wenden.

Wird es auch im nächsten Jahr in Weimar eine Kulturkarawane geben?

Nächstes Jahr wird es ganz sicher eine Kulturkarawane geben, auf die wir uns jetzt schon freuen. Jetzt steht aber erst mal die Freie Kulturkarawane in Jena am 27. September an.

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