AFM – Mille Mondi (CEE)
Nebenbei oder nicht ganz ausgeschlafen gehört, können die Tracks auf Mille Mondi anstrengend und wie Versatzstücke aus IDM- und Industrial-Tracks wirken. Klar, aus dieser stilistischen Ecke kommt Alessandro Gramaccioni alias AFM, aber der Italiener macht sich seinen eigenen Reim auf diese Ausgangssituation. Also, noch einmal durchatmen, nicht multitasken und dafür ganz auf die Musik konzentrieren. Was hören wir? Beispielsweise Melodien, die mit vermeintlich schroffen, verrauscht-kratzigen Sounds generiert werden und plötzlich etwas Leichtes, Freundliches in den ersten Track bringen. Oder Glockensounds, die ebenfalls melodisch eingesetzt werden und in dem wilden Rhythmusgalopp von „A A A” einen wunderbaren Gegenpol zum Beat bilden. Ähnliches passiert in „Track 3”, hier übernimmt ein fast schon lieblich klingender Synthie die Leadstimme und konterkariert damit das den Track dominierende, appellhafte Vocalsample – ein sehr gelungener Dialog auf einer coolen EP. Mathias Schaffhäuser
Isabella Koen – Cracked, serving assorted sweets make heaven (Brutaz)
Finster und industriell brechen die Klänge wie Hunde von den Ketten auf der neuen EP von Isabella Koen. „Exit Appeal” hat zwar nur 80 Beats pro Minute, wird jedoch in seinem lange verzögerten Offbeat dermaßen durchzogen von Flüstern und Knistern, dass gleich die Grundnervosität da ist. In der zweiten Hälfte wendet sich der Track immer wieder von unten nach oben, und die zischenden Sounds machen Furore.
„Goof” hingegen zappelt gleich ganz ohne Versteckspiel in aus Mikroschnippseln zusammengesetzten Drum’n’Bass-Rhythmen. Die technische Seite der Produktion hat Isabella Koen mehr als drauf; sie doziert am berühmten Berklee College Of Music ihrer Heimtatstadt Boston als zu „Hardware Performance Studies” oder „Producing Music With Ableton Live”. So staucht das letzte Drittel wie ein Nachwort die Motive des Stückes zusammen, oh Irrwitz.
„Liquiblizz” klingt dann wie „Aquaman” aus der Marvel-Serie zum Hören, während dem Techno-Stück „Joy Drive” die Freundschaft zwischen Euro-Gabba und Japan-Hardcore gelingt. Rissig und toll. Christoph Braun
Ivaylo – Micro Visions (Lab Cleaning Jams)
Der norwegische Produzent Ivaylo, der seine Karriere zunächst in Bulgarien begann, veröffentlicht auf Labels wie Full Pupp und betrieb selbst die Deep-House-Adresse Bogota Records. Auf seiner aktuellen EP geht er die beiden ausgedehnten Tracks beschwingt minimalistisch an. Sein lateinamerikanisch grundierter „Baqer Way” hält den Groove über die Hälfte seiner 11 Minuten mit leichten Variationen durch, verdichtet den Swing aber stetig. In der zweiten Hälfte kommen Stimmen, Breaks und überraschend eingesetzte Akkorde hinzu, die Produktion wird etwas durchlässiger. In „Hypno Krise” beginnt er ähnlich spartanisch, lockert die Struktur geringfügig stärker durch Breaks auf. Hypno ja, Krise eher nein. Tim Caspar Boehme
Stanislav Tolkachev – Vira (Semantica)
Stanislav Tolkachevs vierte EP auf Semantica startet mit einem psychedelischen, beatlosen Stück, das von durch Delays gejagten Bleeps und einer sich wiederholenden Melodie getragen wird. Ein Start zum Innehalten, sowohl in der täglichen Routine als auch im Club. Umso effektiver wirkt dann die Kick des folgenden Titeltracks, die auf 135 BPM nach vorne holzt und mehr als ein Fundament für die darüber morphenden Sequenzen bildet – hier geht es wesentlich um den Groove! Im folgenden Track hingegen fehlt der Beat wieder komplett, das ruhige Stück überrascht dafür nach zwei Dritteln Laufzeit mit einer Temporeduzierung in Richtung eines versöhnlichen Abdriftens. Konsequent kippen Stimmung und Songstruktur wieder in dem soften Electrotrack „The Saddest Music In The World” – ein Titel, der wohl eher als Metapher für Außermusikalisches zu verstehen ist. Das abschließende technoide „Frozen No More” entpuppt sich dann als der eindeutige Hit der sympathisch abwechslungsreichen EP. Mathias Schaffhäuser
VA – Fast-Fists-Fest (Ansia)
Das mit den VA-Platten ist ja so eine Sache. Wenn sie gut sind, dienen sie einem Motto, wenn sie klasse sind, sind auch noch exzellente Tracks ohne Durchhänger drauf. Und wenn sie superklasse sind, und das ist bei Fast-Fists-Fest vom Mailänder Clubbetreiber und Labelmacher Piezo der Fall, spannen sie auch noch einen Bogen über ein Genre und – wieso nicht – die Welt. Von Europa über Afrika und Asien bis hin ins Mutterland des Techno nach (Nord)Amerika.
Techno mit über 150 BPM aus Ägypten – Vorzeige-DJ und Producer Hassan Abou Alam aus Kairo macht mit „Ma3rafs” keine Gefangenen. Musik ist eine universelle Sprache, und in diesem Fall vielschichtiger Techno, der mit geschicktem Aufbau aus Sounds, Bleeps, Breaks und einer treibende Bassdrum über sich hinauswächst. Toupaz aus dem österreichischen Graz legt mit „Bona Fide” ein polyrhythmisches Breakbeat-Brett hin, das jeden Dancer herausfordert. Japan ist mit den Künstlern Oyubi und Y.a.M.A vertreten. „Tomy’s Siren” von Oyubi ist nicht ohne Grund der erste Track auf der B-Seite. Future Sounds, anders lässt sich das mehr als spannende, auf- und abschwellende, Acid-lastige Stück nicht beschreiben. Der Rhythmus wechselt in einem fort und hält Listener und Dancer in Bewegung. Die Kunst ist es, alles zusammenzuhalten, und das gelingt Oyubi vortrefflich. Sophisticated! Wer schon einmal in Tokio war, weiß, dass dies keine Stadt ist, sondern mit ihren über 30 Millionen Menschen ein Kosmos für sich – mit vielen Mikrokosmen. Y.a.M.A hebt mit einem federnden Drum’n’Bass-Track namens „Vroom” gepflegt ab. Back auf den Floor bringt der aus Chicago stammende Künstler EQ Why mit „Juke Lil Ma (feat.Traxman)”. Ein basslastiges Fest für alle Footwork- und Vocal-Fans. Wer Lust auf vielfältigen, 150-BPM-und-mehr-Techno hat und seine Ohren mal neu justieren möchte, sollte reinhören. Liron Klangwart