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KKR übernimmt Boiler Room: Ein Hype-Moment fürs Portfolio

Superstruct Entertainment hat Boiler Room gekauft. Vom Ticket-Startup-DICE, der die Videostreaming-Plattform seinerseits 2021 erwarb. An sich sind beides ganz herkömmliche Vorgänge in der Musikwirtschaft: Das reichweitenstarke Boiler Room passt exzellent zu einer Firma, die mit der Vermarktung von Tickets ihr Geld verdienen will. Synergieeffekte sind vorbestimmt. Auch dass Superstruct, „a house of brands empowering creators of the live entertainment economy to reach new scale and standards” und Veranstalter von Festivals wie Awakenings, DGTL oder Wacken, Boiler Room übernimmt und sein Portfolio mit einer der größten Marken in der elektronischen Musik breiter aufstellt, markiert einen ökonomisch logischen Schritt.

Kontroverser wird der Vorgang, wenn man sich ansieht, zu welcher Gesellschaft wiederum Superstruct gehört: Der Finanzinvestor KKR ist eine global agierende, US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft, die über eine halbe Billion Dollar verwaltet und nicht nur in der Musik mitmischt: Superstruct mit all seinen lukrativen Festivals übernahm sie erst im Juni, schon 2019 stieg KKR beim Medienhaus Axel Springer ein, dessen „gewinnträchtiges Geschäft mit Kleinanzeigen” sie im vergangenen September mehrheitlich übernahm. Während der fünfjährigen Partnerschaft zwischen KKR und dem Springer-Konzern steigerte Springer seinen Wert von 6,8 Milliarden auf 13,5 Milliarden Euro. Dem börsennotierten Unternehmen KKR geht es, kaum zu glauben, um Profitmaximierung – mit all ihren notwendigen Begleiterscheinungen.

Nun empörte man sich in der elektronischen Musik nicht nur darüber, wie KKR auf hyperkapitalistische Art und Weise sein Geld macht, sondern auch womit. Neben Axel Springer finden sich im Portfolio nämlich noch weitere Unternehmen mit äußerst zweifelhaftem Ruf: Beispielsweise beteiligt sich der Private Equity Fund klandestin, doch im großen Stil am Handel mit fossilen Energieträgern, angeblich gar mit russischem Öl. Wie gehen die spalterische Hetze des Springer-Konzerns, die freimütige Befeuerung des Klimawandels und das rücksichtslose Streben nach Gewinn mit einer toleranten, liberalen, egalitären Clubkultur zusammen? Gar nicht, möchte man auf den ersten Blick meinen.

Stellt man sich auf den zweiten Blick die Frage, wie man kontemporäre Clubkultur überhaupt definiert, kommt man zu einem anderen Ergebnis. In den vergangenen Jahren hat diese sich dem Kapital, dem Mainstream, dem Pop besonders stark angenähert und nicht nur ästhetische, sondern auch ökonomische Grenzen sukzessive aufgeweicht. Bis zu einem Punkt, an dem Boiler Room von vielen nicht mehr als gefährlicher Antagonist, sondern als inhärenter Teil der Kultur begriffen wird. Jene Plattform, die 2010 antrat, um die Reize einer Clubnacht für alle global streambar zu machen, die den DJ-Starkult auf ein neues Level hob, die den Ausverkauf und die Ausleuchtung des sogenannten Undergrounds vorantrieb wie kaum eine zweite.

Das Boiler-Room-Festival im November 2023 in Berlin (Foto: Boiler Room)

Liest man sich manche Kommentare unter dem Video von Ex-GROOVE-Redakteurin Cristina Plett zur Thematik durch, entsteht mitunter der Eindruck, das clubkulturelle Kleinod Boiler Room wäre unvermittelt zum Spielball wirtschaftlicher Interessen geworden, quasi unverschuldet zur bloßen Investitionsmasse verkommen. Das mutet schlicht absurd an, streckt die Plattform dem Underground doch inzwischen so konsequent den Mittelfinger entgegen wie nur möglich. Wirklich alles, was etliche Künstler:innen und Raver:innen seit der Pandemie an Clubkultur stört, findet sich in nicht allen, aber vielen Boiler Rooms: Zahllose Handybildschirme, übertriebene Performanz, generierte Hype-Momente für den Social-Media-Auftritt, kurz: eine unwahrscheinlich abstoßende Oberflächlichkeit, die, und jetzt kommt’s, wirtschaftlich nutzbar gemacht wird. Von der Firma Boiler Room selbst.

Boiler Room war nie und ist kein erklärter Freund der Clubkultur, sondern ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen. Zweifelsohne hat es, das soll nicht unterschlagen werden, wichtige Beiträge zur Vernetzung und Globalisierung elektronischer Musik geleistet und Künstler:innen und Szenen eine Bühne gegeben, die diese anderweitig vielleicht nicht gehabt hätten. Trotzdem irritiert die Vehemenz, mit der man gerade jetzt gegen gerade diesen Vorgang der Kommodifizierung von Clubkultur wettert, in dem ein großer Fisch von einem noch viel größeren geschluckt wird.

Diese Dimension der Kritik ist amüsanterweise vor allem eine wirtschaftliche, keine ästhetische oder gar kulturelle. Es wirkt, als sei das Selbstverständnis in weiten Teilen der Clubkultur so nachhaltig erschüttert und das Selbstwertgefühl ihrer Akteur:innen so erodiert, dass man sich verzweifelt an letzte Strohhalme klammert, aus denen man noch vor fünf Jahren keinen Tropfen gesaugt hätte. „Nicht auch noch Boiler Room!”, scheint es aus den Kommentarspalten zu hallen – ein untrüglicher Indikator für die Schieflage der Underground-Kultur. Wenn Boiler Room doch nur ein ehrbarer Eigentümer übernommen hätte, so der Eindruck, wäre der ganze Vorgang akzeptabel. Irgendwie.

„Der kulturelle Wert von Boiler Room ist einer solchen Firma [KKR, d.Red.] egal”, heißt es im oben erwähnten Video. Das scheint er auch Boiler Room selbst zu sein, könnte man antworten. Oder aber noch fatalistischer entgegnen: „Boiler Room hat seinen kulturellen Wert schon lange verloren”, wie es ein Kommentar tut. Private Equity, schrieb die FAZ 2017, wurde früher extrem kritisch gesehen, nun würde sie hingenommen. Wie sich die Dinge gleichen – im Großen wie im Kleinen.

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