Gegensätze ziehen sich bekanntermaßen an. Im Fall von Funk Assault mündet die Anziehung in einer musikalischen und persönlichen Synthese zweier aufstrebender Techno-DJs und -Produzenten. Wenn Chlärs ausgefeilte Grooves und Alaricos rohe Energie aufeinandertreffen, entsteht ein eigenwilliger Techno-Sound, der immer wieder die Nähe zum Hardgroove-Genre sucht und gleichermaßen wild wie geschliffen klingt.
Ob mit ihrer ersten EP Minimum One Post a Week oder ihren raumschiffpilotenähnlichen DJ-Sets, bei denen schon mal bis zu acht Decks zum Einsatz kommen – Sound und Energie von Funk Assault machen das Duo zu einem der aufregendsten und beliebtesten neuen Techno-Acts.
Dass Alarico und Chlär mehr verbindet als Funk Assault, zeigt nicht nur ihr Label Primal Instinct, das sie gemeinsam mit Freund Jules Auderset, bekannt als The Chronics, betreiben. Es zeigt sich auch darin, dass innerhalb kürzester Zeit eine enge Freundschaft zwischen beiden entstanden ist. GROOVE-Autor Julian Fischer hat sich mit Alarico und Chlär getroffen – und mit ihnen über erste Treffen, blindes Vertrauen und ChatGPT gesprochen.
Alarico Zucchi und Charles Accaris warten schon im Hof der Alten Münze in Berlin. Die DJs, bekannt als Alarico und Chlär, unterhalten sich mit Bekannten und lachen ausgelassen. Etwas, das sich in unserem Gespräch fortsetzen soll. Alarico, dessen Wu-Tang-Clan-Shirt wohl nicht nur Ausdruck seines Musikgeschmacks ist, sondern auch auf seine produktionstechnischen Wurzeln verweist, ist etwas ruhiger und zurückhaltender als sein sportlich gekleideter Partner, dem die Worte nur so aus dem Mund sprudeln. So gegensätzlich sie wirken, sind beide sehr präsent, machen viele Witze und hinterlassen den Eindruck eines eingespielten Teams.
Gemeinsam betreiben Alarico und Charles seit 2023 das Label Primal Instinct. Als Funk Assault haben sie gerade ihr Debütalbum Paces Of Places veröffentlicht. Außerdem arbeiten sie an einem Live-Set für das ADE im Oktober und – mag man ihren Worten Glauben schenken – üben dafür um die neun Stunden täglich. Darüber hinaus haben beide ihre Solokarrieren und sind als DJs europaweit unterwegs.
Als Duo haben Funk Assault kürzlich auf dem Glitch Festival 2024 auf Malta gespielt. Dort übernahmen sie glatt den Slot von Ben Klock, der nicht rechtzeitig anreisen konnte. „Das war ein spaßiger Gig”, grinst Charles. Sein Freund Pablo Bozzi sei auch da gewesen. Spontan fragten sie ihn, ob er einen USB-Stick dabei hat. Für die letzte Stunde des Sets sei er mit eingestiegen. „Funk Bozzi oder Pablo Assault?”, witzeln sie darüber. Wer weiß, vielleicht ein Zukunftsprojekt.
Internet-Soulmates
Kennengelernt haben sich Alarico und Charles vor ungefähr drei Jahren über das Internet. Begeistert von Alaricos Solo-EP Raining Over Tokyo, die Anfang 2021 auf seinem Label Katana Records erschien, nahm Charles den Kontakt auf. „Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einem anderen Künstler textete”, verrät er. Alarico wirft verheißungsvoll hinterher: „Technologie hat uns verbunden!” Das meint er symbolisch, im Zeichen ihrer Vision von Techno, in der technische Innovation eine entscheidende Rolle spielt.
Bevor sie sich persönlich kennenlernten, schickten sie sich unveröffentlichte Musik, die einen starken Eindruck beim jeweils anderen hinterließ. Während Charles zu jenem Zeitpunkt bereits in Berlin lebte, um sich eine Karriere aufzubauen, wohnte Alarico noch in Italien. Als der Italiener für ein HÖR-Set in Berlin war, trafen sie sich in einem Park und verstanden sich auf Anhieb gut. „Es war sehr lustig mit ihm”, sagt Alarico. Zwei Tage später habe man sich ohne große Erwartungen im Studio wiedergesehen und direkt vier Tracks produziert.
Zwar hatten sie schon vorher mit anderen Personen produziert, doch schien an jenem Tag etwas anders zu sein. „Ich hatte zum ersten Mal keine Angst, Fehler vor jemandem zu machen, oder vielleicht nicht genau zu wissen, was zu tun ist”, gesteht Alarico. „Da war einfach ein Flow, und es hat direkt geklickt”, erzählt er weiter. Der Auftakt für die musikalische Zusammenarbeit und eine enge Freundschaft war gemacht.
Die eingeschlagene Richtung, groovigen Techno zu produzieren, der allerhand verspielte Arrangements und experimentelle Sounds beinhaltet, musste auch nicht am Reißbrett entworfen werden. „Schon vom Start weg hat es sich gefügt”, so Charles. „Wir mussten unser Konzept nicht groß mit dem Label verbalisieren. Wir haben uns schon im Sound davor zusammen ausgerichtet.” Knackige und gesättigte Drums geben dabei oft den treibenden Groove vor. Die verfremdeten Synth-Sounds und Vocal-Schnipsel darüber zeichnen weithin eine dystopische Klanglandschaft, die den Tracks im Ganzen einen rohen und wilden Sound verleiht.
„Wenn wir aus dieser Phase herauskommen, freuen wir uns richtig oder rasten komplett aus”
Alarico
Immer wieder erzählen Alarico und Charles von einem intuitiven Verständnis des anderen. Beim Produzieren oder beim Auflegen müssen sie nicht darüber sprechen, was sie genau vorhaben. Sie verstehen sich blind. „Zum Beispiel, wenn wir gemeinsam die Fader choppen. Ich weiß einfach, dass er es gleich machen wird”, so Alarico.
Wenn ihnen etwas gefällt und sie aufgeregt sind, reden sie dagegen viel darüber. Es komme aber auch vor, dass es nicht läuft. Dann trete Stille zwischen den beiden ein. Nicht jene, die vom blinden Verständnis zeugt, sondern eher ratlose. „Wenn wir aus dieser Phase herauskommen, freuen wir uns richtig oder rasten komplett aus”, lacht Alarico.
Laut Charles sei Funk Assault die wichtigste Beziehung in seinem Leben: „Sie ist beides: Karriere und Freundschaft. Und wir müssen schauen, dass sie funktioniert.” Denn selbst wenn Alarico und Charles durchaus ein Dreamteam abgeben, sind bei so vielen gemeinsamen Projekten Konflikte unvermeidlich. Dann wird auch mal gestritten. „Wir alle haben unsere Dämonen”, so Charles. „Doch wir verurteilen uns nie, und es ist auch gut, dass es Raum für Kommunikation gibt”, ergänzt Alarico.
„Spannung entsteht auch, weil wir voneinander lernen”, sagt Alarico. Ihre Persönlichkeiten seien in Aspekten fast gegensätzlich. Während Alarico beispielsweise sehr intuitiv an Musik herangeht, möchte Charles von Grund auf verstehen, wie etwas funktioniert. „Ich hatte immer einen sehr technischen Zugang zu Sound”, so der Schweizer. „Erinnerst du dich, als du mir dein verrücktes Sounddesign gezeigt hast, deine Audio-Effect-Racks mit so viel Zeug drin? Ich konnte das nicht, weil das so unstrukturiert ist.”
Durch die Arbeit mit Alarico habe er gelernt, beim Produzieren loszulassen. „Wenn du nicht verstehst, was du machst, dann fuck it, mach’ einfach, und experimentiere”, so Charles. Dass sich sein Mixdown wegen Alarico enorm verschlechtert hat, obwohl er mal für einen sehr guten bekannt war, stimmt ihn dabei sogar glücklich. Denn seitdem Charles versucht, mit dem Flow zu gehen, ist seine Musik insgesamt runder geworden. Im Gegensatz dazu hat Alarico gelernt, nun mehr Kontrolle auszuüben. „Charles will wirklich verstehen, warum eine Sache so funktioniert und nicht andersherum. Ich lerne von ihm, systematischer vorzugehen.”
Techno zwischen Innovation und Primitivismus
Die Gegensätzlichkeit zwischen ihnen spiegelt sich auch in der Philosophie ihres Labels Primal Instinct wider. Angestoßen durch Charles’ Drang, verstehen zu wollen, warum sich Menschen gemeinschaftlich versammeln und zu sowas wie Techno tanzen, stellen sie große Fragen: Was macht uns als Menschen aus und wie äußert sich das in unserer heutigen Gesellschaft? „Wir glauben, dass Techno diese Themen versammelt – diese essenziellen, grundsätzlichen Bedürfnisse und gleichzeitig die Ausübung dieser Musik durch eine sehr komplexe Handhabung neuester Technologien”, so Charles.
Um das zu verstehen, bedienen sie sich schon mal der Wissenschaft. Ihr zentrales Interesse gilt dabei dem Groove. Kognitiv gesehen gebe es so etwas wie einen Sweetspot, nicht zu viele Synkopen, nicht zu wenig. Dann passiere etwas. Mit den Beinen, aber auch im Gehirn. „Studien belegen, dass bei der genau richtigen Dosierung etwas getriggert wird und wir uns bewegen wollen”, sagt Charles. „Dazu schüttet unser Gehirn bei tiefen Frequenzen Dopamin aus. Und Techno spricht eben genau diese Rezeptoren an.”
Außerdem haben sie in Erfahrung gebracht, dass Schlaginstrumente historisch gesehen die ersten Instrumente sind, die von Menschen benutzt wurden. Sie sind heute in jeder Kultur anzutreffen und im Techno besonders dominant. Rhythmus und Groove sind demnach so etwas wie eine universelle Sprache. „Es ist wie ein gemeinsamer Nenner in der Musik. Und in unserer Vision von Techno nimmt der Groove eine essenzielle Rolle ein,” so Charles weiter. Die Idee sei, diesen einfachen, primitiven Ansatz zur Musik mit komplexer Technologie zu mischen.
Aber nicht nur zur Generierung von Sound und Rhythmen setzen Funk Assault auf die neueste Technologie. Das Konzept und die Titel für das neue Album Paces Of Places sind in Zusammenarbeit mit der Künstlichen Intelligenz ChatGPT entstanden. Alarico und Charles haben der KI das Label vorgestellt, um präzise Vorschläge zu bekommen. Für Alarico und Charles ist es ein Mittel, das Techno-Erbe anzutreten. „Techno kommt ja von Technologie, aus den Tagen von Detroit”, so Charles. „Die Leute waren inspiriert von Science-Fiction und Synthesizern. Deshalb wollen wir die neueste Technologie verwenden, die es gibt, und gleichzeitig einfach und zugänglich bleiben.”
Komplexität und Einfachheit, Innovation und Primitivismus, Intuition und Rationalität. Funk Assault zeichnen sich vor allem durch Gegensätze aus. „Dennoch sind wir beste Freunde!”, unterstreicht Alarico. Sein Schweizer DJ-Partner geht sogar noch einen Schritt weiter und wagt sich vor ins Unerklärliche. „Ehrlich gesagt bin ich sehr weit weg davon, ein spiritueller Mensch zu sein, aber wenn es eine Beziehung in meinem Leben gibt, die mir manchmal den Kopf verdreht, dann ist es Funk Assault.”