Im Berliner Bezirk Friedrichshain saugen Berliner:innen in Cafés die Sonnenstrahlen des Spätsommers ein. Im House of Music spitzen etwa 40 bis 50 Journalist:innen, Akteur:innen und Interessierte ihre Ohren. Die Initiative Musik und die Bundesstiftung LiveKultur legen nämlich ihre Festivalstudie vor, die umfangreichste Forschungsarbeit zu dem Thema überhaupt.
„Wir brauchen endlich Zahlen, um die Festivallandschaft zu unterstützen”, ist sich Katja Lucker, Leiterin der Initiative Musik, sicher. Auch in Hinsicht auf Förderungen. Denn 77 Prozent der Festivals in Deutschland beschreiben sich als nichtkommerziell. „Das sind genau die Festivals, die wir ansprechen”, fügt sie hinzu.
„Wir wissen nun, dass die große Mehrzahl der etwa 1.800 Festivals, die wir erfasst haben, sich selbst nicht als kommerziell bezeichnet”, sagt Karsten Schölermann, 1. Vorsitzender der Bundesstiftung LiveKultur. „Vielmehr stehen kultur-gesellschaftliche Motive im Vordergrund. Entsprechend ausgeprägt ist das Ehrenamt in diesen Festival-Strukturen, was uns in dem tatsächlichen Umfang überrascht hat.”

„Mit der neuen Studie stellen wir eine belastbare Datengrundlage bereit, die die kulturpolitische Diskussion stärkt, gerade in Zeiten, in denen der Wert von Kultur immer wieder neu betont werden muss”, fährt Stephan Schulmeistrat vom Musikinformationszentrum fort. „Festivals bringen Menschen zusammen, die sich sonst nie begegnet wären. Insofern tragen sie auch zum unserem politischen Selbstverständnis einer freien, offenen Gesellschaft bei.”

Matthias Lorch vom namhaften Institut für Demoskopie Allensbach stellt die Methodik der Studie vor und unterstreicht dabei ihre wissenschaftliche Qualität. Für den qualitativen Teil wurden Roundtables veranstaltet, quantitativ wurden Fragebögen ausgewertet. Mit 638 der 1774 erfassten Festivals haben 36,2 Prozent teilgenommen, dabei wurde darauf geachtet, dass alle Regionen und Musikrichtungen vertreten sind.
Elektronische Musik ist mit 42 Prozent die am häufigsten vertretene Musik, allerdings ist sie nur bei zwölf Prozent der Veranstaltungen das Hauptgenre; damit liegt sie etwa gleichauf mit der Rockmusik. Weitere Ergebnisse: Das durchschnittliche Festival hat 9.244 Besucher:innen und ist zu 76 Prozent ausgelastet. Mit Festivals werden 551 Millionen Euro verdient, dafür werden 522 Millionen ausgegeben. Dabei arbeiten 30 Prozent defizitär, nur 15 Prozent erwirtschaften einen Gewinn. 84 Prozent sind gefördert, nur 18 Prozent beantragen keine Förderung. 77 Prozent sind Non-Profit-Veranstaltungen.
Über Video ist Holger Hübner, einer der Gründer des Metal-Festivals Wacken zugeschaltet. „Bei uns im Metal-Bereich machen wir uns Sorgen um den Nachtwuchs”, sagt er. Die Gagen seien nach der Pandemie nochmal deutlich gestiegen, erklärt er. Konzerne wie Live Nation sind oftmals die einzigen, die das bezahlen können. „Wir waren mit Wacken nie ein Headliner-Festival, die Leute kommen nicht, um einzelne Künstler zu feiern – sondern sich selbst”, sagt er, allerdings ohne eine Miene zu verziehen. Das Festivalgeschäft ist ein ernstes, auch wenn man mit Superstruct/KKR das Großkapital an seiner Seite hat.

Gelassener wirkt der Bundestagsabgeordnete Martin Rabanus, kulturpolitischer Sprecher der SPD. „Wir haben jetzt schwarz auf weiß, was wir geahnt haben”, freut er sich über die Studie. Bezeichnend findet er unter anderem, „dass 43 Prozent der Festivals auf ehrenamtliche Arbeit bauen”.
Die Zahlen sind zum Teil niederschmetternd. 66 Prozent der Veranstalter rechnen mit einer Schrumpfung der Festivallandschaft, zehn Prozent der Festivals befürchten das Aus ihrer Veranstaltung, 24 klagen über eine schwache Auslastung.
Natürlich geht es auch um die Frage, wie Bund und Länder die Festivallandschaft stärken können. „Für die Förderung ist weniger wichtig, um welches Musikgenre es im Einzelnen geht, sondern der Erhalt einer ländlichen Kultur, die sich nicht im rechtsradikalen Milieu bewegt”, sagt Rabanus weiter. Die Herausforderung liege darin, Musik-, Demokratie und Jugendförderung zu integrieren. Auf die Kostensteigerungen dürfe man nicht mit höheren Eintrittspreisen reagieren, sondern sollte diesen eher vermindern.
Ein Wermutstropfen kommt von Petra Irmscher vom U&D aus Würzburg: Extremwettereignisse machen Festivals aufgrund des Klimawandels immer mehr zu schaffen. Zwei solcher Vorfälle können einen Veranstalter in die Insolvenz treiben. Dieses Thema kommt in der Studie leider überhaupt nicht vor.
So oder so kommt die Studie bei den Anwesenden gut an. Nun steht die politische Arbeit, sei es von Regierungsseite oder von Interessenvertretungen, auf etwas sichereren Füßen. Die Interessierten stehen noch ein wenig herum und quatschen, bevor sie ins Gewusel an der Revaler Straße eintauchen. „Menschen, die Festivals machen, müssen optimistisch auf die Welt gekommen sein”, ist einer der Sätze, die nachhallen.
Die gesamte Studie ist hier einsehbar.







